26. Wörter, die die Welt bedeuten

30 3 0
                                    

Zane

Ich schreie auf, als Zoe gegen einen Baum geschlagen wird und reglos liegen bleibt. Dieser Anblick erinnert mich viel zu sehr an den Anblick der Zoe, die regungslos im Zug liegt. Ob sie überhaupt noch lebt? Sie muss! Allein können wir diesen Auftrag nicht beenden. Allein habe ich keine Ahnung, was ich machen soll. Auch Marie ist geschockt, doch für uns ist der Anblick auch ein Ansporn. Wir müssen durchhalten, wir müssen kämpfen für Zoe!
Wieder stürze ich mich auf das Krokodil, doch keiner meiner Schwerthiebe scheint ihm irgendwas auszumachen. Es versucht einfach weiter uns irgendwie von sich runter zu bekommen und nach Möglichkeit zu eliminieren. Lange werden wir nicht mehr durchhalten können und nur die Götter wissen, wie lange Zoe noch hat. Ich gebe es nur ungern zu, aber ohne sie sind wir aufgeschmissen. Sie ist unsere Expertin für die griechische Mythologie und wüsste dieses Monster bestimmt einzuordnen, mir kommt es jedenfalls nicht bekannt vor. Nach wie vor wundert es mich sowieso, dass die griechen überhaupt so ein Monster hatten. "Zane, du könntest mir wirklich mal helfen!" Ruft Marie, die mehr schlecht als recht auf dem Rücken des Monsters hängt. Aber wie soll ich ihr helfen? Das erste Mal frage ich mich, ob wir es hier überhaupt mit einem Monster aus der griechischen Mythologie zu tun haben. Die himmlische Bronze von Maries Pfeilen und ihrer Sense sowie das stygische Eisen meines Schwertes scheinen ihm jedenfalls nichts auszumachen. Dabei sollten sie es eigentlich zu goldenem Staub zerfallen lassen und zurück in den Tartarus schicken. "Hilfst du mir endlich?!" Ruft Marie wieder, ihre Lage hat sich in den letzten Minuten nicht verbessert, eher ist sie noch schlimmer geworden. Das überdimensionale Krokodil behindert außerdem nach wie vor den Weg zu meiner Schwester. Leider kann ich nicht so einfach über es hinüber springen und meine bescheidenen Fähigkeiten das Wasser zu kontrollieren werden mir wahrscheinlich auch kaum etwas nützen. Ein Krokodil lebt schließlich im Wasser, wieso sollte dieses ihm also etwas anhaben können? Der Frust steigt in mir hoch und benebelt für einen Moment meine Gedanken. Dieser Moment reicht aus, damit Marie endgültig vom Rücken des Monsters geschleudert wird. Sie fällt zu ihrem Glück nicht gegen einen Baumstamm sondern "nur" ins Gras, was eigentlich auch nicht viel besser ist. Immerhin richtet sie sich wieder auf und krabbelt auf meine Schwester zu, während das überdimensionale Krokodil sich nun mir zuwendet. Ich schlucke einmal, dann umfasse ich meinen Schwertgriff fester und hoffe einfach, dass es doch etwas gegen diese Ungetüm ausrichtet. Ich weiß nicht, ob die Götter meine Gebete erhört haben, ob ich überhaupt gebetet habe, aber in diesem Moment passiert tatsächlich etwas. Der Himmel tut sich auf und ein weiteres Monster kommt auf die Lichtung geflogen. Es sieht aus wie ein Greif, nur dass es auf seinem Rücken eine Art Insektenflügel hat, welche sich unglaublich schnell hin und her bewegen. Um den Hals dieses Tieres befindet sich eine Art Schlinge, welche zu einem Boot führt, das hinter diesem weiteren Ungetüm her fliegt. Es ist keine griechische Triere, das fällt sogar mir auf. Ich glaube, ich habe diese Art Boot bereits einmal gesehen, aber mir fällt nicht ein wo. Dann ist der Überraschungsmoment vorbei. Das Krokodil stößt ein weiteres ohrenbetäubendes Brüllen aus und stürzt sich auf mich. Ich kann gerade noch irgendwie zu Seite ausweichen, was einem Wunder gleichkommt, wenn man bedenkt, dass dieses Ding ziemlich breit ist. Im selben Moment, in dem ich mich abrolle stößt auch das andere Wesen einen Schrei aus. Es ist kein Brüllen, es ist ein Schrei, der sich irgendwie nach "Frieek!" anhört. Dann macht das Greifartige wesen kehrt und verschwindet wieder im Himmel. Es sieht so aus, als würde der Himmel es verschlucken.

Ich hätte ihm besser nicht nachschauen sollen, denn diesen Moment wählt das Krokodil um erneut anzugreifen. Dieses mal kann ich nicht ausweichen, ich schätze mein Glück für diesen Tag ist bereits überstrapaziert, obwohl es erst Morgen ist. Leider werde ich deshalb unter einem gefühlt mehrere Tonnen schweren Krokodilsmonster begraben. Es ist eng und schuppig und eklig und ich versuche die nächste Zeit möglichst wenig zu Atmen. Das Krokodil macht keine Anstalten von mir hinunter zu gehen, weshalb ich in eine Art Dämmerzustand durch den Mangel an frischer Luft falle. Vielleicht hatte das schwere Ding auf mir auch noch etwas damit zu tun. Ich bin kein Arzt. Als ich also endlich wieder richtig Luft bekomme und sich meine Sicht wieder klärt sehe ich zwei Frauen auf der Wiese stehen. Das Monster ist verschwunden, stattdessen liegt nur noch ein Krokodil von wahrscheinlich normaler Größe nicht weit von mir im Gras. Schnell rapple ich mich auf, das heißt ich versuche es. Mein Körper scheint nach dem Kampf nicht ganz mitmachen zu wollen und ich kann mich nur mühsam aufrichten. Die beiden Frauen, welche im Moment mit Marie vor meiner Schwester knien beachten mich nicht weiter. Marie scheint ihre Anwesenheit auch nichts auszumachen. Wahrscheinlich haben sie gerade mit dem Monster gekämpft. Oder Marie hatte einmal mehr eine grandiose Idee.

Der Weg über die Wiese kommt mir unendlich lang vor. Ich kann zusehen, wie die beiden Frauen sich besorgte Blicke zuwerfen und wie Marie in ihrem Rucksack kramt. Sie gibt den beiden etwas. Dann beugt sich die eine Frau wieder über meine Schwester. Endlich habe auch ich die vier Personen erreicht. Zoe sieht überhaupt nicht gut aus. Sie ist blass und ihre Brust hebt und senkt sich nur noch leicht. Mir fällt trotzdem ein Stein vom Herzen, denn immerhin atmet sie noch. Eine der Frauen flößt Zoe etwas Nektar ein. Dabei fallen ihr ihre langen schwarzen Haare über die Schulter und verdecken den weiteren Blick auf das Gesicht meiner Zwillingsschwester. Die Frau neben ihr hat blonde Haare, sie hantiert mit einer Trinkflasche, wobei sie von Marie beobachtet wird. Auch meine Freundin wirkt vom Kampf mitgenommen. Ein paar ihrer dunkelbraunen Haarsträhnen haben sich aus ihrem Zopf gelöst und kleben nun verschwitzt an ihrer Stirn. Ihre Augen leuchten irgendwie von innen heraus. Das tun sie auch sonst manchmal, aber dieses Mal strahlen sie wirklich, also optisch und nicht sinnbildlich. „Ihr Leben liegt nicht mehr in unserer Hand, sie steht an der Schwelle zur Unterwelt." Maries Stimme klingt seltsam emotionslos, dann schließt sie die Augen und sinkt zusammen.

Zane & Zoe - die zerbrochene GöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt