48. Den gordischen Knoten kann man wenigstens durchschneiden

21 2 0
                                    

Zoe

Das Horn ertönt und ruft uns zusammen. Mir bleibt keine Zeit mehr meine Idee auszuprobieren. Beim Verlassen meiner Kabine sehe ich noch einmal auf den umgedrehten Zeichenblock auf dem Tisch zurück. Ein Bleistift ist heruntergefallen und rollt noch über den Boden. In meinem Gehirn hat sich derweil ein gordischer Knoten gebildet. Alle Erkenntnisse sind auf eine Schnur gefädelt, die in gerader Linie auch einen Sinn ergeben würden. Nur leider ist diese Schnurr nicht gerade sondern komplett verknotet. Ein gordischer Knoten eben.

Laute Stimmen klingen mir schon auf der Hälfte meines Weges entgegen. Ich beschleunige meine Schritte und komme auf den Platz, auf dem es bereits voll ist. So voll, dass ich zuerst weder Zane noch Marie entdecken kann. Stattdessen stoße ich gegen etwas oder jemanden, es ist Frank, peinlich. Er geht jedoch einfach weiter und nimmt mich gar nicht war. Ich kann ihn gerade noch zur Seite ziehen, bevor er den nächsten Anrempelt. Irgendein Sohn von Ares, sich mit denen anzulegen ist auch vor einer mäßig gut geplanten Schlacht keine gute Idee. Als ich ihn aus seiner Laufbahn ziehe schreckt Frank auch endlich auf. Er schaut sich um, als hätte man ihn gerade aus einem tiefen Traum gerissen. Dann verzieht er seinen Mund zu einem gequälten Lächeln. „Dankeschön fürs Aufwecken", sagt er und ich winke ab. „Betrachte es als Entschuldigung dafür, dass ich dich davor angerempelt habe." Für einen Moment schweigen wir und ich denke zurück an den Moment, an dem ich ihn das erste Mal begegnet bin. Damals war das alles noch neu und jetzt stehen wir hier und sind bereit neben all den Halbbluten hier zu kämpfen. „Ich hoffe unser Plan ist gut genug." Mit diesen Worten bricht Frank die Stille, die nur zwischen uns geherrscht hat. Überall sonst reden die Halbgötter munter mit ihren Nachbarn. Man könnte meinen es ginge in einen Freizeitpark und nicht auf ein Schlachtfeld, auf dem so viele sterben könnten. „Er ist zumindest nicht schlecht", gebe ich zurück und schaue ihm in die Augen. Er starrt zurück und ich bekomme unter seinem Blick eine Gänsehaut. „Hoffentlich wisst ihr was ihr tut", sagt er und lässt mich dann stehen. „Ja, hoffentlich wissen wir das", ich verharre und schaue ihm nach. Lebe für den Moment. Bisher bin ich so unter Strom gestanden, dass ich nur an die Schlacht gedacht habe. Nie ist mir bewusst geworden, was wir da eigentlich machen. Es gab in den Planungen einfach kein danach. Frank hat mich dazu gebracht inne zu halten. Ich lasse den Blick über die anderen Anwesenden schweifen. Wie viele von ihnen am Ende wohl noch hier sein werden? Sie alle scheint das nicht groß zu kümmern. Es ist nur ein Fall unter vielen, bei denen sie ihr Leben aufs Spiel setzen. Das Leben als Halbgott ist gefährlich, das habe ich inzwischen oft genug am eigenen Leib gespürt. Sie alle kommen damit klar, aber ich weiß nicht ob ich das kann. In den dunkelsten Stunden seit unserer Ankunft hier habe ich mir immer wieder überlegt, ob es nicht doch einen Weg aus diesem Kreislauf gibt. Ich habe keinen gefunden und ich weiß auch nicht, ob ich das könnte. Könnte ich all die Menschen hier wirklich im Stich lassen?

In diesem Moment wird es ruhig. Um mich herum drehen alle die Köpfe und schauen in Richtung des Speißepavillons. Dort stehen ein paar Hüttenälteste und Chiron. Ich sehe natürlich Luka und Elisa, aber auch Malcolm und Ilona. Sie scheinen die Wortführer in dieser Zeit zu sein. Vier Hütten von vier Olympiern, ob das den Regeln entspricht? Wahrscheinlich nicht wirklich. „Heroen!" Ruft Malcolm und auch wenn ich ihn nicht besonders gut leiden kann, muss ich ihm zugestehen, dass er wie ein wahrer Heerführer klingt. „Es wird Zeit unsere Heimat zu verteidigen, es wird Zeit für alle zu kämpfen, die zu euch gestanden haben. Es wird Zeit für alle zu kämpfen, die zu euch stehen und die immer zu euch stehen werden!" Die Worte des Aressohns sind sorgfältig gewählt, aber sie verfehlen ihre Wirkung nicht. Die Menge jubelt, ich komme mir vor als wäre ich in einem Kostümfilm gelandet. Nachdem Ilona die Hand gehoben hat verstummt die Menge. „Wir werden die Angreifer auf der Wiese vor dem Halfblood Hill stellen." Erklärt sie. „Die Hälfte von euch wird mit mir und Malcolm kommen." „Und die anderer Hälfte wird mit mir und Luka kommen." Elisa vervollständigt den Satz mühelos. Sie müssen sich vorher abgesprochen haben. Oder aber sie kennen sich einfach nur gut. Ich bin etwas neidisch darauf und höre von nun an nur mit halbem Ohr zu. Mit den Augen suche ich dabei weiter die Menge ab und entdecke schließlich meinen Bruder, der neben der Hüttenältesten von Hypnos steht. Die Beiden wirken vertraut, obwohl sie so unterschiedlich sind. Zane lauscht den Anweisungen aufmerksam, während das Mädchen neben ihm einen verträumten Blick hat. Das ist wohl eine Art muss bei Kindern von Hypnos, sowie Kinder der Athene immer aufmerksam aussehen. Mir drängt sich die Frage auf, wann die Beiden sich besser kennen gelernt haben. Ich dränge sie zurück, mein Bruder kann kennen wen er will. Ich wünsche mir manchmal auch, dass er sich nicht einmischt, da kann ich auch mit gutem Beispiel vorangehen. Doch so einsam zwischen den ganzen Leuten ist es auch nicht schön. Ich bin selten allein, mit einem Zwillingsbruder ist das nicht einfach. Immer waren wir zu zweit, zwar haben wir getrennte Zimmer aber er war trotzdem immer da. Mir wird schmerzlich bewusst, dass ich ihn heute verlieren könnte. Das alles ist ein Himmelfahrtskommando. Es gibt zu viele Unbekannte und eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten ist unlösbar. Das alles ist unlösbar und vielleicht ist es deswegen doch einfach. „Und deswegen werden wir den Monstern zeigen wo der Hammer hängt!" Ruft Malcolm. „Auf in den Kampf", murmle ich nur, während um mich herum alle in Jubel ausbrechen. Der gordische Knoten ist immer noch da und ohne ihn kann ich diese Schlacht nicht gewinnen.

Während alle um mich herum laut sind bin ich still. Während alle um mich herum jubeln habe ich angst. Ich erfülle in diesem Fall keines der Halbblutklischées.

Zane & Zoe - die zerbrochene GöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt