Zukunftspläne

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Immer noch verwirrt aber um so erleichterter ging Leo runter in die Küche, wo sie tatsächlich auf Vince traf, der mit einer Tasse Tee am Küchentisch saß. Sein Handy in der Hand, auf dem er wohl gerade am schreiben war, blickte er auf, als er sie die Stufen runter kommen hörte.

"Guten Morgen, hast du gut geschlafen?" fragte er sie freundlich.

"Morgen. Ja danke, so gut wie seit Jahren nicht mehr," gab sie ihm grinsend die Antwort.

"Hmmmm," machte Vince, wobei er sie angrinste. "Du siehst auch wesentlich erholter aus." Beschämt senkte sie den Kopf. "Magst du eigentlich was frühstücken?" Wechselte Vince dann das Thema und stand auf, um zum Kühlschrank zu gehen, vor dem er sich noch mal nach ihr umdrehte.

"Ja gerne." Leo hatte langsam richtig Hunger, weswegen sie die Frage einfrig nickend annahm. So holte Vince aus dem Kühlschrank Brot, Margarine und etwas Wurst, sowie Käse. Dann fragte er sie, ob sie lieber Tee oder Kaffee wollte, was sie mit Kaffee beantwortete. Daraufhin zeigte Vince ihr, wie man den Kaffeeautomaten bedienen musste, damit sie sich für die Zukunft den Kaffee selber holen konnte und nicht auf einen der Jungs angewiesen war. Mit der fertig gebrühten Tasse des Koffeingetränkes setzten sie sich beide wieder an den Tisch. Vine an seinen vorherigen Platz, mit dem Blick zur Treppe und Leo ihm gegenüber. So hatten Julien und sie am Tag zuvor auch da gesessen, als sie wieder hierher zurück gekommen war, fiel es ihr ein. Nachdem sie sich eine Scheibe Brot mit Margarine und Wurst beschmiert, bzw. belegt hatte fing sie mit dem Essen an, bis Vince sie plötzlich ansprach.

"Darf ich dich was fragen?"

Überrascht und argwöhnisch sah Leo ihn an. "Klaaaar."

Diese lang gezogene Antwort ließ Vince kurz lachen. "Du heißt doch Leo, ist das richtig?" Zur Bestätigung nickte Leo langsam. "Ist das vielleicht ne Abkürzung?" fragte Vince vorsichtig, da er nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte. Als Leo wieder langsam nickte schlug er leicht mit der Hand auf den Tisch, worauf Leo sich erschreckte. "Ich wusste es," kam es erst von ihm, gefolgt von einem: "Oh sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Aber du bist ein Mädchen, hab ich Recht?"

"Hat Ju es euch denn nicht gesagt?" fragte sie verwundert.

In diesem Moment sah Vince sie nicht weniger verwirrt an. "Wieso sollte Ju es uns sagen?"

"Na, ich hab eben erst mit ihm im Wohnzimmer geredet, weil ich es ihm auch sagen wollte," dabei zeigte sie mit der Hand nach oben. "Er sagte, er wisse es schon und es wäre ihm egal was ich bin. Ich dachte, er hätte es euch schon gesagt."

"Ähm ... Ju weiß es schon? Was?" Jetzt verstand Vince gar nichts mehr. Gestern hatte Julien sich doch noch darüber Gedanken gemacht, dass Leo schwul sein könnte. "Ich dachte ..., " setzte Vince wieder an, schüttelte dann aber den Kopf, da er das gerade überhaupt nicht verstand.

"Ist das für dich schlimm?" fragte Leo vorsichtig und riss Vince damit aus seinen Gedanken.

"Was? Nein quatsch. Ich schließ mich Ju da vollkommen an. Es ist egal, ob du ein Junge, oder ein Mädchen bist. Wir helfen dir so oder so. Aber ich frag mich nur, warum du es uns nicht vorher gesagt hast."

Mit großem Interesse betrachtete Leo ihr Brot, welches vor ihr auf dem Teller lag, bevor sie antwortete: "Am Anfang wollte ich eure Hilfe nicht. Und ich hatte Angst, dass ihr mich nur ausnutzt, wenn ihr wisst, dass ich ein Mädchen bin. So, wie es alle getan haben. Und dann ... also als ich Ju um Hilfe gebeten habe ... ich dachte, er würde mir nicht helfen, wenn er wüsste, dass ich ein Mädchen bin. Irgendwie so ..."

Während Vince ihr zuhörte zog er grinsend eine Braue nach oben. "Und was hat dich jetzt dazu gebracht, es uns doch zu erzählen? Oder vielmehr es Ju zu erzählen."

Kurz musste Leo lachen und sie rollte mit den Augen."Hast du mich heute morgen schon mal angesehen? Ich bin so ausgeschlafen ... und meine Augen ... also ich meine ... ich seh mehr nach nem Mädchen aus, als nach nem Jungen. Also eigentlich wollte ich es ihm ja gestern schon sagen. Aber irgendwie ... ich wusste nicht wie. Und dann kam Herr Förster und ich musste die Anzeige machen. Und dann waren wir im Krankenhaus. Und dann ...," grinsend hob sie die Brauen und zog die Schultern hoch, als sie Vince' breites Grinsen bemerkte.

"Du bist ja doch gar nicht so stumm, wie ich dachte," sagte er schon fast lachend. Entschuldigend zuckte sie kurz die Schultern und sah Vince dann leicht lächelnd an, was er erwiderte.

Da Vince keine weiteren Fragen zu haben schien widmete Leo sich wieder ihrem Frühstück, während Vince seinen Tee trank und ihr nur Gesellschaft leistete. Gemeinsam räumten sie danach den Tisch ab und das Geschirr in die Spülmaschinne. "Ich hoffe, ich hab dich jetzt nicht von deiner Arbei abgehalten," versuchte Leo sich wieder zu entschuldigen, als sie mit Vince die Stufen aus der Küche nach oben ging.

"Keine Angst," beruhigte er sie. "Ich hab gestern noch ziemlich lange gearbeitet. Eigentlich bin ich mit der Musik fürs neue Video schon fast fertig."

"Und was machst du sonst so, wenn du nicht für Ju's Videos die Musik machst?" fragte sie interessiert. Beide hatten mittlerweile die Treppe zu den oberen Räumen betreten und während Vince vor ging gab er ihr die Angwort.

"Ich mache zum Beispiel mit Marius zusammen Musik - unter dem Namen 'The noise geeks'. Zusätzlich prodiziere ich noch für Filme oder Serien die Musik."

"Wow, also so ein richtiger Musikproduzent?" Sie standen gerade vor der Treppe zu Vince' Bereich, als sie das sagte, worauf er zu lachen anfing und sich kurz zu ihr umdrehte.

"Ja, ein richtiger Musikproduzent." Er lehnte sich mit dem Unterarm seines linkes Armes gegen die Säule, um die die Wendeltreppa nach oben führte und sah sie von der ersten Stufe aus nachdenklich an, was Leo nervös werden ließ. "Hast du dir eigentlich schon mal überlegt, was du jetzt machen willst? Also beruflich. Wobei - was hast du eigentlich für einen Abschluss?" fragte er sie dann.

Überrscht über diese Frage sah sie ihn an und wurde nachdenklich. "Hm, ja ... ich weiß nicht ... also ich hab die mittlere Reife. Und eigentlich war mein Zeugnis gar nicht so schlecht. Aber eine Ausbildung ...," sie verzog die Mundwinkel etwas nach unten, bevor sie weiter sprach. "Kaum dass ich mit der Schule fertig war musste ich komplett alle Aufgaben für Mirko erledigen. Ich hab Sport immer sehr gemocht ..."

Vince nickte kurz, dann drehte er sich wieder um und brachte die letzte Treppe zu seinem Reich hinter sich, zu dem Leo ihm folgte. Dort half sie ihm, die Couch auf zu räumen und wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen. Dann machte sie es sich im Schneidersitz wieder darauf bequem, während Vince vor seinem Rechner Platz nahm. Eine Weile unterhielten sie sich noch darüber, was Leo aus ihrem Abschluss und der Begeisterung für Sport anfangen könnte. Welche Ausbildung ihr gefallen könnte, oder ob sie doch lieber nochmal die Schulbank drücken wollte. Doch sie war definitiv gegen die Schulbank, daher fiel das schon mal flach.

"Ich werde aber jetzt noch etwas weiter arbeiten," meinte Vince dann, als es schon fast auf die Mittagszeit zu ging. "Ich möchte heute nämlich nach Hause zu meiner Familie."

"Du hast eine Familie?" Leo hatte gar nicht darüber nachgedacht, dass einer von ihnen vielleicht einen Partner oder sogar Kinder hätte, dass ihr diese Aussage so surreal vorkam.

"Ja," lachte Vince. "Eine fantastische Frau und zwei wundervolle Kinder."

Das ließ Leo wieder etwas nachdenklich werden, da ihr eine Beziehung, Kinder und alles, was dazu gehört bisher nie in den Sinn gekommen ist. Eigentlich ist es doch das, wovon die Menschen träumen. Den perfekten Partner zu finden, mit dem man dann Kinder bekommt und so weiter. Da stellte sie sich auch die Frage, ob sie überhaupt jemals Kinder wollte? Unweigerlich musste sie an Marco, Phillip, Marie und all die anderen denken, die jetzt bei Pflegefamilien oder im Heim waren. Nein, wurde es ihr mit einem Mal klar. Sie würde Kinder adoptieren. Kinder, die nicht gewollt waren oder die dieselbe Scheiße erleben mussten, wie sie alle selber. Das brachte sie auf eine Idee, worauf sie den Blick nach draussen ins Leere richtete und überlegte, ob ihre Idee auch umsetzbar wäre. Sie faßte den Entschluss, das in Erfahrung zu bringen. Morgen, wenn sie zur Polizei ginge, um die Anzeige zu unterschreiben und sich nach ihren Freunden zu erkundigen. Dann würde sie eh zum Jugendamt gehen, um sie zu besuchen, mit ihnen zu sprechen.

Auf den zweiten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt