Es war nicht mehr richtig, nicht mehr vollständig, sein Apartment. Als würde man alle Möbel heraus genommen haben, oder man hätte jegliche Farbe aus den Wänden und dem Interieur genommen, so ließe es sich am Besten beschreiben. Dabei war es nur Sunny, die nun verschwunden war. Und mit ihr eine Wärme, die Taehyung schon sehr lange nicht mehr gespürt hatte.
Irgendwie machte er sich Vorwürfe. Er wurde das Gefühl nicht los, vorhin viel zu harsch gewesen zu sein. Jedenfalls zu ihr, nicht zu seinem Vater. Er seufzte genervt. Und schon wieder war es dieser Mann, der irgendwie mit den schlimmen Dingen in seinem Leben zusammenhing.
Es war kurz vor fünf Uhr morgens. Langsam ließ er sich auf dem Klavierhocker nieder, klappte die dunkle Abdeckung dann wieder zurück. Seine Finger fuhren über die Tastatur. Er hat ihn genossen, den Abend und die Nacht, Er hat die Zeit mit der Frau genossen, die sich bis vor Kurzem noch in seiner Gesellschaft befunden hat. Zaghaft drückte er eine der elfenbeinfarbenen Tasten hinunter und lauschte dem einzelnen Ton. So laut wie ertönte, verklang er auch wieder. Er war ein Bestandteil, ohne Zusammenhang und Vorgaben, an die er sich zu richten hatte, wirkte fast schon unförmig, wenn man ihn aus dem gesamten Lied heraus nahm. Auf der anderen Seite würde die Melodie aber ganz komisch schief klingen, würde man diesen Ton komplett streichen.
Taehyung verstand manche Zusammenhänge dieser Welt nicht und war auch nicht besonders erpicht darauf, diesen noch länger nachzuhängen. Denn sein Vater war der Beleg dafür. Sein Leben lang hat er versucht herauszufinden, wieso er Taeyang als einziger Sohn nie genug war und zugleich wieso sein Vater so war wie er war. Seine Kindheit hat er damit zugebracht, vergebens um Aufmerksamkeit zu kämpfen, die frühen Jahre seiner Jugend damit verschwendet, einem Versager in den Arsch zu kriechen. Das war ebenfalls einer der Gründe, wieso er nicht gerne über seine Vergangenheit sprach. Zu viele Dinge, die man vergessen sollte, die lieber für ihn gestorben bleiben sollten.
,,Dann war der Tag nicht bedeutungslos."
Ihre Stimme hallte in seinen Gedanken wieder, die Erinnerung war so frisch, dass er sich genau vorstellen konnte, wie sie ihn angesehen hatte, wie sie nach seinem Shampoo geduftet hatte. Sein Blick lag auf dem umgedrehten Foto. Vorsichtig nahm er den Rahmen zu sich und zwang sich zu einem weiteren Betrachten einer Erinnerung, die er nie hat machen wollen.
Er weiß noch genau, wie er sich dagegen gesträubt hatte, zum Angeln zu fahren. Aber sie war da gewesen, das Mädchen, dessen Namen er nie wieder aussprechen würde. Und sie hat ihn dazu überredet, mit einem einzigen Lächeln und er hatte eingewilligt. Sie hat das Foto geschossen. Sie hat sich gewünscht, der verlorenen Sohn könnte endlich zu seinem Vater zurückkehren, der erst viel zu spät erkannte, wer immer um seine Aufmerksamkeit gekämpft hatte.
Kopfschüttelnd stellte er das Bild dann wieder auf, starrte auf die Lächelnden Gesichter seines Vaters und sich selbst. Er hasste diesen Mann. Wäre es dabei geblieben, dass er seine Jugend ruiniert hatte, hätte er ihm vielleicht irgendwann verzeihen können. Doch er hat sie mit in den Tod gerissen, bei dem Autounfall damals. Er hat ihm vor acht Jahren den Engel genommen, der ihm zeigte, dass das Loch in dem er geglaubt hatte zu liegen, gar nicht so tief gewesen war. Der beste Tag seines Lebens, an dem sein Vater verunglückte, war zugleich sein größter Tiefpunkt, da ihm sogleich der Mensch genommen wurde, den er förmlich angehimmelt hatte.
Taehyung fuhr sich mehrmals durch seine Haare. Und jetzt war sein Vater, seine Abneigung auch nur ein Wort über dieses Scheusal zu verlieren, indirekt der Grund gewesen, wieso ihm genau so ein Engel eben einfach aus der Tür marschiert ist. Es war nicht der Sex mit Sunny, auch wenn er wirklich schrecklich gut war - es waren auch nicht die Abende, an denen er sie ausführte, die Shows, an denen er sie verzückt musterte oder ihre Unterhaltung im Auto. Jedenfalls nicht nur. Irgendwie waren sie bestimmt ein Teil des Ganzen, wie einzelne Töne, die alleine zwar schon schön aber nicht fest waren, keine Form hatten und keiner Melodie angehörten. Spielte man sie gemeinsam ab, erklang das Lied, das ihm die Seele aufgehen ließ. Und hörte er dem Lied zu, dann war es ihm möglich, alles auszublenden.
Er vergaß den Groll den er auf seinen verstorbenen Vater hegte, die Trauer eines Verlustes, den er noch nie verkraftet hatte und seine jetzigen Pflichten als CEO der KIMcompany. Er war einfach glücklich, wenn er neben ihr lag und sie neben sich spüren konnte. Sie war seine Illusion, sie war sein Trugbild der Utopie, die er sich schon unzählige Mal herbei gewünscht hatte. Und er wollte sie nicht auch noch verlieren, sie war doch die Einzige, die ihm noch blieb.
Sein Handy summte, er schaute sofort drauf, sein Puls beschleunigte sich. Aber er sank fast schon enttäuscht in sich zusammen, als es nur sein Assistent war. Er warf dem Bild einen letzten Blick zu, ehe er aufstand und den Anruf annahm, der sich wieder um die Arbeit drehen würde. Er stand auf und deckte den Flügel wieder sorgfältig ab. Während ihn Yoongi nach dem heutigen Tagesplan fragte und einige Termine vorlas, sammelte er sich vernünftig.
Sie war seine Utopie, das war wohl war. Aber eine erschreckende Entdeckung, musste er ebenfalls machen: Würde sie gehen, würde seine Realität sich in eine Dystopie wandeln, eine Welt, in der ihm nichts mehr wirklich Freude bereiten könnte, bis auf die leere Macht, das wertlose Geld und den gefühllosen Sex.
Denn erst jetzt, acht Jahre später und Wochen nach der letzten gemeinsam Party mit Jungkook, kam ihm die Unterhaltung wieder in den Sinn, die sie damals bei dem Billiardspiel geführt hatten. Denn jetzt wurde auch ihm bewusst, dass die wahre Liebe wahrhaft das Beste war, das einem Jeden passieren konnte.
Kim Taehyung
Es dauert nicht mehr lange, dann wird aus seiner Angst die Wahrheit. Denn das, was für ihn so unheimlich utopisch wirkt, ist im Kern genau das Gegenteil.
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ILLUSIONIST || kth.
Fanfiction,,Es gehörte alles zu meiner Vorstellung, meiner Show. Von der ersten Berührung, bis hin zu eben diesem Moment." -,,Du meinst also alles war eine Lüge? Deine Liebe sei eine Lüge?" ,,Die Liebe, Taehyung, ist eine perfekte Illusion." [Inspiriert von d...