34.

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Mit einem Cocktail in der Hand sitze ich auf Liams Couch und frage ihn die Behandlungsmethoden für verschiedene Sportverletzungen ab. Dabei beobachte ich ihn, wie er im Raum auf und ab läuft, wild gestikuliert, während er in seinem Hirn nach den richtigen Fachbegriffen kramt.
Seufzend nimmt er mir den Block aus der Hand, wirft ihn auf den Tisch und lässt sich neben mich fallen.
"Na Herr Student, geben wir schon auf?" necke ich ihn und stoße ihm meinen Ellbogen etwas in die Rippen.
"Für heute ja." seufzt er und fährt sich durch die Haare. Dann greift er nach meinem Glas und genehmigt sich einen Schluck.
Mit einem Arm zieht er mich an sich und ich kippe mit dem Oberkörper auf seinen Schoß. Lächelnd schließe ich die Augen und schmiege mich an ihn, während er gedankenverloren meinen Arm streichelt.
"Also was ist los? Du wirkst niedergeschlagen heute." Forschend schaut er mir in die Augen, die ich überrascht aufgerissen habe.
"Stacy hat mich ziemlich dumm angemacht heute. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Shane kommt zu mir, will mit mir reden, daraufhin zickt Stacy wieder rum, weil sie meint, ich würde mich an ihn ranschmeißen."
"Willst du dich denn an ihn ranschmeißen?"
Vor genau so einer Frage hatte ich irgendwie Angst. "Keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht. Ich meine, Kaiden hatte schon Recht mit seiner Frage heute morgen. Was ist das hier, mit uns beiden?"
"Was immer du willst."
"Und wenn ich aber nicht weiß, was ich will? Was willst du denn?"
"Wenn ich das wüsste."
Genervt stöhnend liegen wir weiter auf der Couch, bis er meinen Kopf zu sich dreht, sodass ich ihn wieder ansehe. "Ich will dich. Im Bett, auf der Couch, auf dem Küchentisch, in deinem Auto. Überall. Aber ich habe Angst, dass das, was da außer dem Körperlichen zwischen uns ist, dass das es nicht verträgt. Ich will dich in meinem Leben nicht mehr missen." sagt er leise und schaut beiseite.
"Wie ist das, wenn du dir vorstellst, ich würde mit Shane auf ein Date gehen? So wie du und ich neulich."
"Puh. Na ja. Ich glaube, ich wäre bisschen eifersüchtig, dass er Zeit mit dir verbringen kann und nicht ich."
"Wenn wir uns küssen würden?"
Er schluckt schwer. "So wie gestern, zum Abschied?"
"Nein, so." Ich erhebe mich ein wenig und lege meine Lippen sanft auf seine. Sofort schlingt er seine Arme um mich und hält mich fest, bevor er seine Zunge zwischen meine Lippen schiebt.
"Gott, ich glaube ich würde ihm den Kopf abreißen wollen, weil ich an seiner Stelle sein will." murmelt er, nachdem wir uns wieder getrennt haben. 
"Verdammt, das macht es alles nicht leichter! Kannst du nicht sagen es wäre dir egal?"
Betroffen schüttelt er den Kopf. "Wäre es dir denn egal, wenn ich eine andere Frau so küssen würde?"
Ertappt beiße ich mir auf die Lippe und schüttle den Kopf.
"Siehst du." grinst er mich frech an.
Wenig später mache ich mich auf den Weg nach Hause, ohne einer Lösung für mein Gefühlschaos auch nur ansatzweise näher gekommen zu sein. 

"Ach man Jenny. Ich weiß wirklich nicht, was ich noch tun soll. Ich weiß nichts mehr. Kann man Gefühle für zwei Typen haben, wenn man so lange niemanden an sich rangelassen hat?" Frustriert sitze ich mit Jenny auf meinem Bett und ignoriere den Block mit Hausaufgaben, der neben uns liegt.
"Vielleicht ist genau das dein Problem. Dass du so lange alles ignoriert hast, dass du jetzt einfach mit deinen Gefühlen überfordert bist."
"Willst du vielleicht mal Psychologie studieren, Frau Doktor? Du analysierst hervorragend, aber helfen tut mir das nicht." lache ich und knuffe ihr in die Seite.
"Vielleicht ist die Idee gar nicht so doof, mal schauen. Haben ja noch ein halbes Jahr Zeit, um uns zu orientieren bevor wir uns überall bewerben müssen." grinst sie, nachdem sie mir die Zunge rausgestreckt hat.
Ich nicke und wir wenden uns vorerst wieder den Hausaufgaben zu.
Später liegen wir am Pool, als Kaiden wieder nach Hause kommt. Eigentlich wollte er sich mit Jenny einen netten Abend machen, bevor Shane ihn wegen irgendwas angerufen hat und Kaiden dann zu ihm gefahren ist. Bei der Vorstellung wie Kaiden und Shane ungefähr so verzweifelt wie Jenny und ich auf dem Bett sitzen und sich Beziehungstipps geben, müssen wir ziemlich albern kichern.
Mein Bruder lässt sich bei uns am Pool nieder und schaut mich an.
"Na Bruderherz, was hast du?" frage ich grinsend.
"Sage Mal, was machst du eigentlich in den Ferien nächste Woche?"
"Paar Tage Roadtrip mit ein paar Leuten aus dem alten Bezirk. Soweit ich weiß wollten Adrian und Bea auch mitkommen. Wieso?"
"Also, ehm, ich würde gern mit Jenny paar Tage wegfahren." Beide lächeln sich verliebt an und ich muss grinsen. Die sind so süß zusammen.
"Ja und?"
"Wir bräuchten ja ein Auto. Und Mum braucht ihren Wagen ja jetzt selber wieder."
"Ja dann nimmst du halt meinen Audi, solange du ihn nicht wieder kaputt machst. Ich bin ja eh mit dem Mitsubishi unterwegs." winke ich ab.
"Nimmst du Liam mit?"
"Sollte ich? Er fährt ein paar Tage zu seinen Eltern, also ist er eh nicht da."
Kaiden mustert mich nachdenklich, schweigt aber.

Während Jenny und mein Bruder sich einen Netflix-und-Chill Abend machen, sitze ich mal wieder an meinem PC, um an meinen ganzen Designaufträgen weiterzuarbeiten. Einiges davon habe ich jetzt schon länger vor mir her geschoben. Außerdem kann ich mir während der Arbeit wirklich mal keine Gedanken um die Männer machen.

"Hey Kalista!" Shane hält mich auf, als ich von meinem Wagen aus gerade zum Schulgebäude gehen will.
"Hm?" Verwundert drehe ich mich um. Seit der blöden Situation mit Stacy vor drei Tagen ist unser Kommunikation auf ein Minimum beschränkt. Viel mehr als ein "Guten Morgen" und "Tschüss" war nicht drin. Dafür lässt Stacy mich vorerst in Ruhe, aber wer weiß was sie jetzt mit Svea und Anna zusammen ausheckt. Bea hat festgestellt dass das dämonische Trio, wie wir sie jetzt nennen, uns ständig im Blick hat.
Shane fährt sich mit der Hand durch die Haare, bevor er mich schief grinsend anschaut. "Also, ehm, ich wollte dich fragen was du in den Ferien machst?"
"Oh. Ich... äh.. fahre die ersten drei oder vier Tage mit ein paar Freunden weg, danach werde ich mir am Pool die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, denke ich. Wieso?"
"Weil ich gern Zeit mit dir verbringen würde. Allein."
"So richtig allein? Mit ohne Kaiden, Stacy und Marc und so?" Mein Herzschlag verzehnfacht sich in diesem Moment.
"So richtig nur du und ich. Wie so ein.. ehm.. Date. Oder so."
"Und was ist mit Stacy?"
Verwundert schaut er mich an. "Was soll mit ihr sein? Sie ist ja nicht meine Freundin oder so."
"Sieht sie das auch so?"
"Deswegen ist sie dich neulich so angegangen, oder?" Betreten nicke ich zur Antwort, während er frustriert seufzt.
"BABY! Da bist du ja! Ich hab dich schon überall gesucht!" Wenn man vom Teufel spricht. Stacy kommt auf ihren Killerabsätzen angestöckelt und legt ihre schlanken Arme um Shanes Hals, bevor sie ihren Lippenstift auf seiner Wange verteilt. Ihr mörderischer Blick streift mich nur kurz, aber intensiv genug. Da hilft auch Shanes halbherziger Versuch, sie etwas wegzuschieben nichts.
Ohne noch ein Wort zu sagen wende ich mich ab, um den vorletzten Schultag vor den Ferien noch irgendwie hinter mich zu bringen.

Samstagabend. Kaiden und Jenny sind schon unterwegs in eine kleine Berghütte. Fürchterlich romantisch. Mum und Dad sind -Überraschung- nachdem wir tatsächlich mal zusammen zu Kaffee getrunken und Kuchen gegessen haben, wieder in der Firma. Liam habe ich gestern Abend nach seiner Schicht im Café noch zum Bahnhof gefahren.  Und nun sitze ich entspannt mit einer Pizza und einem mittlerweile leerem Bier im Spielezimmer und entspanne mich. Meine Tasche ist soweit fertig, morgen Mittag werde ich zu Nate fahren und unser Montagstraining absolvieren, da ich ja am Montag nicht da bin- und viel wichtiger, ich werde seine Freundin kennenlernen. Wie auch immer jemand es geschafft hat, ausgerechnet Nate von einer Beziehung zu überzeugen. Danach treffe ich mich mit Bea und Adrian und gemeinsam machen wir uns auf zum Treffpunkt mit den Anderen.
Plötzlich läutet es an der Tür. 
Schnell pausiere ich mein Spiel und tapse barfuß zur Haustür.
"Shane!?"
Grinsend hält er zwei anscheinend eiskalte Flaschen Bier hoch. Mit einer Kopfbewegung bitte ich ihn herein.
"Kaiden ist nicht da, aber das solltest du ja wissen."
"Ach Kalista. Möglicherweise wollte ich ja auch zu dir?"
Verblüfft schaue ich ihn an, während er sich neben mir auf die große Couch im Spielezimmer fallen lässt.
Ohne ein weiteres Wort öffnet er unsere Flaschen und wir stoßen an. Als sich unsere Blicke dabei treffen schleicht sich ein Lächeln in sein Gesicht.
Ich merke, dass meine Hände etwas schwitzig sind, als ich nach dem zweiten Controller greife und in der Konsole ein anderes Spiel einlege, sodass wir immerhin zusammen zocken können.
Ein paar Stunden später haben wir schon Muskelkater vom vielen Lachen und wahrscheinlich sind wir zumindest etwas angetrunken. Mittlerweile sind wir dazu übergegangen, lustige Youtube-Videos zu schauen und zu kommentieren.
Und erst später wird mir klar, dass das hier der erste Abend überhaupt war, an dem keiner von uns Beiden sich irgendwie verstellt hat oder eine Rolle gespielt hat.

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