siebenundsechzig

92 20 20
                                    

Sie sprach mit den Ärzten, die ihr versicherten, dass Hoseoks Zustand stabil sei und sie ihn ohne jeden Zweifel für einige Stunden alleine lassen könnten. Somit waren es Taehyung und Sunny, die nun die Treppen des großen Krankenhauses hinunter gingen, Krankenschwestern und Patienten auswichen und zugleich verwunderte Blicke auf sich zogen.

Kein Wunder, denn beide sahen so aus, als wären sie entflohene Darsteller eines Actionfilmes, in dem es diverse Explosionen und Blutbäder gegeben hatte. Sunny sah noch etwas mitgenommener aus, als ihr Begleiter, allerdings war ihnen ihr Aussehen in diesem Moment so egal.

,,Wohin gehen wir jetzt?", fragte er sie leise, sah zu ihr herunter, während sie einige Meter vor dem großen Ausgang stehen geblieben war und ein wenig unsicher zur Tür schaute. Sie zuckte mit den Schultern, rang sich ein kleines Lächeln ab.

,,Ich schätze, ich bin obdachlos. Ich wohne nicht mehr bei meinem Mitbewohner."

,,Du hattest einen..?-", er verstummte, als er ihren Blick erkannte, der in Verbindung mit dem Genannten nichts anderes als Schmerz, Reue und Bedauern ausdrückte. Er straffte die Schultern und räusperte sich leise.

,,Hey.. das ist doch kein Problem. Du kommst einfach mit zu mir.. bis du was Neues gefunden hast", hing er das Ende noch schnell an den Satz, obwohl es ihm sogar mehr als Recht wäre, sie von nun an immer um sich herum zu haben. Er konnte aber auch verstehen, wenn sie erst mal ihren Platz bräuchte, denn überstürzen wollte er diesmal keineswegs.

,,Dürfte ich wirklich?", fragte sie und sah dankbar zu Taehyung hoch, der ihr zuzwinkerte und dann sein Smartphone aus der Jackentasche zückte, um die Nummer seines besten Freundes zu wählen.

,,Aber natürlich. Ich rufe eben jemanden an, der uns fährt. Und ich kann ihn auch bitten, dir ein paar Klamotten mitzubringen..", bemerkte er, als er nach Eingeben der Nummer das Handy an sein Ohr hielt und sie mit einem frechen Schmunzeln musterte, auf ihr dünnes, figurbetontes Kostüm anspielte, welches unter der Winterjacke durchschimmerte: ,,... obwohl ich wirklich kein Problem damit hätte, wenn du weiter so rumläufst."

,,Nein, eine Hose wäre wirklich, wirklich toll", meinte sie augenverdrehend, schaute an sich herab und bemerkte die Risse in der dünnen Nylonstrumpfhose. Während Taehyung sich einige Schritte von ihr entfernte und seinen Freund anrief, alles abklärte, runzelte sie die Stirn. Wenn sie sich genauer betrachtete, dann zierten ihre Beine und Arme sehr viel mehr bläuliche Flecken, als sie vorher angenommen hatte. Zudem dröhnte ihr der Kopf ein wenig und sie hatte sehr viel mehr Blut an den Händen, als sie in der dunklen Nacht hat erkennen können.

Sie erstarrte. Es war nicht nur Hoseoks Blut, es war auch das von Namjoon. Dem Mann, dem sie ihr Leben verdankte und dessen Leiche sie in dem Haus, in dem Salon zurück gelassen hatte. Schuldgefühle krochen ihren Rücken langsam hinauf, hinterließen ein unwohles, eisiges Gefühl auf ihrer Haut, als würde man an einigen Stellen Eiswürfel auf ihren Körper pressen.

,,Jungkook wird in einer Viertelstunde hier sein", meldete sich Taehyung wieder zurück, merkte jedoch sofort, dass ihr ein Gedanke durch den Kopf schwirren müsste, der ganz und gar nicht erfreulich zu sein schien.

,,Wo ist er?", fragte Sunny, ihre Stimme war ganz rau.

,,Wo ist Namjoon."

,,Nicht mehr im Haus", beruhigte Taehyung sie und legte seine Hand auf ihre Schulter, zog sie zu sich und platzierte sein Kinn auf ihrem Kopf, schloss die Augen: ,,Seine Beerdigung wird Anfang Januar sein, im neuen Jahr."

Sie erwiderte die Umarmung, hielt sich an ihm fest und nickte kaum merklich.

,,Er hat mir das Leben gerettet. Ohne ihn wäre ich..", sie musste den Satz nicht beenden, denn Taehyung konnte sich sehr gut vorstellen, was seine Mutter getan hätte.

ILLUSIONIST || kth.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt