25.

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Das restliche Wochenende hatte ich mir das Hirn zermatert über die Begegnung mit Louis Familie und die Freude auf deren Gesichtern, die meines Erachtens nicht aufgesetzt, gar künstlich wirkte. Dafür strahlten die beiden Kleinen zu sehr und steckten mich zumindest mit einem Hauch ihres Hochgefühls an.

Ich hatte den Entschluss gefasst am Montagmorgen mit Louis zu reden, beziehungsweise ich spielte mit dem Gedanken, am Montagmorgen mit Louis zu reden falls ich mich vorher nicht umentscheiden sollte. Denn bei der Chronologie meiner Vergangenheit, die ich bislang auf dem Schirm hatte, schien irgendetwas einfach nicht zu stimmen. Sie stimmte nicht mit den unterbrochenen Sequenzen und Black-Outs überein, die gelegentlich aufflackerten und mich durcheinanderwürfelten.

So beeilte ich mich, in die Schule zu kommen, um nach ihm zu suchen. Ich hoffte bloß, niemanden meiner Freunden über den Weg zu laufen, denn das war in dem Moment das Letzte, was ich brauchte. Ich sah es bereits vor meinem inneren Augen, wie Rose breit grinsend auf mich zukam. Ich meine, was sollte ich sagen? "Tut mir leid. Passt gerade nicht. Ich wollte gerade mit der Person reden, die ich hassen müsste, aber ich glaube eurer Geschichte einfach nicht ganz." Ganz sicher nicht.

Am Liebsten hätte ich die Sache so schnell wie möglich abgehandelt, um endlich an irgendetwas anderes denken zu können. Gerade als ich dachte Alec auf dem anderen Ende des Flurs gesehen zu haben, fiel mein Blick zu dem Jungen mit braunem Haar, der gerade damit beschäftigt war, lose Blätter in seinem Schließfach zu deponieren, was mir bei der herrschenden Unordnung ziemlich suspekt vorkam. Bevor ich mir jedoch nur einen weiteren Gedanken über das regellose Kuddelmuddel, das in seinem Schrank dominierte machen konnte, entschlüpfte mir bereits ein unüberlegtes "Ey", gefolgt vom Klingeln zum Unterrichtsbeginn, das mir soeben einerlei war. Ich hätte mich in Geschichte sowieso nicht konzentrieren können solange die Sache noch offen im Raum stand. Ich will- ich musste jetzt mit ihm sprechen. Ad hoc schlug er sein Fach wieder zu und ich erspähte eine rausstehende Ecke eines Arbeitsblattes, die es idiotischerweise schaffte, mich zu provozieren. Er drehte sich mit einem Satz um, so dass auch mein Kopf hochschnellte und ich direkt in das Blau seiner Augen sah, das mich unwillentlich an die Zwillinge denken ließ.
"Hey Harry.", begrüßte er mich mit einem müden Lächeln, das mich verblüffte. Seine Stimme klang unvermutet gefasst und ruhig. Ich schien mich nicht lange mit Vorreden aufhalten zu wollen und kam gleich zur Sache als ich ihn fragte, ob wir reden könnten.
Mir war es immer noch ein Rätsel, woher ich den Mut nahm.

Nun war er es schließlich, dessen Erstaunen ihm unübersehbar aufs Gesicht geschrieben war. "Ja, klar." Mit großen Augen sah er mich an, woraufhin er nicht weiterwusste und für einen Augenblick ins Stottern geriet. "Jetzt?"

"Ja, aber nicht hier.", antwortete ich, da ich das Risiko nicht eingehen wollte, dass Alec uns doch noch über den Weg lief.

Seine Lippen verzogen sich kurz zu einer geraden Linie derweil er nickte als würde er sagen wollen "Ich verstehe". Stattdessen forderte er mich auf, ihm zu folgen und ehe ich es schaffte, eine schnippische Bemerkung zu entgegnen, ging er bereits vorran in Richtung Treppenhaus der Unterstufe. Ich folgte ihm eilig und war heilfroh, dass sich niemand dort befand- aber wer auch? Der Unterricht hatte bereits angefangen.

Die banale Erleichterung war so schnell wie sie gekommen ist, auch wieder verschwunden als ein anderes Gefühl meinen Körper in Beschlag nahm. Jetzt hatte ich das Problem, dass ich nicht genau wusste, was ich sagen sollte.

Er ließ mein Unbehagen nicht weniger bedeutend werden, indem er sich ans Geländer lehnte und sich mir zuwandte während die Tür hinter mir zufiel.

"Wieso so plötzlich?", fragte er.
"Ich hab mich an ein paar Sachen erinnert." Ich hielt inne. "Und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich beide Seiten der Geschichte hören sollte." Aufgeregt trat er ein Stück näher an mich heran. "Du hast dich erinnert?", hakte er im Überschwang der Gefühle nach. "Du hast dich an uns- an etwas erinnert?" Verhalten murmelte ich, dass es bisher lediglich zwei, drei kleine Momente gegeben hatte. "Das ist doch toll." Ich bemerkte wie er versuchte einen Gang zurück zu schalten, wofür ich ihm in dem Moment tatsächlich dankbar war. Also fügte er kurzerhand mit einer etwas weniger kräftigeren Stimme hinzu, dass mein Gedächtnis ja bald vielleicht ganz wieder käme, worauf ich schnaubend den Kopf schüttelte. So selten wie Erinnerungen in mir hochkamen, läge ich im Grab bevor ich mein lückenloses Gedächtnis wiedererlangen würde. "Das bezweifle ich eher."
"Meine Mum meinte, dass man es nicht ausschließen sollte.", hielt er mir entgegen und obwohl ich es eigentlich besser wissen musste- vor allem, weil ich seine Familie doch letzten Samstag erst erlebt hatte, wunderte es mich, dass sie über mich sprachen. Ich fühlte mich unwohl, hier vor ihm zu stehen und nicht zu wissen wie ich mich verhalten sollte, zumal ich ihn die letzten Wochen angeblafft hatte, von wegen, wieso er mich nicht einfach in Ruhe lassen konnte. Meine Fingernägel krallten sich in meine Handinnenfläche, dass ich mir sicher war, dort gleich Abdrücke erkennen zu können.
"Ich wollte mit dir reden, weil ich wissen möchte, ob deine Seite zu meinen Erinnerungen passt.", peilte ich an zu sagen, wäre da nicht ein barsches Räuspern gewesen, das mich zusammenfahren und nahezu verängstigt nach oben schauen ließ.
"Tomlinson, muss ich sie daran erinnern, dass sie gerade Mathe haben?", vernahm ich die oberlehrerhafte Stimme von Herr Danes, der so wie es aussieht, Louis Mathelehrer war und wahrscheinlich gerade vom Kopieren gekommen war. Ungerührt beobachtete ich, wie er seinen Kopf von oben über das Gelände steckte, um uns mahnend anzusehen. Mein Vordermann schien weniger besorgt und erstarrt von seinem plötzlichen Auftritt und stöhnte nur etwas ungeduldig. "Und sie, Harold, müssten ebenfalls im Unterricht sitzen.", fügte Danes wenig später hinzu, worauf Louis ohne weiteres nach meiner Schulter griff und mir behutsam in die Augen schaute als er versprach, dass wir das nachholen würden. Es war als wäre ich innerhalb der letzen Minute verstummt und dann als ich dachte, ich würde es doch schaffen, etwas zu antworten, war es Louis Hand auf meiner Schulter, die mich ablenkte. Ich nickte bloß und er löste sich prompt, da Danes gerade den Anschein machte, jeden Moment runterzukommen, um ihn in seinen Klassenraum zu zerren. "Ich komme ja schon.", rief Louis und ersparte ihm, die Treppen herunter zu gehen, indem er zügist hochsprintete.
Ich sah ihnen hinterher bis sie hinter der Wand verschwanden. Benommen starrte ich weiter auf den Punkt, an dem ich ihn noch gesehen hatte- wieso fühlte es sich an als wenn jedes Gespräch mich anstatt behilflich zu sein, nur noch mehr aus dem Konzept brachte?

"Ich heiße Harry.", flüsterte ich in die Leere.

Remember You I Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt