1. Wir lernen die Hexe aus Hänsel und Gretel kennen

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Zane

„Viel Spaß im Sommercamp." Diesen Satz hatten unsere Eltern vor fast vier Stunden zu uns gesagt, bevor das Taxi mit Zoe, Marie und mir davon gefahren war. Jetzt, wie gesagt vier Stunden später, hält der Taxifahrer an einer Straße irgendwo auf Long Island und lässt uns aussteigen. Ohne ein Wort zu sagen fährt er einfach davon und lässt uns und unser Gepäck zurück. Wir haben wohl nicht den freundlichsten Fahrer erwischt. „Und was jetzt?" Fragt Marie besorgt. Am Himmel beginnt es bereits zu dämmern, wir sind viel zu spät losgekommen. „Keine Ahnung, unsere Eltern haben gesagt, dass wir abgeholt werden würden." Ich zucke mit den Schultern und meine Schwester seufzt. Dann setzen wir uns auf unsere Koffer und warten. Was sollen wir auch anderes tun?

Der Himmel ist bereits dunkelrot, als ein weiteres Auto die Straße entlang kommt. Kurz vor uns hält es an und der Fahrer steigt aus. Es ist ein Mann, ungefähr im Alter unserer Eltern. Er hat blonde Haare, seine Augen sind hinter einer Brille verborgen in der sich die Abendsonne spiegelt. Auch die Beifahrertür geht auf, eine Frau im Alter des Mannes steigt aus. „Bianca, du bleibst sitzen!" Sagt sie bestimmter Stimme und kommt dann auf uns zu. „Was macht ihr hier?" Fragt sie und mit ihrer Stimme scheint irgendwas nicht zu stimmen. „Unsere Eltern haben uns in ein Feriencamp geschickt und das ist anscheinend die Adresse." Antworte ich trotzdem und meine Stimme hört sich irgendwie roboterhaft an. Neben mir wird Zoe unruhig, die Situation scheint ihr nicht zu gefallen. „Ach ja? Und wo sind eure Eltern?" Fragt der Mann etwas skeptisch. Die Frau legt ihm eine Hand auf den Arm, hinten im Auto quengelt ein Kind. „Meine Mutter muss arbeiten und Mr und Mrs Johnson haben noch irgendwas wichtiges vor. Wir sind mit dem Taxi gekommen und das ist sofort wieder verschwunden." Erklärt Marie, auch ihre Stimme klingt seltsam. Die Frau und der Mann, ich beschließe jetzt einfach, das sie ein Paar sind, schauen sich an. Dann zieht der Mann ein Schwert und Zoe keucht auf. Die Klinge ist aus gold, das im Abendlicht glänzt. Sie blendet mich ein wenig, aber ich frage mich trotzdem, wer Bitteschön heutzutage noch ein Schwert hat! „OK, das reicht." Meint die Frau in diesem Moment mit ihrer schneidenden Stimme. Sofort erstarren alle in ihrer Bewegung. Nur Zoe beeindruckt das ganze nicht. Der Mann seufzt und sie Frau lächelt: „Sehr schön, ihr drei", sie deutet auf uns, „wartet hier. Wir holen euch gleich und bringen euch ins Camp." Dem Mann scheint das irgendwie nicht zu passen. „Bist du dir sicher, Pipes,..." Mit einer Handbewegung unterbricht die Frau ihn. „Ich bin sicher." Zischt sie mit mehr Autorität in der Stimme. Der Mann hebt die Hand. „Schon gut." Sagt er beschwichtigend und etwas leiser: „Ich hasse diese Situationen." Aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet.
Die beiden steigen ein, das Auto setzt seinen Weg fort. Nur wenige Minuten später kommen sie mit Gepäck beladen und einem kleinen Mädchen an der Hand wieder zu uns. „Los", meint die Frau und zeigt auf den Hügel: „Wir müssen da hoch." Ihre Stimme duldet keine Wiederrede und ehrlich gesagt kommt mir auch gar nicht in den Sinn das etwas nicht stimmen könnte. Zumindest, wenn meine Schwester mich nicht in die Seite geboxt hätte. „Hier stimmt etwas nicht." Flüstert sie, auffälliger geht es wohl nicht. Sofort dreht die Frau sich wieder zu uns um. „Das hast du gut erkannt. Wie ist denn dein Name?" Sagt sie mit zuckersüßer Stimme. Zoe starrt sie nur weiter unverhohlen an. „Sie klingen wie die böse Hexe aus Hänsel und Gretel." Sagt sie genauso unverhohlen. Der Mann lacht. „Das wäre eindeutig eine neue Beschreibung." Erklärt er und die Frau schaut ihn wütend an. „Du bist doch keine Hexe, oder Mama?" Fragt das kleine Mädchen, Bianka glaube ich, mit großen Augen. Die Frau beugt sich zu ihr hinunter und streichelt ihr über den Kopf. „Nein, ich bin keine Hexe." Meint sie und ihre Stimme klingt dieses Mal nur Kindgerecht und kein bisschen komisch. Dann lacht sie: „Es sei denn du räumst dein Zimmer nicht auf." Sie stupst ihre Tochter in den Bauch und diese Lacht. Die kleine Familie erinnert mich ein wenig an unsere Familie. Ich schiele zu meiner Schwester und sehe, das sie den Blick senkt. „Ich bin Zane und das ist meine Schwester Zoe." Erkläre ich und Marie fügt ein: „Und ich bin Marie." Hinzu. Damit scheint die Sache erledigt zu sein und wir laufen schnaufend weiter den Hügel hinauf. Das heißt Marie, Zoe und ich schnaufen ein wenig. Unseren Begleitern scheint der Aufstieg nichts auszumachen. Oben angekommen sehen wir als erstes eine große Fichte. Auf einem ihrer Äste blitzt es golden und um ihren Stamm ist etwas gewickelt, was verdächtig wie ein Drache aussieht. Meine Schwester bekommt ganz große Augen, als sie es sieht. Sie murmelt irgendwas von China und der Kopf der Hexe, die keine ist, fährt erneut herum. „Was ist mit China?" Zoe sieht richtig überrascht aus und nimmt dann ihre typische Abwehrhaltung ein. „Nichts wichtiges, dieses Ding erinnert mich nur an einen Drachen von einer alten chinesischen Porzellanvase." Überrascht schüttelt die Frau den Kopf. „Das ist mal was neues." Erklärt sie und schaut den Mann an. Bianka aber scheint ungeduldig geworden zu sein. Sie zieht an der Hose ihres Vaters (die beiden sehen sich ähnlich) und quengelt herum, dass sie jetzt endlich nach unten will. Vielleicht sagt die Frau oder der Mann auch noch etwas, aber das bekomme ich nicht mit. Denn in diesem Moment fällt mein Blick das erste Mal richtig auf das, was nun vor uns unterhalb des Hügels liegt.

Ein halbes duzend Hütten schmiegt sich in das Tal, das vom Meer begrenz wird. Mir ist gar nicht aufgefallen, das wir so nah am Wasser sind. Einen Moment hält das glitzernde blau meinen Blick gefangen, dann schweift er zurück zu den Hütten. Zwölf Stück von ihnen haben früher wohl mal einen Weg gesäumt doch jetzt gehen zwischen ihnen immer wieder neue Wege zu anderen Hütten ab, sodass diese ehemalige Form kaum noch zu erkennen ist. Und die Bauweise der Hütten erst, ich glaube meine Mutter würde ausflippen, auch wenn sie sagen würde, dass ich doch bitte Architektur sagen soll. Jede Hütte ist individuell gebaut, es ist ein riesiges Chaos aus Farben und Formen, das doch irgendwie zusammenpasst. „Wow." Flüstert Marie neben mir und ich kann auch ohne mich umzudrehen erkennen, das die Frau lächelt. „Willkommen in Camp Halfblood." Sagt sie feierlich und der Mann legt einen Arm um sie. Dann gehen wir hinunter, mitten durch das bunte Treiben.

Zane & Zoe - die zerbrochene GöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt