41. Die hellste Kerze am Kronleuchter

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Zoe

Die Welt um uns herum zerbricht in tausend Stücke und dann doch nicht. Das ist irgendwie seltsam. Aber in einer Welt, in der Götter existieren, sollte ich mich wohl nicht wundern. Jedenfalls zerbricht die Landschaft um mich herum, als wäre sie auf Glas gemalt gewesen. Emilia neben mir schreckt auf und hebt die Hände. Es ist als wäre ein Schutzwall um uns entstanden, der die Scherben von uns ablenkt. Mitten in dem Wirbel aus Scherben, der einem Schneesturm gleicht, kann ich nicht erkennen, was dahinter ist. Emilia, die etwas in sich zusammengesunken ist lächelt. „Scherben bringen Glück." Sagt sie. „Das hat mein Vater früher immer gesagt, wenn ich aus versehen etwas fallen gelassen habe. Meine Großmutter hat dann immer missbilligend die Nase gerümpft." „Und deine Mutter?" Ich kann mir die Frage nicht verkneifen. Auch wenn eigentlich ziemlich taktlos ist. Emilia richtet sich auf und blickt mir tief in die Augen. Sie sieht immer noch so aus, als wäre sie jünger als ich. Doch in ihren Augen sehe ich eine Weisheit, die eindeutig älter ist. „Kannst du dir das nicht denken?" Fragt sie und ich beginne zu verstehen. Eigentlich war es wirklich eine doofe Frage. Eine, die zeigt wie unwissend ich noch immer bin. „Wahrscheinlich ist sie sogar für dieses Chaos hier verantwortlich." Fährt Emilia fort und dreht sich dabei einmal im Kreis. „Aber wieso arbeitet sie gegen dich?" Frage ich weiter. In meinem Kopf überschlage ich fieberhaft alle Informationen, die ich über Emilias Mutter habe. Welche Göttin könnte sie sein? Aber mir fällt beim besten willen keine griechische oder römische Göttin ein, die zu sowas in der Lage wäre. Denn eigentlich müsste sie irgendwas mit dem Tod zu tun haben und weder Hades noch Thanatos sind Göttinnen. Hekate wäre vielleicht eine Möglichkeit. Sie ist schließlich älter als die meisten Olympischen Götter und sie ist die Göttin der Kreuzwege. Oder noch eine Urgottheit. Dann wäre es schon fast wie im Supermarkt, zwei zum Preis von einer. „Eigentlich arbeitet sie nicht gegen mich sondern ich gegen sie." Antwortet Emilia auf meine Frage und unterbricht somit meinen verrückten Gedankengang. „Aber du hast gesagt, dass du eine Prüfung von Eros angenommen hast?" Ich nicke stumm. Meine Begegnung mit dem Urgott der Liebe ist nicht unbedingt der erhabenste Moment in meinem Leben. „Welcher Gott ist das noch mal?" Fragt meine Gesprächspartnerin weiter. Das wundert mich ein wenig. Schließlich kommt der Name in der griechischen Mythologie doppelt vor und somit sollte die Chance auch doppelt so hoch sein, zumindest einen Gott mit diesem Namen zu kennen. „Er ist der Urgott der Liebe. Er verkörpert sowas wie die allumfassende Liebe." Erkläre ich und hoffe ich habe die Worte des Gottes richtig wiedergegeben. „Urgott?" Langsam kommen in mir Zweifel auf, ob wir wirklich die selbe Sprache sprechen. Allerdings treten die meisten Urgötter nicht mehr in Erscheinung. Außer Gaia und Uranus sind kaum welche bekannt. „Die ältesten Götter, eigentlich sowas wie die Eltern der Titanen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie sogar mächtiger als unsere heutigen Götter sind." Erkläre ich. Eigentlich habe ich mir nie groß Gedanken darüber gemacht, was Urgötter sind. Aber gut, es gibt immer ein erstes Mal.

Um uns herum hat sich der Schneesturm aus Scherben inzwischen gelegt, die Landschaft sieht wieder fast genauso aus wie ein paar Minuten zuvor. Vielleicht etwas trostloser, aber das könnte ich mir auch einbilden. Emilia scheint das aber gar nicht zu bemerken. Ich sehe wie sie fieberhaft nachdenkt. Eine tiefe Falte hat sich auf ihrer Stirn gebildet. „Wenn du von ihm eine Prüfung angenommen hast und kurz darauf auf mich getroffen bist, dann geht es vielleicht um das große Ganze." Murmelt sie. „Weist du auf welcher Seite dieser Eros steht?" Ich schüttle den Kopf. „Er hat einen recht freundlichen Eindruck gemacht und mich weder mit kleine Heldin angesprochen, noch hat er mir wirklich gedroht. Ich schätze mal, dass das ein gutes Zeichen ist." Emilia scheint nicht überzeugt, nickt dann aber. „Was hast du mit <<Das große Ganze >> gemeint?" Stelle ich meine nächste Frage bevor sie zu Wort kommen kann. Sie seufzt, fixiert dann aber erneut meinen Blick. Inzwischen bin ich mir sicher, dass die Landschaft um uns herum trostloser geworden ist. Was das zu bedeuten hat, habe ich allerdings immer noch nicht verstanden. „Ich bin keine Halbgöttin aus der griechischen Mythologie." Sagt Emilia schließlich. Es hört sich falsch in meinen Ohren an. Zu meinem Erstaunen schaffe ich es aber erstaunlich schnell, es zu akzeptieren. Wenn es die griechischen Götter und ihre römischen Erscheinungsformen gibt, wieso sollte es dann nicht auch andere Götter geben. Über Emilias Gesicht zuckt Überraschung. „Nach allem was ich in Erfahrung gebracht habe, hätte ich nicht gedacht, dass du es so gelassen aufnimmst. Ich war selbst nicht so gelassen, als ich das erste Mal jemandem aus einer anderen Mythologie begegnet bin." Erzählt sie. Irgendwie ist die Stimmung nun entspannter. So entspannt, dass ich das leichte ziehen in meiner Magengegend bemerke. Es ist ähnlich wie das ziehen, dass mich befällt, wenn ich meine Kräfte benutze. Auch Emilia scheint etwas ähnliches zu spüren. „Wir haben nicht mehr viel Zeit." Sagt sie hektisch. „Bist du bereit mir zu vertrauen und uns zu helfen, wenn wir uns im normalen Leben begegnen?" Ich denke daran, wie sie den Wall errichtet hat um und vor den Scherben der zusammenbrechenden Welt zu schützen. Wir haben uns eigentlich direkt akzeptiert, irgendwie hatten wir ja das selbe Schicksal. Ich denke daran, dass sie gesagt hat, sie wäre schon eine Weile tot. Es hat sich nicht so angefühlt. Das ziehen in meinem Magen verstärkt sich, für einen Moment blockiert er meine Gedanken. Wenn es um Schmerz geht bin ich kein Held.
Emilias Blick liegt noch immer auf mir. In ihm liegt eine Dringlichkeit, die ich kaum erfassen kann. „Ja, ich vertraue dir." Sage ich und greife nach ihrer Hand. Während ich erneut vor Schmerz nach Luft schnappe nutzt sie diese Verbindung zwischen uns um mich zu ihr zu ziehen. Dann umarmt sie mich, ich erwidere die Umarmung und der Schmerz schwächt sich ab. Während wir uns in den Armen liegen beginne ich mich aufzulösen. Es wie damals, als ich zu Licht wurde. Nur dass ich dieses Mal wohl wieder in den lebenden Zustand zurückkomme. In meine Erleichterung mischt sich auch eine Vorahnung. Ich habe ein Versprechen gegeben, ein Versprechen das ich halten muss. Egal was kommen wird...

Zane & Zoe - die zerbrochene GöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt