Die richtigen Entscheidungen?

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In ihrem Kopf ratterten die Optionen. Eigentlich hatte sie sich schon zurecht gelgt, was sie Julien sagen sollte, aber es fühlte sich so falsch an. Erneut holte sie tief durch die Nase Luft und sah ihn dann mit einem gequälten Blick an, als sie sich entschieden hatte. "Als ich dort ankam hat Mirko wie versprochen Jenny raus gelassen. Es geht ihr soweit gut - bis auf eine aufgeplatzte Lippe, eine blutige Nase und ein paar blaue Flecken schien sie wohl nichts zu haben." Leo machte eine kurze Pause, in der sie einen Schluck von ihrem Kaffee nahm. Ihre Kehle fühlte sich ausgetrocknet an, weil sie so lange nichts mehr getrunken hatte und weil sie doch nervös war. "Mirko wollte dann mit mir reden. Wegen dem Shirt von dir. Und dann kam irgendwie eins zum anderen und Tom stand hinter mir und hat mich zu Fall gebracht und hat mich dann gewürgt und ich konnte mich nicht wehren, weil er auf meinen Armen kniete." Ihre Stimme wurde während dieses Vortrages immer schneller, worauf Julien Mühe hatte ihr zu folgen."Du hattest recht, wir hätten zur Polizei gehen sollen," endete sie, wieder langsamer und auch wesentlich leiser.

"Das können wir immer noch," versuchte Julien es genauso leise wie sie, bevor seine Stimme fester und lauter wurde."Leo, bei dem, was dir alles passiert ist ... bei den Verletzungen, die du hast ... lass uns zur Polizei gehen. Die können uns helfen und werden die Kids da raus holen."

"Ich ... da ist noch was ... was ... was Mirko von mir wollte," stotterte Leo und sie wusste, dass das jetzt der schwerste Part werden würde.

"Hm, ja?"

"Er weiß wer du bist. Er weiß, dass du mir geholfen hast und er wollte, dass ... dass," sie ließ die Luft aus den Wangen, bevor sie fort fuhr. Sie machte sich immer kleiner und spielte mit ihren Fingern unter dem Tisch, die sie auf ihren Oberschenkeln abgelegt hatte. "Er wollte dass ich dich beklaue." Juliens Lachen ließ Leo erstaunt die Augen aufreißen und ihn ansehen. "Was ist daran so lustig?"

"Sorry," brachte Julien immer noch lachend heraus. "Aber warum glauben alle, dass ich soviel Geld hätte? Nur weil ich YouTube mache, eine eigene Tanschule und einen Merchshop habe?" Belustigt sah er sie grinsend an. "Ich habe als YouTuber fünf Angestellte, die ich bezahlen muss. Zusätzlich zu meinen Ausgaben für die Drehs, der Miete und allem was dazu gehört. Da bleibt von dem ach so großen YouTube money nicht viel übrig. Und die Bamschool ist noch ganz am Anfang. Da decken sich die Einnahmen momentan mit den Ausgaben. Also ich muss diesen Mirko leider enttäuschen - bei mir ist nichts zu holen."

Leo's Blick wurde nachdenklich, als sie ihm zuhörte und ihn dabei ansah. "Uff, damit hätte ich aber auch nicht gerechnet. Aber wenn du es so erklärst - klar. An die Ausgaben denkt man nicht. Man sieht nur die Einnahmen."

"Ja," nickte Julien. "Und genau deswegen denken auch alle, dass ich so viel Geld verdiene, nur weil ich fast fünf Millionen Abonnenten habe. Aber die Abonnenten machen nicht die Einnahmen. Die Klicks sind es. Aber auch da fängt es erst ab einer bestimmten Anzahl Klicks an zu zählen, wobei das dann auch nicht wirklich viel ist, was man für jeden Klick bekommt." Entspannt lehnte er sich nach hinten und verschränkte die Arme vor der Brust. "Also? Wie machen wir es jetzt? Gehen wir zur Polizei und zeigen diesen Mirko und seine Handlanger an oder willst du dich weiterhin von denen verprügeln und für ihre Drecksjobs ausnehmen lassen? Du musst dich entscheiden Leo. Wenn du dich für eine Anzeige entscheidest dann helfe ich dir. Und ich denke, mein Team wird dann ebenso hinter dir stehen. Aber wenn du dich dagegen entscheidest, dann musst du diesen Weg alleine gehen, so leid es mir tut. Ich will dir helfen, aber wenn du meine Hilfe nicht willst ..."

Leo hatte Julien während seiner Worte genau beobachtet. Auch sie hatte sich jetzt in ihrem Stuhl zurück gelehnt, hatte den Kopf etwas zur Seite geneigt und die Brauen zusammen gezogen. Sie war es nicht gewohnt, dass ihr jemand helfen wollte, daher fragte sie sich nach dem Grund.

"Was ist?" fragte Julien lachend, da ihre Mimik einfach nur zu witzig war.

"Ich frage mich gerade nur, warum du das für mich tust?"

Kurz zuckte Julien mit den Schultern, bevor er ihr antwortete: "Du brauchtest Hilfe. Ich kann dir nicht sagen warum ich dir helfe - so bin ich einfach. Wenn ich helfen kann, dann mach ich das. So einfach ist das."

"So einfach ist das aber nicht für jeden. Die wenigsten Menschen helfen anderen. Normalerweise denkt jeder erst mal an sich selbst."

"Aber mein Team und ich wollen dir helfen. Also liegt es jetzt an dir zu entscheiden." Eindringlich sah Julien sie an. Als Leo dann nickte stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht, was breiter wurde als sie ihm die Anwort gab.

"Okay, wir gehen zur Polizei."

Diesmal nickte Julien. "Gut, dann frühstücke du erst mal und ich gehe in der Zeit hoch zu Marius. Wenn du fertig bist kannst du gerne nach kommen, dann können wir auch zur Polizei gehen. Und ich würde sagen, dass wir dann die anderen informieren. Sie sollten wissen, was noch auf uns zukommt, denn schließlich sind wir ein Team."

Wieder musste Leo sich eingestehen, dass Julien Recht hatte. Dabei war es ihr schon unangenehm genug gewesen alles Julien zu erzählen. Aber zu ihm hatte sie Vertrauen - warum auch immer - von daher war es ihr bei ihm leichter gefallen. Aber die Vorstellung, all das Geschehene auch noch seinem gesamten Team zu sagen, dabei fühlte sie sich irgendwie bloß gestellt.

"Könntest du nicht ...," fing sie stotternd an, während sie es kaum wagte ihn an zu sehen.

"Du meinst es ihnen sagen?" fragte er nach, worauf er ein nicken als Antwort bekam. "Ja klar, kann ich machen." Das dankbare Lächeln, was Leo ihm zuwarf ließ Julien grinsen und sein Herz erwärmte sich, sodass er kurz in Versuchung geriet, sie tröstend in den Arm zu nehmen. Jedoch verwarf er den Gedanken gleich, da Leo ja kein kleiner Junge war, den man beschützend an sich drücken musste. So zumindest empfand Julien es in dem Moment. Nicht ahnend, dass dieser Junge vor ihm doch eigentlich ein Mädchen war, was durch dieses Lächeln gerade seine ganze Emotionswelt in Frage stellte.

Daher stand Julien auf, ging um den Tisch und reichte Leo die Hand, in die sie einschlug. Es fühlte sich so gut an, Leo's Hand zu halten und in diese grünen Augen zu blicken, dass es Julien schon fast einen Stich versetzte, als er sich löste, um nach oben zu Marius zu gehen. Bevor er ins Büro trat, wo Marius bereits an seinem Rechner saß, blickte er noch einmal nach rechts, wo unten die Küche lag, ohne allerdings diese selbst oder irgend etwas anderes zu sehen.

Im Büro tippte er Marius auf die Schulter, da dieser über seine Kopfhörer mal wieder so laut Musik hörte, dass er selbst ein Heavy Metal Konzert direkt neben sich nicht mitbekommen würde. Fragend sah Marius zu Julien und nahm langsam die Ohrmuscheln ab.

"Wir müssen was bereden," sprach Julien. "Wegen Leo."

"Oooookayyyyy," kam es gedehnt und mit einem unveränderten Gesichtsausdruck. "Was ist mit ihm?"

Während Julien sich auf Passis Stuhl nieder ließ, der den Platz rechts neben Marius hatte, begann er zu erzählen, was er von Leo alles wusste. Warum sie Leo vor einigen Tagen vor dem Typen gerette hatten, wieso sie Julien kontaktiert und um Hilfe gebeten hatte. Und letztendlich auch, warum sie gestern Nacht gegangen und heute wieder aufgetaucht war. Marius Augen wurden bei Julien's Schilderungen immer größer und seine Gesichtsfarbe glich mittlerweile eher der der Wand.

Erst als Julien damit endete, dass Leo sich für eine Anzeige entschieden hatte sagte auch Marius etwas dazu. "Puh, das ist echt heavy. Ich hab ja schon geahnt, dass er irgendwelche Probleme hat. Wegen der Aktion mit dem Typen und wegen dem Arm. Aber dass es so krass ist hätte ich echt nicht gedacht." Die Luft aus den Wangen lassend verschränkte Marius seine Hände hinter seinem Nacken und sah Julien an. "Also wenn du irgendwelche Hilfe brauchst, dann kannst du natürlich immer auf mich zählen"

"Das weiß ich doch Bro, aber danke. Ich hoffe nur, dass das alles so klappt, wie ich es Leo versprochen hab. Wenn die Polizei die nicht sofort verhaftet ist Leo auf jeden Fall in Gefahr. Und ich dann wahrscheinlich auch, da Mirko wohl weiß von wem Leo die Klamotten hatte."

"Na dann sei mal froh, dass dein Haus mit einer Alarmanlage ausgestattet ist," stellte Marius fest und klopfte Julien dabei auf die Schulter, worauf dieser nur nicken konnte.

Auf den zweiten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt