vierundsechzig

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Sie war seit acht Jahren nicht mehr in einem Krankenhaus gewesen. Und jetzt schüchterte sie der strenge, sterile Geruch, der in der Notaufnahme herrschte, mehr ein, als sie es gebrauchen könnte. Sie hatte Hoseok verloren, in der Armee an Ärzten, die über ihn herfielen und ihn schnell aus dem Raum schafften, noch bevor sie sich hatte verabschieden können. Sie verspürte den Wunsch, sich selbst zu schlagen, für den Gedanken, dass er tatsächlich sterben würde. Denn das könnte er nicht.. sie brauchte ihn doch.

Sie sank an der Tür zu Boden, durch die sie ihrem Partner nicht hat folgen dürfen. Sie liebte ihn, liebte ihn wie einen Bruder. Sie würde nie wollen, dass ihm was zustößt. Aber dadurch, dass sie ihm irgendwo auch ihr Wort gab, seine Liebe zu erwidern, fühlte sie sich schuldiger denn je. Sie war Schuld an Allem. Allein wegen ihrem Wunsch, ihren Zielen, gab es das ganze Theater, starb sogar Namjoon und Ho- nein.

Sunny rieb sich durch ihr Gesicht und presste die Lippen aufeinander, um nicht los zu schluchzen. Er würde überleben. Und es würde Alles gut werden. Sie müsse wenigstens versuchen es positiv zu sehen, doch gerade war es so unheimlich schwer, das zu tun. Es war immer Hoseoks Part gewesen, sie aufzumuntern, ihr ihre Ängste zu nehmen und mit seinen beruhigenden Worten auf sie einzureden, dass am Ende wirklich alles glatt lief. Und jetzt war sie wieder auf sich gestellt. Wieder vollkommen alleine.

Ihr Kopf lehnte an der Wand, sie starrte an die Wund und behielt zwischendurch die Uhr im Blick. Hobi befand sich im OP, bereits seit einigen Stunden. Aber das war ja etwas Gutes, oder? Schließlich bedeutete dies, dass er noch lebte, oder zumindest die Hoffnung noch nicht aufgegeben war..

Ihr schossen so viele Erinnerungen durch den Kopf, die ganzen Momente des Abends und der Nacht wurden erst jetzt, wo sie sich auf ihre gleichmäßige Atmung konzentrierte, richtig verarbeitet. So viel Schlimmes, so viele Missverständnisse über einen dermaßen langen Zeitraum, nur weil auch sie zu leichtgläubig gewesen war. Sie dachte immer, sie wäre eine Meisterin der Illusionen und ist dabei eine der ahnungslosesten Personen gewesen, eine derjenigen, die bereits zu Anfang von einem Falschbild verzaubert wurde. Sie war ebenfalls eine, die dem Muster der Menschen folgte und Dinge glaubte, die beim Zweiten mal so unsinnig erschienen - und trotzdem, ob nun durch ihre Sturheit oder Blindheit, war sie völlig unberührt von anderen Meinungen und Einstellungen. Die Welt heutzutage bestand nun mal aus diversen Illusionen, Lügen und leeren Versprechen. Niemand kann nie hintergangen werden. Man kann lediglich darauf hoffen, jemanden an seiner Seite zu haben, der mit einem dies überwindet.

Denn das Einzige, was noch schlimmer sein konnte, als die tödliche Naivität, war die verschlingende Einsamkeit, die uns die Zeit gab Dinge zu durchdenken, die uns zur eigenen Selbstzerstörung treiben würden.

,,Wie geht es Hoseok?", fragte er leise neben ihr.

Er saß dort bereits eine ganze Weile. Durch die Flure war er gerannt, hat Krankenschwestern genervt, bis er durch Zufall ihre kleine Gestalt an der Wand hocken sah. Er ließ sich neben ihr nieder und musterte ihr Profil erst, fragte sich, ob sie vielleicht schlief. Doch er bemerkte kurz darauf die tiefen, leicht zitternden Atemzüge.

,,Ich weiß es nicht", antwortete sie wahrheitsgemäß, öffnete ihre Augen nicht.

Sie hatte keine Kraft mehr, weder um ihn anzusehen, noch um ihn bitten zu gehen, falls es überhaupt noch das war, was sie wollte. Sie verfluchte sich und ihren Kopf, ihren Willen. Aus ihren Spontanreaktionen der letzten 24 Stunden sind sehr wahrscheinlich die größten Fehler ihres Lebens entstanden.

,,Verstehe", seufzte er und lehnte dann so wie sie, seinen Hinterkopf an die Wand.

Sunny wunderte es unter anderem allerdings auch nicht, das Taehyung neben ihr saß. Sie freut sich sogar, auch wenn sie es besonders jetzt nicht zugeben würde. Seine Stimme war angenehm, fast schon so beruhigend wie die von Hoseok. Und seine Anwesenheit bereitete ihr eine Wärme, in die sie sich sehnsüchtig wickeln wollte. Schon damals, vor acht Jahren, an dem Tag des OneNightStands, an dem Tag auf der Bühne, als sie ihm so Nahe stand, bis hierhin, war Taehyung ihre Sonne gewesen. War sie noch immer und würde es vermutlich auch immer sein. Es wäre so viel einfacher, wenn man sich einfach aussuchen könnte, wen man liebt. So viel erträglicher, wenn es nicht diese Gefühle gäbe, die einem das Leben schwerer machten.

ILLUSIONIST || kth.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt