5. Die Schatulle und der Zorn der Götter

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Zoe

Immer weiter laufe ich an den Regalen entlang, bis ich zu mehreren Stapel Kisten in der hintersten Ecke des Raumes komme. Hier gibt es fast kein Licht und doch schaffe ich es die Kisten der ersten beiden Stapel hinunterzuhiefen und etwas an der Seite erneut zu Stapeln. Hinter den Zwei Kistentürmen kommt ein dritter zum Vorschein. Mit letzter Kraft hebe ich auch hier die oberste Kiste nach unten und schlage den alten verstaubten Deckel auf.

In der Kiste ist erst einmal nur fast zerfallene Holzwolle, was den Anschein erweckt, dass etwas sehr zerbrechliches in ihr lagert. Die Stimme, die vorher nach mir gerufen hat ist verstummt. Stattdessen höre ich nun Pipers Stimme: „Komisch, ich dachte hier lagern nur Waffen und die sollten nicht sehr zerbrechlich sein." Murmelt sie. Ich drehe meinen Kopf so, dass ich über meine Schulter schauen kann und sehe, dass sie direkt hinter mir steht. Dann stoßen meine Finger an etwas hartes und ich ziehe es vorsichtig heraus. Es ist eine kleine Schatulle, gerade so groß wie meine Handinnenfläche. Sie sieht sehr alt aus, die aufgemalten Muster sind längst verblasst und kaum noch zu erkennen. Trotzdem müssen die Verzierungen einmal sehr schön gewesen sein, die blasen Farben überziehen den kompletten Deckel der Schatulle. Nur in der Mitte ist etwas Platz ausgespart. Die Farben sind hier nicht ganz so verblasst wie in den anderen Fällen. In schnörkeligen Buchstaben steht dort kunstvoll gearbeitet mein Name. Zoe, ich muss mindestens eine Minute darauf schauen um es zu glauben. Hinter mir schnappt Piper, die plötzlich eine Taschenlampe in der Hand hält, nach Luft. „Es sieht fast so aus, als hätte hier jemand was für dich hinterlegt." Sagt sie und schaut mich dabei nicht an. Irgendwas an ihrer Körperhaltung verrät mir, dass sie mit solchen Ereignissen eine schmerzhafte Erinnerung verbindet. „Mach es schon auf." Flüstert sie, als wolle sie die gespannte Stille nicht brechen. Irgendwo zwischen den Regalen, am anderen Ende des Raumes kramen mein Bruder und Jason nach irgendwas, aber hier in diesem Teil ist es komplett still. Langsam öffne ich den alten, geschundenen Verschluss, meine Finger zittern aus einem Grund, der sich mir nicht erschließt. Als ich den Deckel ganz angehoben habe, erstrahlt plötzlich ein helles Licht und ich muss mich für einen Moment geblendet abwenden. Als ich wieder hinschaue liegt auf einer Art Bett aus Samt ein Anhänger. Keine Waffe, ein Anhänger.

Kennt ihr diese Metallanhänger, die das Wasser reinigen sollen. Aquaquant heißen sie und meine Mom hatte eine Weile so einen. Jedenfalls, wenn ihr sie kennt, dann stellt euch einen Anhänger vor, genau wie dieser Aquaquant, nur etwas größer. So ungefähr sieht das aus, was sich in dieser Schatulle befindet. Nur, dass es nicht das einzige ist, denn zur selben Zeit materialisiert sich neben mir eine Person aus goldenem Licht.
Wäre mir das vor zwei Tagen passiert, ich wäre wahrscheinlich schreiend davongerannt. Doch inzwischen habe ich bereits einige mystische Kreaturen zu Gesicht bekommen und deshalb bleibe ich genau da wo ich bin und starre die Person an. Es ist eine Frau, das kann ich nun erkennen. Sie hat langes dunkelgraues Haar und ihre Augen leuchten noch immer wie das Licht, aus dem sie sich materialisiert hat. Ansonsten ist das Licht verschwunden und sie steht in einer Art mittelgrauen Gewand vor uns.

Zum zweiten Mal an diesem Tag schnappt Piper nach Luft. „Ich kenne sie." Murmelt sie und die Frau dreht sich zu ihr. „Das kann nicht sein, niemand kennt mich." Erklärt die Fremde. Aber Piper schnippt nur mit den Fingern, als würde sie nach etwas suchen, das direkt vor ihrer Nase läge. „Doch, ich habe sie schon einmal gesehen. Mein Mann hat in den letzten Jahren viele der alten Götteraltäre wiederaufgebaut. Manchmal habe ich ihm geholfen. Sie waren auf einer der alten Altarillustrationen zu sehen. Allerdings auf einem römischen Altar. Was machen sie also hier?" Sprudelt es aus ihr heraus und die Frau lächelt wehmütig. „Ich war ursprünglich eine griechische Göttin, allerdings keine sehr beliebte. Mein Name ist Lucretia und ich bin, war, die Schutzherrin all jener, die sich gegen ihr Schicksal gestellt haben." Erklärt sie. Lucretia... „Aber ist der Name nicht eher römisch?" Frage ich und bekomme dafür wieder dieses wehmütige Lächeln. „Schon, das liegt daran, dass ich bei den Griechen eigentlich gar keinen Namen hatte. Das waren solche Schicksalsfanatiker, dass sie jemanden wie mich überhaupt nicht brauchen konnten. Nur ein paar Römer retteten mich davor komplett in Vergessenheit zu geraten. Sie definierten meine Aufgabe genauer und gaben mir einen Namen. Seit dem bin ich tatsächlich auf ein oder Zwei Altarillustrationen zu sehen. Allerdings nur auf denen, die schon fast wieder in Vergessenheit geraten sind." (Ich möchte hier kurz erwähnen, dass es sich bei Lucretia um eine von mir erfundene Figur ohne mythologischen Bezug handelt. Falls ich irgendeinem Gott die Aufgabe geklaut habe tut mir das leid.) „Aber wieso sprechen sie dann immer in der Vergangenheitsform von ihrer Aufgabe?" Wirft Piper ein und zu dem bereits erwähnten wehmütigen Blick kommt ein Seufzen hinzu. „Das liegt daran, dass ich mich einmal zu sehr in das Schicksal eingemischt habe. Es ging um einen jungen Helden namens Alexander, sein Schicksal war es, den römischen Kaiserthron zu besteigen und den römischen Göttern zu neuem Ruhm zu verhelfen. Doch er sollte auch grausam getötet werden und er wehrte sich gegen sein Schicksal. Also Schritt ich ein, schließlich war das meine Aufgabe. Alexander, von dem ihr nie gehört habt, weil diese Geschichte die neuen Helden nur aufstacheln würde ihr Schicksal ebenfalls zu verweigern, konnte sich jedenfalls mit meiner Hilfe erfolgreich gegen sein Schicksal stellen. An seiner Stelle bestieg Kaiser Konstantin der Große den Thron und leitete damit das endgültige Ende der Anbetung der römischen Götter ein." Ich muss erst einmal schlucken. „Die Götter waren sicher nicht sehr erfreut über diese Wende." Werfe ich ein und Lucretia nickt: „Sie wollten Alexander logischerweise bestrafen und das konnte ich aus bekannten Gründen nicht zulassen. Also stellte ich mich vor ihn und fing die Macht der Götter ab." Einen Moment ist es still und Lucretia schaut zu Boden. Erst nach einer Weile redet sie weiter: „Erst, als ich dort stand wurden mir die Grenzen meiner Macht bewusst. Bisher konnte ich sein Schicksal nicht verändern, alles lief nach den Moiren und Alexanders grausamer Tod stand kurz bevor. Ich konnte das Schicksal einer Person nur
abwenden, indem ich es selber annahm und das habe ich in diesem Moment getan." „Du hast dich also für ihn geopfert." Flüstere ich. Die Geräusche im anderen Teil der Hütte sind verstummt. Aber Lucretia lächelt und dieser Anblick ist irgendwie genug um die ganze Anspannung zu lösen. „Ja und ich habe es gern getan." Bestätigt sie meine Vermutung: „Die Zeit, die ich mit Alexander hatte war die schönste in meinem langen Leben. Wenn du eine Gottheit bist, ist es noch einmal ein ganz anderes Gefühl gebraucht zu werden. Aber nichts desto trotz war ich immer noch eine Göttin, wenn auch eine sehr schwache. Ich war trotz allem unsterblich und so konnten mir die Götter lediglich meine restliche Macht nehmen. Ich wurde zum Geist einer Göttin, ein Teil meiner Seele schwebt noch immer irgendwo herum, wo ich ihn nicht finden kann. Aber der Großteil wurde in zwei Teile geteilt und in zwei Schatullen verbannt, an zwei besondere Stücke gebunden. Eine von ihnen hast du gerade geöffnet. Ich sollte von demjenigen abhängig sein, der die Schatulle geöffnet hat und nie wieder ganz zusammen finden. Das ist meine Strafe dafür, das ich das meiner Meinung nach Richtige getan habe. Seit Jahrhunderten bin ich jetzt schon in diesen Schatullen eingesperrt. Ursprünglich wurden sie nach Camp Jupiter gebracht, aber ich würde sagen, dass eine als Kriegsbeute hierher kam." Sie scheint zu überlegen, aber mir brennt eine Frage unter den Nägeln, die ich einfach stellen muss: „Aber wenn du mir gehorchen musst, was genau ist der Sinn dahinter?" Jetzt lächelt Lucretia erneut, aber auf eine andere Weise: „Der Sinn ist, dass ich dir zeigen soll, wie du diese Waffe benutzen kannst. Ich bin quasi deine Gebrauchsanweisung." Erklärt sie und zeigt auf den Aquaquant.

Zane & Zoe - die zerbrochene GöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt