36. Muss ich dazu noch was sagen?

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Zane

Das Wunder beginnt mit einem Luftstoß, ähnlich wie der bei unserer Anerkennung. Nur, dass dieses Mal sicher nirgends ein Zeichen auftaucht. Stattdessen scheint sich alles Licht plötzlich in einem Punkt zu sammeln, was sogar die Empusen etwas verwirrt. Der ganze Korridor des Labyrinths ist nun dunkel, nur Marie strahlt weiter in einem hellen Licht. Sie sieht fast wie ein Engel auf einer Altarzeichnung aus, scheint aber eher das Gegenteil zu sein. Stück für Stück saugt sie das Licht auf und versetzt die Empusen so in Panik. Die Empusa, gegen die ich gerade noch gekämpft habe, weicht einige Schritte vor mir zurück und gibt mir so zumindest etwas Raum. Gespannt schaue ich zu wie Marie, deren Augen immer noch geschlossen sind die Hände hebt.
Eine dunkle Wolke scheint aus ihnen zu kommen. Marie öffnet die Augen und schickt die Wolke mit einer Handbewegung in die Richtung ihrer Gegnerin. Diese hat die Augen weit aufgerissen und zerfällt in dem Moment in dem die Wolke sie berührt zu goldenem Staub. Ihr Mund hat sich noch zu einem Schrei geöffnet, doch kein Ton ist mehr zu vernehmen. Der Dolch der Empusa fällt ebenso Geräuschlos zu Boden. Anscheinend saugt Marie nicht nur das Licht sondern auch den Schall auf. Die Wolke zieht weiter, in die Richtung, in die Maries Finger nun zeigt.

Wahrscheinlich befindet sich dort die Empusa, die Zoe angegriffen hat. Aber ich kann nicht verfolgen, was genau passiert, denn aus den Augenwinkeln nehme ich eine Bewegung war. Meine Gegnerin hat sich vom
Anblick der Wolke gelöst und starrtet einen weiteren Versuch mich umzubringen. Nur dadurch, dass ich die Bewegung in den Augenwinkeln wahrgenommen habe, bleibe ich am Leben. Mein Schwert trifft genauso lautlos auf den Dolch der Empusa, wie der Dolch der Anderen auf den Boden getroffen ist. Seelenbaum leuchtet in dieser komischen Stimmung irgendwie von innen heraus. Ich habe Mühe damit es weiter zu führen. Der Griff ist eiskalt und meine Finger sind schon nach wenigen Sekunden klamm. Meine Fingerknöchel treten weiß heraus, so stark versuche ich das Schwert festzuhalten. So sollte das eigentlich nicht sein.
Kurz denke ich, dass es nun doch vorbei ist. Wie in Zeitlupe fällt mein Schwert mir aus der Hand. Geräuschlos schlägt es auf dem Boden auf und die Empusa lacht genauso geräuschlos. Vielleicht ist es doch nicht von Vorteil, dass aller Schall geschluckt wird.
Ich sehe schemenhaft, wie meine Gegnerin zum letzten Schlag ausholt. Bevor sie ihn allerdings ausführen kann kommt Maries schwarze Wolke auch bei ihr an und sie zerfällt zu Staub. Im selben Moment, in dem der goldene Staub den Boden berührt löst sich auch mein Schwert in Luft auf. Ein Schwert eines Sohnes des Hades in der Hand eines Sohnes des Poseidon ist wohl ein zu großer Gegensatz. Ich bin einfach nicht für das Material der Unterwelt geschaffen und irgendwie bin ich auch froh es los zu sein. Denn erst jetzt merke ich, wie stark es an meinen Kräften gezehrt hat. Die einzige Frage, die bleibt ist die Frage, wie ich mich nun verteidigen soll. Doch dafür werde ich sicher auch noch eine Lösung finden. Während ich auf das verblassende Schwert schaue denke ich, dass ich wohl niemals erfahren werde, wohin es verschwindet.

Dann schaue ich wieder auf und sehe in Maries Gesicht. Ihr Gesichtsausdruck ist nur schwer zu beschreiben, da ist erstaunen. Aber auch Erschöpfung und Entsetzen. Und dann ist da noch der Eindruck von Macht, den ich nicht ganz offen in ihrem Gesicht sehen kann. Trotzdem macht er mir Angst. Ich kenne die alten Geschichten und weiß, dass Macht schnell süchtig machen kann. Kaum eine dieser Geschichten ging gut aus, für niemanden. Während ich meine Freundin noch anschaue erlischt das Leuchten in ihren Augen. Sie seufzt. Sagen tut sie aber nichts und auch ich bleibe stumm. Auch, weil ich mir nicht sicher bin, ob man überhaupt schon wieder etwas hören kann.

Wir wären vielleicht noch eine ganze Weile so dagestanden und hätten uns angestarrt. Wenn nicht irgendwann ein leises Stöhnen zu uns gedrungen wäre. Ich drehe meinen Kopf zur Seite um zu erkennen, wer dieses Geräusch verursacht hat. Gleichzeitig schlage ich mir gedanklich die Hand vor die Stirn. Die drei Empusen sind längst zurück im Tartarus, Marie steht in meinem Blickfeld, wer bleibt da wohl noch übrig? Ganz ehrlich, in diesem Moment habe ich Schuldgefühle, weil ich meine Schwester einfach vergessen habe. Sie werden auch nicht weniger, als sie wieder in mein Blickfeld kommt. Es ist ein wenig wie ein Déja-vu, das dritte schon. Zoe liegt auf dem staubigen grauen Boden. Der Kopf ist leicht erhöht an die Mauer gelehnt. Ihr restlicher Körper ist vor Schmerz gekrümmt. Ich kann sehen, dass an ihren Händen Blut klebt. In diesem Moment weiß ich, dass das Labyrinth es nicht gut gesinnt ist. Bis gerade eben hatte ich mühe die Empusa zu sehen, mit der ich gekämpft habe. Nun aber sehe ich jedes Detail deutlich und das, obwohl Zoe deutlich weiter von mir entfernt ist. Das Blut an ihren Händen kann nicht von der Empusa kommen. Diese bluten nicht, zumindest nicht so wie wir. Es ist ihr eigenes. Wahrscheinlich kommt es von einem Schnitt in ihrem Oberkörper oder ihren Handinnenflächen. Es ist nich unwahrscheinlich, dass sie aus dem Kampf einen solchen Schnitt davongetragen hat. Genauso wie es nicht unwahrscheinlich ist, dass die Verletzung tödlich verlaufen kann. Dieses Mal sind keine Einsatzkräfte unterwegs und es sieht auch nicht so aus, als würden uns irgendwelche fremden Mächte zur Hilfe kommen. Wir sind auf uns allein gestellt. Es ist das dritte Mal, dass Zoe dem Tod so nahe ist. Ich frage mich, warum das Schicksal nicht abwechseln kann. Wieso muss es immer nur sie treffen?! Selbst ich bin über diesen Gedanken überrascht. Während ich so zu meiner Zwillingsschwester schaue, bemerke ich, dass ihre Augen noch geöffnet sind. Sie schauen mich an und aus irgendeinem Grund liegt Weisheit in ihnen. Unglaublich viel davon. Dann beginnt das Bild vor meinen Augen zu verschwimmen. Der Nebel rund um Zoe verdichtet sich und beginnt die Wunde notdürftig zu verschließen. Es ist nur ein weiteres Wunder an diesem Tag. Denn gleichzeitig dazu beginnt sich auch eine Gestalt zu materialisieren.

Zane & Zoe - die zerbrochene GöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt