24. Kleinere Turbulenzen

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Zane

Ich wache von einem Schrei auf und bin sofort hellwach. Meine Reflexe sind wirklich einwandfrei, das muss man sagen. Ich habe mein Schwert schneller in der Hand, als ich überhaupt wach bin. Das würde mir auch sicher das Leben retten, wenn wir angegriffen werden würden. Tatsächlich kam der Schrei von meiner Schwester, die anscheinend schlecht geträumt hat und nun zitternd auf dem Boden sitzt. Es gibt schönere Möglichkeiten den Tag zu beginnen. Zumal wir auch einmal mehr kaum noch Essen haben.

Unser Frühstück fällt denkbar schlecht aus. Die Stimmung hat sich seit gestern Abend zwar wieder etwas entspannt, aber wir knabbern trotzdem schweigend an den letzten Keksen, die über die Nacht nicht besser geworden sind. Marie, die die letzte Wache gehabt hatte wirft meiner Schwester immer wieder besorgte Blicke zu. Zoe isst nur wenig und ist auch sonst sehr blass. Was auch immer sie heute Nacht gesehen hat, es war nichts gutes. Als wir uns zum Aufbruch bereit machen bricht Marie schließlich das Schweigen. „Meinst du nicht, dass es Zeit ist mit offenen Karten zu spielen? Du kannst nicht alles in dich hineinfressen." Für einen schrecklichen Moment glaube ich, dass sie mich meint. Ich habe da nämlich schon noch so ein Geheimnis...
Doch sie schaut Zoe an, welche immer noch blass und schweigend das Feuer löscht. Sie seufzt, dann schultert sie ihren Rucksack: „Lasst uns im Gehen weiterreden, sonst kommen wir nie aus diesem Wald." Meint sie und dreht sich erst am Rand der Lichtung wieder zu uns um. Ob es die richtige Richtung ist? Ich weiß es nicht mehr und ich frage mich, ob wir überhaupt jemals wieder aus diesem Wald herauskommen. Wir sollten eigentlich längst in Neu-Rom sein und doch laufen wir immer noch durch diesen verfluchten Wald. Obwohl, dass sollte ich vielleicht nicht mehr sagen, sonst mache ich es vielleicht doch noch schlimmer.
Nachdem wir uns ein wenig von unserem letzten Rastplatz entfernt haben erzählt uns meine Schwester von ihrem Traum. „Ich glaube das das Szenen aus einem dieser Kriege stammen, von denen wir im Camp gehört haben." Stellt sie uns schließlich ihre Theorie vor. „Wir sind da in etwas großes hineingeraten." Stimmt Marie ihr zu. „Aber aufgeben kommt nicht in Frage! Wenn sich jemand so viel Mühe gibt uns einzuschüchtern, dann muss da mehr dahinterstecken." Erwidert Zoe. „Vielleicht geht es aber auch gar nicht um uns." Murmle ich und verrate mich damit. „Wie meinst du das?" Fragt Marie mich und lässt sich ein paar Schritte zurückfallen, bis sie neben mir geht. „Ich habe es so satt, dass niemand mit offenen Karten spielt!" Auch Zoe schaut mich überrascht an. Sie ist eben nicht die Einzige, die Visionen hat und hatte. „Am Abend vor unserem Aufbruch hatte ich einen Traum. Alles war dunkel, nur drei Personen kauerten vor einem Stein. Ich weiß nicht, ob es ein Grabstein oder ein Altar war, aber die Personen sahen nicht gut aus. Rund um sie herum war nichts als Dunkelheit und Elend. Das konnte ich fühlen." Ich mache eine dramatische Pause, oder brauche auch nur einen Moment um mich wieder zu sammeln. Es ist unglaublich, wie gut unsere Kondition inzwischen geworden ist. „Heute glaube ich, dass es eine Szene aus der Vergangenheit war. Eine Stimme sagte zu mir, dass ich ihnen Lebensbaum geben soll. Dann würde ich das verhindern. Ich habe es nicht gemacht." Füge ich zum Schluss noch hinzu. Nicht, dass sich eben jene Waffe gerade in Zoes Tasche befindet. Noch immer sind in dem Puzzle noch nicht alle Teile gefunden und an ihrem richtigen Platz. Doch ich spüre, dass wir der Lösung näher kommen.
In dem Moment, in dem ich das denke lichtet sich der Wald etwas mehr und wir treten auf eine größere Wiese, die trotzdem von Wald umschlossen ist. Das ist doch immerhin ein Fortschritt. Denke ich zumindest, bis ich das Brüllen höre, dass aus dem Wald auf der anderen Seite zu uns dringt und es wird immer lauter.

Vorgestern hatten wir es mit Wölfen zu tun, gestern mit einer verrückten Verwandten. Das alles war schon verrückt und gefährlich genug, eigentlich will ich nicht wissen, welches Monster heute auf uns wartet. Aus einem Grund, der sich mir nicht erschließt habe ich wieder diesen alten Spruch im Kopf: An apple a day keeps the doctor away. Ob es sich mit Monsterangriffen ähnlich verhält? Wenn man tot ist braucht man jedenfalls keinen Arzt mehr...
„Zane?" Meine Schwester rüttelt an meinen Schultern. Zumindest scheint sie es mir nicht mehr übel zu nehmen, dass ich so viele Geheimnisse, die sie betreffen, vor ihr hatte und habe. Das Brüllen wird immer noch lauter und wird von einem sehr melodischen Stampfen begleitet. Wenn mich nicht alles täuscht stampfen sie im Dreivierteltakt. Oder im Viersechstel Takt, falls es den gibt. Ein wirklich schauriges Monster bricht zwischen den Bäumen heraus auf die Wiese und brüllt noch einmal furchterregend. Ich weiß nicht, was die meisten Leute in so einem Fall denken, ich dachte einfach nur: „Soll das ein Krokodil darstellen?" Im Geschichtsunterricht haben wir gelernt, dass die Griechen im Raum des roten Meeres, oder wie auch immer das hieß, sehr weit herumgekommen sind. Sicher waren sie auch irgendwo, wo es Krokodile gab. Doch mussten sie wirklich gleich ein Monster daraus machen? Das Riesenkrokodil brüllt schon wieder, als einer der Pfeile aus Maries Blasrohr es am Hals trifft. Leider hat dieser nicht den gewünschten Effekt. Wahrscheinlich währe es zu einfach gewesen das Monster ohne einen richtigen Kampf in den Tartarus zu schicken. Ich glaube, das ist die erste Regel der griechischen Mythologie, nichts ist einfach. Entweder das oder: warum einfach wenn's auch kompliziert geht. Zoe, die neben Marie steht versucht fieberhaft die Wolfsstatue in irgendwas nützlicheres zu verwandeln. Lucretia lässt sich wie immer nicht blicken. Das ist noch eine Regel der Mythologie, die Götter scheren sich um nichts. Am Himmel donnert es, was wohl bedeutet, dass die Götter sich schon um etwas scheren. Oder es kommt ein Gewitter auf und zu, es muss ja nicht alles mythologisch begründet sein. Das riesige Krokodil kommt auf uns zu gestampft. Die Pfeile aus dem Blasrohr halten es wirklich nicht auf. Ich hätte in der Zwischenzeit wirklich einmal mein Schwert ziehen können.

Zane & Zoe - die zerbrochene GöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt