Die ersten Schritte

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"Bist du schon fertig?" fragte Julien verwirrt, worauf Leo den Kopf schüttelte.

"Nein, er hat mich gebeten hier noch mal zu warten. Es kommt gleich einer von der Kripo, der die Anzeige dann aufnimmt. Und sie wollen das Jugendamt mit einschalten. Aber so wie es aussieht, werden sie Mirko und die anderen heut noch fest nehmen," dabei ließ sie nochmal erleichtert die Luft aus, als Leo sich rechts neben Julien auf den Stuhl setzte und den Kopf an die Wand hinter sich lehnte. "Dann hat der ganze Albtraum echt ein Ende." Immer noch mit einem Grinsen auf den Lippen drehte sie den Kopf in Juliens Richtung, der sie genauso erleichtert ansah. Julien bemerkte, dass Leo's Augen einen leichten Glanz bekommen hatten, was sie für ihn noch schöner machten. Beschämt über diese Empfindung, die sein Herz kurz schneller schlagen ließ, senkte er wieder den Blick und lehnte sich etwas nach vorne, um - Macht der Gewohnheit - sich mit den Unterarmen auf seinen Oberschenkeln ab zu stützen. Kurz ließ er den Kopf hängen, als er von Leo angesprochen wurde, der die veränderte Halung von Julien aufgefallen war.

"Hey, ist alles okay? Du musst nicht mit mir hier warten, wenn du nicht willst. Du hast schon so viel für mich getan, ich ...," fing sie an. Dabei hatte sie sich ebenfalls nach vorne gebeugt und Julien die Hand auf den Arm gelegt, doch Julien unterbrach sie schnell.

"Nein, nein. Es ist alles okay. Und ich warte hier mit dir." Er sah sie nur kurz an, um nicht erneut dieses merkwürdige Gefühl zu verspüren, von dem er nicht wusste, wie er es deuten sollte. "Ich bin grad nur erleichtert, dass die Polizei noch heute was gegen Mirko und die anderen beiden macht."

"Ich auch," pflichtete Leo ihm bei. "Hör zu, es gibt da noch was, was ich dir sagen muss." Nervös biss sie sich auf die Unterlippe, denn sie wusste nicht, wie sie Julien am Besten erklären sollte, dass sie ein Mädchen war. "Ähm, ... also ... du hast doch gedacht, dass Jenny meine Freundin wär. Was sie ja nicht ist. Also es ist nicht so, dass ... pfffft," überfordert ließ sie die Luft aus den Wangen und fuhr sich mit der rechten Hand über den Kopf. Warum war das nur so verdammt schwer? Es waren doch nur ein paar beschissene Worte. 'Ich bin ein Mädchen'. Mehr nicht.

"Hör zu Leo, du musst mir das nicht erklären, wenn du noch nicht bereit dazu bist." Verständnisvoll sah Julien sie an, da er dachte, dass Leo ihm beichten wollte sie wäre schwul.

Doch Leo kam nicht dazu, es Julien zu erklären oder zu sagen, da gerade ein Mann am Ende des Flures um die Ecke und auf die beiden zukam. Er schien so Mitte 30 zu sein und hatte ganz normal Jeans und Sweatshirt an.

"Hallo, Hauptkommissar Förster mein Name. Sie wollten eine Anzeige machen?"

"Ja, das bin ich." Leo stand auf und da Herr Förster ihr sofort die Hand hin hielt nahm sie diese entgegen und schüttelte sie kurz.

"Dann kommen sie bitte mit, mein Büro ist hier gleich um die Ecke."

Bevor Leo Herrn Förster folgte sah sie Julien noch mal an und meinte leise: "Bis gleich," was er erwiderte. So war Julien jetzt mit seinen Gedanken alleine, während Leo kurz darauf im Büro von Herrn Förster eine komplette Aussage machen durfte.

Am Anfang war der Hauptkommissar natürlich überrascht, dass Leo mit richtigem Namen Leonie hieß und somit ein Mädchen war. Daher fragte er auch nach, ob sie die Aussage lieber bei einer Frau machen wollte, was Leo aber egal war. Sie musste alles von Anfang an erzählen. Wie Mirko in ihr Leben getreten war, wie er sich verhalten und ab wann er sich verändert hatte, was es mit Tom und Jan auf sich hat, wie die Kids zu ihnen kamen, und und und. Einfach alles, wodurch sich die Befragung auch ziemlich hinzog. Die letzten acht Jahre zu erzählen, in denen für Leo und die anderen Kids - die zwar erst später kamen - war doch eine ganze Menge. Und so saß der arme Julien fast zwei Stunden alleine im Flur und wartete auf Leo, wie er es versprochen hatte, während Herr Förster sich alles anhörte und das Band es aufnahm. Nur gelegentlich wurde Leo unterbrochen, wenn dem Hauptkommissar etwas unklar war.

Auf den zweiten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt