dreiundfünfzig

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Seine Lunge brannte, durch das kontinuierliche Rennen, sein Hals schmerzte dank der kalten Luft und sein Herz raste und schmerzte zugleich, bei dem Gedanken an Sunny und der Befürchtung sie nie wieder sehen zu dürfen. Die Sirenen verblassten in der dicken, verschneiten Innenstadt hinter ihm, Taehyung lief einfach immer weiter und immer schneller, in der Hoffnung, dass sie noch gar nicht so weit gekommen sein konnte.

Er stolperte, hustete und hastete weiter, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, ohne wirklich sehen zu können, was sich eigentlich vor ihm befand -  sein Herz brüllte seinen Körper an weiter zu laufen und genau deswegen lief er auch weiter und würde unendlich weiter laufen, wenn ihn dies in die Arme von Sunny bringen würde.

Diese war bereits auf dem Gelände des Einkaufszentrums, Hoseok war mit dem Wagen bereits vorgefahren. Der Motor lief, er schien erleichtert, als er sie in die Straße einbiegen sah, sie hatte ja länger gebraucht, als zu Beginn eingeplant gewesen war. Und auch sie dachte zunächst, dass sie jetzt einfach in das Auto steigen und wegfahren könnte, wirklich einen Schnitt machen, einen Abschluss und endlich nach vorne blicken. Aber dann rief er nach ihr.

Sie hätte nur sieben, vielleicht acht weitere Schritte machen, die Autotür öffnen uns sich rein setzen müssen, dann wäre alles vorbei gewesen, dann wäre sie vielleicht noch haarscharf aus der Sache heraus gekommen. Aber als sie seine Stimme hörte, wie erstickt und verzweifelt sie seinen Namen formulierte, wurde sie mit den Gefühlen konfrontiert, vor denen sie sich am meisten gefürchtet hatte.

Alles auf einmal stürzte auf sie nieder, brach wie mit dem Kollaps eines Staudammes über ihr zusammen und überschüttete sie mit Sehnsucht, Liebe und purer Leidenschaft, die ihr Körper, ihre Seele auch vor acht Jahren schon für den Mann verspürt haben, der hinter ihr langsamer wurde und schließlich zum Stehen kam.

Taehyung keuchte, prustete und stützte sich auf seinen Knien ab, während er die kleine Blondine musterte und danach das Auto, auf welches sie vorhin zugegangen war. Ihn interessierten in diesem Moment nicht das Fahrzeug und auch nicht der Mann, der am Steuer saß. Denn sein Wille war es, ihr wenigstens ein letztes Mal noch in die Augen sehen zu können, ohne Maske, ohne Lügen und Illusionen - er bräuchte eine Erklärung, eine Begründung und Antworten, aber jetzt würde ihm ein einziger Blick genügen.

,,Sunny..", hauchte er leise, war zu nicht viel mehr im Stande. Weder Fragen noch Vorwürfe konnte er ihr entgegenbringen. Er wollte nur, dass sie sich umdrehte.

,,Mein Name ist nicht Sunny", antwortete sie ihm und wischte sich über die tränennassen Wangen. Sie verlor die Kontrolle über ihren Körper, wenn er in der Nähe war. Und sie verfluchte sich selst dafür, dass sie so auf ihn reagierte. Dann drehte sie sich um und sah ihn mit vorgerecktem Kinn entgegen, brachte das letzte Bisschen Stolz und Selbstbewusstsein auf, dass sie noch übrig hatte.

,,Ich heiße Sunhee. Kim Sunhee."

Taehyung wich die Farbe aus dem Gesicht und die Bewegung verstummte in seinen Muskeln, als sie ihm das sagte. Er sah in ihre Augen, zum ersten Mal, sah er ihre wahren Augen, wie sie wirklich - aber er konnte es nicht glauben, schüttelte den Kopf, immer und immer wieder.

,,Aber nein, du bist doch- du bist tot..!"

,,Schön wär's, hm?", fragte sie gebrochen und in dem schlechten Licht der Straßenbeleuchtung, die außerhalb der Innenstadt noch funktionierte und er erkannte diese grünen, diese knalligen, warmen und frischen Augen wieder, in die er vor acht Jahren das letzte Mal sehen durfte.

,,Du bist gestorben, mit meinem Vater, in dem Autounfall..!", brach seine Stimme verzweifelt, als ihn die Erinnerungen heimsuchten. Die von Sunhee und die von Sunny. Sie vermischten sich, überforderten ihn und seine Wahrnehmung, dass er sich an den Kopf fasste, als würde dieser gleich explodieren. Es passte so Vieles zusammen und es war ihm nicht aufgefallen. Ihre Haare waren anders, sie war schlanker, ihre Charakter ein anderer, aber selbst dann hätte er sie wiedererkennen sollen. Dadurch, dass sie immer Kontaktlinsen getragen hatte, war ihm dies jedoch nie wirklich bewusst geworden. Er fühlte sich so dumm.

ILLUSIONIST || kth.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt