7.

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"Okay, liebste Schwester. Was genau ist alles passiert, dass Shane wie tollwütig auf dich reagiert, und du ohne was zu sagen zu Nate abhaust?"
Der Appetit auf das leckere Frühstück was Maria vorbereitet hat vergeht mir direkt wieder.
"Frag den Spinner doch selbst! " erwidere ich gereizt.
Kaiden schüttelt den Kopf. "Du hast es gestern versprochen. "
Mist. Wie hat das eigentlich alles angefangen? Ich fühle mich, als ob dieses Drama schon seit Jahren läuft, dabei sind es erst ein paar Tage.
"Ich... keine Ahnung. Shane macht sich an mich ran, haut ab, kommt wieder angekrochen... Ich meine  denkt er wirklich, ich würde auf seine Masche reinfallen? Ich bin keine dieser hohlen Schulhof-Matratzen, das wissen du und ich. Und genau das habe ich ihm gestern so freundlich wie ich konnte klargemacht. Hat ihm anscheinend nicht gefallen." Das ich kurz davor war, schwach zu werden  muss Kaiden nicht wissen.
"Ja, bei deiner Freundlichkeit kein Wunder." Grinst er, dann wird er nachdenklich. Kurz beobachte ich ihn und beschließe, seine Gedanken zu umterbrechen.
"Aber Jojo, das braucht bitte nicht zwischen euch stehen. Ihr versteht euch gut und du passt anscheinend in die Truppe rein. Ich hab ihm deutlich gesagt, dass er sich von mir fern halten soll und ich denke, das wird er tun. Du weißt im Zweifelsfall kann ich mich immer wehren. Und vielleicht sind wir auch erwachsen genug, um normal miteinander umzugehen. " bei meinem letzten Satz muss Kaiden sich offensichtlich ein Lachen unterdrücken. Schmollend schiebe ich die Unterlippe nach vorn. "Oder etwa nicht?"
"Doch, doch. Bestimmt. Egal, wir sollten los. Und nach der Schule sollten wir nochmal gezielt üben, sonst könnte das morgen Abend bisschen peinlich werden."
"Also wirklich, wir und peinlich? Niemals."
Entspannt schlendern wir zur Garage und fahren zur Schule.
Es erscheint mir unwirklich, als konsequent nichts passiert. Ausser, dass Shane nach wie vor ständig von irgendwelchen Mädels belagert wird. Beobachte ich ihn etwa? Ein ganz normaler, unaufgeregter Schultag eigentlich, wie an jeder Schule der Welt. Ich kann mein Glück kaum fassen, irgendwie geht alles drunter und drüber seit wir hier sind.

Seufzend lehne ich an meinem Auto und warte auf Kaiden, als ich eine Bewegung im Augenwinkel ausmache. Shane. Zielstrebig kommt er auf mich zu.
"Kalista. "
Ich schaue ihm mit skeptisch hochgezogener Augenbraue an.
"Können... können wir reden? Nicht hier, vielleicht bei einem Kaffee oder Eis? Jetzt? "
Ich bin verwirrt. Sehr verwirrt. Hinter ihm sehe ich, wie sich Kaiden nähert.
"Ich wüsste nicht, was du und ich zu reden haben, Shane. Ausserdem habe ich heute zu tun. "
"Mit 'Nate'?" Hat ihn das etwa gestört?
"Nein, ich habe heute kein Training bei ihm. Ich habe etwas mit meinem Bruder vor, wenn du also gestattest? Wir müssen nämlich los." Ich drehe mich um und will in mein Auto einsteigen, als er mich am Handgelenk festhält. Kaiden ist schon fast da. Schneller, Junge! Beweg dich halt mal!
Zischend atme ich ein und schaue erst auf seine mich umklammernde Hand und ihm dann mit einem warnenden Blick ins Gesicht. Mit meiner freien Hand löse ich demonstrativ seine Finger von mir.
"Dann Samstag. Da bin ich ohnehin für dich eingeplant. Keine Ausrede."
Ich lache nur trocken, setze mich ins Auto und starte den Motor, gerade als Kaiden einsteigt. Ohne weiter abzuwarten fahre ich los.
"Was wollte Shane? Ich dachte ihr seid auf getrennten Wegen unterwegs?"
"Dachte ich auch. Er will 'reden'. Wahrscheinlich eher mir 'Honig ums Maul schmieren um mich doch noch ins Bett zu kriegen'."
Kaiden grinst. "Soll ich mal mit ihm 'reden'?" Ich lache. Solche typischen 'Brudergespräche' mit irgendwelchen dahergelaufenen Kerlen gab es früher öfter. Vor Ethan. Anscheinend habe ich unbewusst eine Zeitrechnung 'vor Ethan' und 'nach Ethan'. Damit befinden wir uns derzeit im Jahr 2 n.E. . Unwillkürlich muss ich grinsen.
"Lass mal. Irgendwie wird das schon. Wie gesagt, ich möchte nicht, dass ich jemals zwischen dir und deinen Jungs  stehe."
"Du weißt, dass ich letzten Endes immer auf deiner Seite stehen werde, kleine Schwester."
"Ich weiß, Danke." Meine Stimmung nähert sich einem Tiefpunkt, als ich an die wenigen Situationen denke, in denen ich den 'ich hole meinen großen Bruder'- Joker ausgespielt habe. Nein, Stop. Jetzt nicht die Laune vermiesen lassen. Meine Finger umfassen das Lenkrad fester und ich lasse den Motor aufheulen. Zwei Minuten später sind wir zuhause und mein Bruder sieht mich stirnrunzelnd an. Fröhlich zucke ich mit den Schultern.
"Oh übrigens... also auch auf die Gefahr hin, dass das wieder ein Stommungskiller ist... Shane fragte, ob ich Montag Abend zu einem Rennen mitkommen will... Nix großes, aber trotzdem. Kommst du mit? "
"Ich bin ohnehin dort. Adrian verbürgt sich für mich, damit ich starten kann."
Mit großen Augen sieht er mich an.  "Adrian?"
"Ja, Adrian. Er ist der hiesige Organisator. Er hat es mir Dienstag gesagt."
"Warum tut er sowas? "
"Mein Ruf eilt mir wohl voraus." Winke ich ab.
Kaiden runzelt die Stirn. "Die wenigsten tun sowas aber vollkommen selbstlos. Sei vorsichtig Kalista."
"Jojo. Ich bin schon groß."
Er seufzt theatralisch. "Warum bin ich nur keiner dieser super beschützenden großen Brüder, die die Typen sofort verschrecken? Wie hat Frank immer gesagt? 'Fang niemals was mit einem Organisator an'. Weißt du überhaupt, was der alles gegen dich in der Hand hat, wenn du nicht so spurst, wie er will?"
"Meinen Namen. Und wer würde das bitte glauben? Die kleine, unscheinbare Kalista, als Rennfahrerin. Das ist absurd."
Kaiden beißt sich auf die Lippe, anscheinend will er etwas sagen, verkneift es sich aber.
"Sag es, Jojo." Gespielt drohe ich ihm, als wir auf dem Weg ins Haus sind.
"Du bist alles, aber nicht unscheinbar. Seit du aufgekreuzt bist, blocken Shane und Marc alle Mädels ab. Die Frauenwelt an der Schule hasst dich."
"Das ist Quatsch. Die spielen doch nur, weil ich neu bin. Nächste Woche ist alles wieder beim alten, die schleppen  alle paar Tage irgendwelche Löcher nach Hause und gut ist."
"Ich überhöre einfach mal deinen gereizten Unterton, wenn es um Shane und andere Frauen geht." Grinst Jojo. Ertappt schaue ich auf den Boden.
"Du solltest sein Angebot annehmen. Samstag. "
Schockiert blicke ich ihn an.
Er zuckt nur belustigend mit den Schultern. "Naja, entweder findet ihre raus, dass ihr achtzig Prozent eurer Interessen teilt und wunderbar miteinander harmonieren könntet und es wird ein schöner Abend, oder ...." er überlegt kurz-"oder ihr landet doch direkt im Bett."
"JOJO!" Entsetzt haue ich ihm gegen die Schulter.
Er will gerade in sein Zimmer abbiegen, da dreht er sich nochmal um. "Getroffene Hunde bellen, Schwesterherz." Schnell schließt er seine Tür. Unbewusst mahle ich mit dem Kiefer. Ja, Shane ist unfassbar attraktiv, aber sollte mein Bruder nicht derjenige sein, der mich vor dem Fuckboy -mit dem er nebenbei auch noch befreundet ist- schützen? Tue ich Shane Unrecht, indem ich von Anfang an für mich klargestellt habe, was für ein Typ er ist?
Ich ziehe mich um, schnappe mein Cello und bewege mich in den Salon, wo mein Bruder schon am Flügel sitzt und auf mich wartet.
Als wüsste er, was im meinem Kopf vorgeht, sagt er nichts, sondern fängt an zu spielen. Auch, wenn wir längst nicht mehr so viel gemeinsam musizieren wie früher, die Harmonie ist einfach da. Und jedes mal ist es irgendwie magisch. 

Als wir fertig sind, hören wir Maria leise klatschen und ich sehe, wie sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischt.
"Eure Eltern werden sich morgen so sehr freuen, wisst ihr das? Ihr seid so wundervolle Kinder, dass ihr euch nie beschwert, obwohl Jack und Kathrine nie da sind. Ihr gebt euch solche Mühe für sie!"
Betreten schauen Kaiden und ich uns an. Nie beschweren ist relativ übertrieben, aber wir lassen Maria ihre Illusion lieber, wo sie sich doch so herzergreifend um uns kümmert.

Nachdem wir das Lied noch ein paar mal gespielt haben und uns sicher sind, es drauf zu haben, gehen wir noch in den Fitnessraum, um den Tanz zu üben.
Ein wenig haben unsere Eltern vermutlich versucht, uns ihre Lebensträume aufzuerlegen, oder versucht, dieser Gesellschaft in der sie verkehren gerecht zu werden. Kaiden und ich hatten immer ein hartes Pensum zu absolvieren. Musikunterricht am Klavier, Cello, Geige und Gesang, Tanzstunden für klassische Tänze und Rock'n'Roll -da haben wir als kleine Kinder drauf bestanden,wenigstens etwas, was nach unserer Nase lief. Dazu natürlich Sprachunterricht. Die Vorteile dessen, erfahren wir jetzt erst, obwohl wir sie als Kinder so verflucht haben.
All das wurde irgendwie aufgegeben, als unsere Eltern gemerkt haben, dass es zu viel ist und wir auf unsere Freizeit bestehen. Seitdem machen wir diese Sachen ab und zu - vor allem freiwillig.
Das Verhältnis zu unseren Eltern ist vielleicht auch deshalb so erstaunlich gut. Weil sie uns nicht mehr unter Druck setzen und wir sie einfach und ehrlich respektieren können. Und ganz unter uns, es ist schon auch etwas cool, sozusagen allein zu leben. Selbstständig und so. Auf wie viel Kaiden und ich verzichten müssten, wenn unsere Eltern immer da wären... Pro und Contra eben.

HeartracerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt