9. Verrückt

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Jungkook P.o.V

Kichernd nickte ich. "Ja! Ich schwöre es euch!", bestätigte ich und lachte laut, als Jins Kinn runter klappte. "Du bist...", Hoseok, welcher genau so verstört aussah übernahm den Rest, "Vier Kilometer einem Schmetterling hinterher gelaufen?" Jimin schnappte prustend nach Luft und beugte ich nach vorne, ich stimmte in sein lautes Lachen ein, während Jin und Hobi mich immer noch traumatisiert anstarrten. "Ich war ein merkwürdiges Kind, okay?", lachte ich und schüttelte den Kopf. "Junge! Ich glaube ich habe noch nie jemanden getroffen, der so in seiner eigenen Welt lebt, wie du! Wie konntest du nicht bemerken, dass du vier Kilometer gerannt bist?!", prustete Jimin und klatschte sich gegens Knie. "Keine Ahnung! Der Schmetterling war halt schön!", entrüstete ich mich witzelnd, während Lachtränen aus meinen Augen quollen.

Die Klingel unterbrach leider bereits viel zu früh die kleine Pause. Enttäuscht blickte ich zu meiner Uhr. Noch eine Stunde Geschichte und eine Stunde Geographie, dann wäre Mittagspause. "Na gut, wir müssen gehen. Man sieht sich!", grinsend nahm Hobi den immer noch wild kichernden Jimin am Handgelenk und zerrte ihn durchs Gebäude, bis ich und Jin sie nicht mehr sahen. Lächelnd wandte dieser sich an mich und schüttelte ungläubig den Kopf. "Du bist echt verrückt, Jungkook!" Sofort erstarrte mein Lachen. Ich spürte, wie meine Wangen schmerzhaft nach oben gezogen wurden, während ich versuchte das Grinsen weiter beizubehalten. Seokjin trottete lächelnd an mir vorbei und setzte sich auf seinen Platz. Ich ließ mich auf meinem nieder.

Verrückt.

Erinnerungen versuchten sich hoch zu kämpfen. Von ekelhaft verzogenen Gesichtern. Von gehässigen Kindern. Von schreienden Mitschülern. Verrückt. Das Wort stieß mir die Galle hoch und ich merkte, wie ich blass um die Nase wurde. Ich verabscheute dieses Wort. Diese acht Buchstaben, welche für längere Zeit mein Merkmal gewesen waren. Erst vor einigen Monaten war ich hier her gezogen. Um genau dem zu entkommen. Meinem Früheren-Ich. Dem verrückten Freak. 

"Hey, ist alles okay? Du siehst etwas blass aus", die tiefe Stimme Taes durchbrach meine Gedankengänge. Ich blinzelte leicht und blickte zu ihm. "Ähm... Ja, alles bestens...", murmelte ich leise, während mein Blick immer noch starr auf den Tisch gerichtet war. Die Geräusche im Saal schienen mir zu viel zu werden. Die Schüler zu laut. Der Raum zu voll. Ich hatte das Gefühl langsam die Kontrolle zu verlieren. Tränen traten in meine Augen, während ich starr in meinen Schoß starrte. Alle Hintergrundgeräusche verschlangen mich. Vor meinem Blickfeld erschienen schwarze Punkte und ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Verrückt. Ich atmete röchelnd ein, während ich zittrig nach meinem Desinfektionsmittel griff. Ich zog hastig die Handschuhe aus und schmierte die halbe Flasche auf meine Hände. Das Mittel tropfte überall hin. 

Trotzdem fühlte ich mich so ekelhaft schmutzig.

Auf der Bank landeten dicke Tropfen, während ich immer noch zitternd meine Handschuhe anzog. Diese wurden augenblicklich nass und klebrig, unterstrichen dabei mein Gefühl, viel zu dreckig zu sein. Tränen brannten auf meinem Gesicht, tropften von meinen Wangen und sammelten sich in der verschmierten Pfütze Desinfektionsmittel. Meine Lippe fing an zu beben, als Taehyung unter seinem Atem fluchte. Etwas raschelte, dann hob er die Hand. "Miss. Lin! Jungkook hat schreckliche Kopfschmerzen, ich werde in zum Sekretariat begleiten." "Oh, na gut, aber kommen sie wieder zurück, Mr. Kim!"

Etwas umgriff meine zitternde, von Alkohol tropfende Hand. Ich zuckte augenblicklich zusammen und wollte sie ihm entreißen, doch Taehyung ließ nicht los. Panik breitete sich in mir aus, während er mich aus dem Klassenzimmer zog. "N-Nein... Schmutzig!", wimmerte ich und blickte aus Tränen verschleierten Augen zu dem Braunhaarigen. Doch dieser ignorierte mich gekonnt. Ein Zittern umgriff mich und zwang mich in die Knie. Fluchend blieb Taehyung endlich stehen und hockte sich neben mich. Ich schluchzte laut und umklammerte meinen Kopf. So dreckig. 

"Hey. Hey, Jungkook! Schau mich an. Sieh her!", seine sanfte aber bestimmte Stimme schaffte es sich durch meine wirren Gedanken zu kämpfen. Wimmernd blickte ich hoch. "Shhh, atme tief durch. Alles ist okay, ja? Ich berühre dich nicht, siehst du?", wie zum Beweis hielt er die Hände hoch, welche von Handschuhen umhüllt worden. Ich schluchzte noch lauter und schüttelte wie wild den Kopf, dann fing ich an nervös an meiner Kopfhaut zu kratzen. Ich musste den Schmutz los werden. Die Bakterien. "Nein, Jungkook. Sieh zu mir!", die dunkle Stimme versuchte vehement einen Weg in meinen Kopf zu finden. Leicht blickte ich hoch. Sah aus verklärten Augen zu dem Jungen, welcher mit ein wenig Abstand zu mir auf dem Boden hockte. "Alles ist gut, ja? Niemand berührt dich, du wirst nicht schmutzig. Ich werde dich nicht anfassen, meine Bakterien kommen nicht zu dir, ja?"

Wimmernd schüttelte ich den Kopf. Nein! Er verstand es einfach nicht. "Nein, nein, nein...", schluchzte ich heiser, dann sah ich wieder hoch und fing an noch heftiger zu weinen. "Du machst mich nicht schmutzig, ich mache dich schmutzig!", heulte ich laut und riss an meinem Haar. Warum schien niemand zu verstehen, dass ich mich nur vor Schmutz versuchte zu beschützen, um nicht noch viel schmutziger zu werden?! Ich war bereits verseucht. Ekelhaft. Verrückt. Taehyung stockte. "Hey, du bist nicht schmutzig!", erklärte er mir sanft und blickte besorgt zu mir. Ich kniff die Augen zusammen, ich wollte den Ekel in seinem Gesicht nicht sehen. "Okay, hör mir zu, Jungkook. Ich werde dich jetzt berühren, ja?", verstört schüttelte ich den Kopf. "Wirst schmutzig von mir! Verseucht...", raunte ich heiser und wimmerte.

"Nein. Werde ich nicht. Siehst du?" Und schon landete eine Handschuh bepackte Hand an meinem Arm. Ich versteifte mich und mein Atem ging augenblicklich hastiger. Er hob die Hand wieder und hielt sie mir wie zum Beweis vors Gesicht. "Keine Schmutzflecken, kein Abschaum. Du bist nicht schmutzig!" Mir stockte der Atem und meine Augen wurden rund. Tatsächlich sah ich keine Rückstände meiner Seuche. Erneut entfloh mir ein Wimmern und ich schüttelte panisch den Kopf. "Du musst dir die Hände waschen! Ich habe dich beschmutzt.", flüsterte ich und schluchzte bitterlich. Nur weil ich die Bakterien nicht sah, hieß das noch lange nicht, dass sie nicht da waren.

Taehyung verengte wütend seine Augen.

"Jetzt hör mir mal zu, du bist der niedlichste, perfekteste, sauberste Junge den ich kenne! Du bist in absolut keinem Fall dreckig!", knurrte er und riss mich am Arm hoch. Ich wollte mich bereits von ihm losreißen, als mich seine Arme umschlangen und fest gegen sich drückten. Mir blieb die Luft weg und ich hatte das Gefühl in Ohnmacht zu fallen. Schmutz. Bakterien. Ekel. Verrückt. "Ich werde nicht schmutzig durch dich!", flüsterte mir der Größere ins Ohr und presste mich fester gegen sich. Meine Atemwege wurden zugeschnürt und ich dachte zu ersticken von all den Bakterien, als mir etwas auffiel. 

Taehyung lebte noch. 

Er schien auch nicht krank.

Oder schmutzig.

Verwirrt blickte ich zu ihm, während er mich immer noch fest umklammerte. Mein Schmutz schien sich nicht auf ihn abzufärben. "A-Aber ich...", entsetzt riss ich die Augen auf und schüttelte den Kopf. Wie war das möglich? Meine Seuche müsste ihn doch schon längst erfasst haben! "Siehst du? Ich bin nicht schmutzig geworden.", er lächelte mich beruhigend an und hielt mich weiterhin an sich gedrückt. Mein Atem beschleunigte sich. Seine Körperhitze drang durch unsere Kleidung. Sie umhüllte mich und ließ mich tief seufzen. Das fühlte sich irgendwie gut an. Für einen Moment schloss ich die Augen und ließ meine Stirn zaghaft gegen seine Schulter sinken, wobei ich natürlich versuchte, seine Haut nicht zu berühren. Nach einer Weile jedoch löste ich mich wieder von ihm. Nicht dass mein Schmutz ihn doch noch berührte.

"Also, ich fahre dich jetzt Heim. Und da wirst du dich hinlegen und etwas schlafen, klar?", seine düstere Stimme ummantelte mich, während seine Hand sich um meine legte. Wärme pulsierte durch den Stoff. Ich nickte benommen und blinzelte verwirrt. Er berührte mich. Er hatte mich umarmt. Und ihm ging es gut. Und mir ging es auch gut. 

Vielleicht war meine Seuche doch nicht so schlimm?

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Für die die es noch nicht wissen, Leute mit Mysophobie haben öfters ein traumatisches Erlebnis gehabt, welches sie mit dem Gedanken prägte schmutzig zu sein oder keine Kontrolle zu haben! Wollte ich bloß kurz erklären... Bis dann und voten nicht vergessen, eure M&M's ;)

1359 Wörter

Dirty. ᵛᵏᵒᵒᵏWo Geschichten leben. Entdecke jetzt