44.

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Die nächsten zwei Tage stürze ich mich mit voller Energie in das Packen meiner Kisten. 
Anrufe von Liam lehne ich ab oder ignoriere ich; auch, dass er schon dreimal vor unserer Haustür stand ändert nichts. Maria, unsere Haushälterin, hat ihm jetzt Hausverbot erteilt. Ich denke, Kaiden hätte anders gehandelt, der ist aber damit beschäftigt, seine Sachen zu packen und nebenbei sein Dj-Set weiter vorzubereiten.
Bea und Jenny verbringen jede freie Minute die sie haben bei mir, um mich in jeder Hinsicht zu unterstützen.
Heute, Mittwochabend, ist wieder ein Rennen. Adrian hat mir mitgeteilt, dass ich, selbst wenn ich nicht fahre, kommen sollte, da er neue Informationen zu meinem Unfall hätte.
Aus Trotz habe ich ihm gesagt, dass ich trotzdem fahren werde und er hat nur gelacht.
Jetzt stehe ich mit zitternden Händen in der Garage vor meinem Mazda, kurzzeitig unfähig mich zu rühren.
Der Wagen ist so auffällig, dass jeder ihn sofort erkennen wird. Aber dann ist es heute wohl so weit.
Grimmig lächelnd steige ich ein und starte den Motor. Er klingt so anders als mein Mitsubishi, was natürlich an dem vollkommen anderen Motor liegt, dennoch fühlt sich alles vertraut an, als ich langsam mein heimatliches Gelände verlasse und auf die Straße rolle. Zwei Kurven später fühlt es sich an, als wäre ich nie einen anderen Wagen gefahren.
Die denken also, man könnte mich enfach aus dem Weg räumen?
Liam denkt, er könne einfach mit mir spielen? Alles so weit gefehlt. Denn ich bin nicht einfach nur ein kleines Mädchen mit einem großen Auto. Verdammt nein, ich bin die Drachengeborene. Ethan hat mir nicht nur autofahren beigebracht. Ich denke, er hat mir auch gezeigt, wie man sich über alle Steine im Weg hinwegsetzt und alles, was irrelevant ist, einfach ausblendet. 
Was nicht heißt, dass ich nicht heulen möchte, wenn ich an den tätowierten Mann mit den braunen Locken denke. Aber ich darf nicht zulassen, dass er mich so runterzieht, dass ich nichtmal mehr das machen möchte, was mir schon immer Freude gemacht hat.

Mit Adrian habe ich abgesprochen, dass ich wirklich erst zum Start auftauche. Ich habe keine Lust auf viele Gespräche und Fragen und was noch alles vor dem Rennen. Schließlich wird es ohnehin eines der letzten der Saison sein. Wir können nicht leugnen, dass es langsam Herbst wird. Damit werden die Straßen rutschig und gefährlich- nichts was wir für uns gutheißen können.
Eine Straßenecke vor dem Treffpunkt halte ich am Straßenrand an und warte angespannt auf die Nachricht von Adrian, dass es losgeht. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es nur noch wenige Minuten dauern wird, bis der erlösende Anruf kommt.

Die Fahrer, die vorne am Start stehen bekommen vermutlich gar nicht mit, dass ich mich heimlich in die letzte Reihe gestellt habe, ganz im Gegensatz zum Fahrer neben mir, der zuerst ungläubig den Kopf schüttelt, dann aber anerkennend nickt und lacht.
Reaktionen der Fahrer vor mir bekomme ich nicht mehr mit, denn schon geht es los.
Der Mazda gehört sicherlich nicht zu den schnellsten Autos, weswegen ich diesmal wirklich taktisch klug fahren muss. Der Mitsubishi konnte einfach alles über die schier unglaubliche Motorpower ausgleichen.
Mein Überraschungsmoment ausnutzend kann ich mich an den hinteren Fahrern schnell vorbeidrängen und genieße für einen Moment wie die Landschaft an mir vorbeifliegt und ich nur das Brummen des Motors höre.
Das glückselige Lächeln in meinem Gesicht scheint wie festgemeißelt, auch als ich zwei weitere Fahrer hinter mir lasse.
Nur Shane und ein weiter Wagen sind vor mir und die Ziellinie ist in Sichtweite. Das Blut rauscht in meinen Ohren und die Menge an Adrenalin in meinem Körper ist definitiv über dem Durchschnitt. Ich atme noch einmal tief durch. Mein Fuß senkt sich weiter auf das Gaspedal und der kleine Mazda gibt alles, was er kann. 
Zeitgleich überqueren Shane und ich die Ziellinie, den anderen Fahrer haben wir irgendwo zurückgelassen.
Adrian verkündet uns beide als Sieger, doch Shane nickt mir nur kurz zu und quetscht sich mit eiserner Miene durch die Menschenmenge. Sekunden später ist er aus meine Sichtfeld verschwunden. 
Enttäuscht sinken meine Mundwinkel nach unten, doch Adrian gibt mir keine Zeit zum nachdenken. Immerhin verscheucht er auch alle anderen Leute, die mich jetzt natürlich mit Fragen überhäufen wollen.
Etwas abseits vom Geschehen setzen wir uns auf eine kleine Mauer. Wenig später stößt Bea mit Getränken in der Hand zu uns. 
"Also, wir sollten gleich zum Punkt kommen. Ich habe auf diversen Bildern -leider nicht auf Videos- die beiden Mädels entdeckt, die ich dir neulich schon gezeigt habe. Zwei Leute meinten, dass sie sie öfter in der Nähe deines Wagens gesehen haben. Aber da eh jeder um das Schätzchen rumgeschlichen ist, ist das erstmal nicht auffällig gewesen."
Nachdenklich nicke ich und nippe an meiner Cola. "Bea, meinst du die Beiden würden so weit gehen? Auch wenn du nie so viel mit ihnen zu tun hattest, du kennst sie eben doch länger."
Nach einem Moment schüttelt sie den Kopf. "Nein. Irgendwie nicht. Also zumindest nicht von sich aus."
"Du meinst, jemand hat sich angestiftet?" frage ich vorsichtig nach.
"Nicht irgendjemand. Ich will niemanden in Verruf bringen, aber es gibt nur eine Person, die so skrupellos ist. Andere Fahrer würde ich ausschließen wollen. Jeder weiß, wie heilig die Wagen, sind."
Adrian wird hellhörig. "An wen denkst du?"
"An wen wohl? Niemand hasst mich mehr als Stacy." Angespannt atme ich aus und lasse meinen Blick schweifen. 
Fast nur aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie Shane sich in seinen Wagen setzt und abfahrbereit macht.
Bea bemerkt meinen Blick und stößt sanft ihren Ellbogen in meine Rippen. "Na hau schon ab. Ihr habt sicherlich einiges zu besprechen. Aber mach keinen Unsinn, okay?"
"Danke." Mit einem Küsschen auf die Wange verabschiede ich mich von meinen beiden Freunden und folge Shane mit meinem Wagen. Schnell erkenne ich, wohin ihn der Weg führt und bin ehrlich gesagt nicht überrascht.

HeartracerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt