12 | Frère

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Bevor ich, keine Stunde später, die Anwaltskanzlei betrat, beschlich mich die Vermutung, dass Jaden womöglich in seinem Büro geschlafen hatte. Also beeilte ich mich noch Kaffe für mich und ihn zu kaufen. Immerhin war es noch ziemlich früh, keiner der Angestellten kam vor sieben. Also eilte ich aus der U-Bahnstation Oxford Circus Underground Station in das nächste Cafe.

Zu meiner großen Enttäuschung musste ich feststellen, dass ich bereits in der Eingangstür hinter einer Schlange Wartender zum Stehen kam. Mit einem Stöhnen verdrehte ich die Augen. »Valerie«, Millie Elversons Stimme klang bittersüß abschätzig. Meine nicht gerade höfliche Arbeitskollegin musterte mich belustigt, als sie auf dem Weg nach draußen vor mir stehen blieb. In ihren beiden Händen zwei mittelgroße Latte Macchiatos. »Was willst du denn schon so früh hier?«, ihre Frage klang gehässig.

Ich wich ihrem giftigen Blick geschickt aus und antwortete knapp »Ich kaufe Kaffee. Und du?«. Ihre rot geschminkten Lippen verzogen sich zu einem strahlenden Lächeln, als wollte sie die folgenden Worte schon die ganze Zeit laut aussprechen »Ich? Ich bin schon so früh hier, weil Jaden mir geschrieben hat. Er wollte, dass seine Lieblings Anwaltsgehilfin ihm Kaffee ins Büro bringt«. Verunsichert versuchte ich so zu tun, als hätte mich das keines Wegs gekränkt. Millie setzte unbeirrt fort »Wie auch immer, wir sehen uns in der Kanzlei«. Mit einem arroganten Blick setzte sie ihren Weg fort und stolzierte förmlich aus dem kleinen Cafe.

Ich ließ meine Schultern entmutigt sinken. »Verflucht«, zischte ich leise und stürmte nach draußen. Mit geballten Fäusten ging ich Richtung Kanzlei. Ich hasste sie. Eine kochende Wut stieg in mir auf und vernebelte meine Gedanken. Mit hochrotem Kopf betrat ich den Aufzug und drückte, ohne mich umzusehen, auf den Knopf mit der Aufschrift Nr. 9 - Lankford & Sons. Die metallenen Türen schlossen sich mit einem leisen Surren. »Ebenfalls Guten Morgen«, die unbekannte Stimme unmittelbar neben mir klang freundlich. Überrascht wandte ich meinen Kopf nach Links. »Äh... em... ebenfalls«, stotterte ich und senkte beschämt meine Blick auf den mit rotem Teppich ausgelegten Boden.

Der junge Mann im dunkelblauen Anzug setzte die Konversation trotz meines offensichtlichen Desinteresses fort »Sie arbeiten bei Lankford & Sons?«. Ich hob meinen Kopf ein wenig und sah in der Spiegelung der Aufzugtüren, dass der junge Mann Jaden stark ähnelte. Mit einem hastigen Nicken sagte ich »Ja, seit kurzem«. Der Aufzug blieb stehen. »Ich bin Raymond Lankford, der ältere Sohn von James Lankford«, Raymond reichte mir die Hand. Höflich erwiderte ich seine Geste »Valerie Acaster«.

Seine freundlichen dunkelbraunen Augen musterten mich nachdenklich »Valerie«, wiederholte er leise. Wir beide verließen wortlos den Aufzug. Bevor wir jedoch in zwei verschiedene Richtung davon gingen, sagte er sich plötzlich zu mir »Ich glaube ich weiß jetzt wer Sie sind, die neue Assistentin von meinem Bruder. Ich entschuldige mich schon im Vorhinein für sein flegelhaftes Benehmen. Er war schon immer der kindischere von uns beiden gewesen«. Mit einem flüchtigen Lächeln verabschiedete ich mich daraufhin von ihm.

JadenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt