14.

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Wir rasen los.
Wie Licht und Schatten. 
Sein weißer BMW vor meinem schwarzen Mitsubishi.
Ich lasse mich anfangs absichtlich ein klein wenig zurückfallen, um ein Gefühl für seinen Fahrstil zu bekommen. Ich kenne die Strecke und weiß genau, an welchen Ecken ich ihn überholen könnte. Nicht ohne Grund habe ich mir den Weg öfter angeschaut, nachdem Adrian mir - der Fairness halber- gesagt hatte, wo es langginge.

Wie ein Schatten fliege ich ihm in seiner Spur hinterher. Ich sehe seinen konzentrierten Blick in seinem Rückspiegel.
Den Anflug von Panik in seinem Blick als ich zum überholen ansetze.
Das triumphierende Grinsen, als er mir die Chance verwehrt. Ich muss zugeben, er bringt mich aus dem Konzept. So sehr, dass ich die nächsten zwei Chancen direkt verpasse.
Okay, tief durchatmen, du verdammtes Drachenkind.
Meine Finger umgreifen das Lenkrad etwas fester, sodass meine Knöchel schon weiß hervortreten. Ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen,  untermalt vom Röhren des Motors, als ich stärker auf das Gaspedal trete- stets der Blick auf den Tacho, denn mehr als 150 km/h waren in diesem Rennen nicht erlaubt. Ohnehin konnte man eben diese Geschwindigkeit fast nirgends auf der kurvigen Strecke fahren.
Das hier war definitiv keine Stelle an der ich überholen wollte, einfach weil gleich eine verdammt enge Kurve kommen würde. Aber es war sowas wie meine letzte Möglichkeit! Entschlossen verringere ich den Abstand zwischen Shane und mir so sehr, dass eigentlich kein Abstand mehr vorhanden ist. Wenn er jetzt bremst oder auch nur leicht am Lenkrad dreht, landen wir beide direkt im Straßengraben. Aber zum bremsen und überholen abbrechen war es zu spät. Also halte ich einfach drauf, starre auf den Weg vor mir. Synchron driften wir um die letzte Kurve. Sieht bestimmt super cool aus. 
Ich atme tief ein und aus, um meinen Herzschlag zu beruhigen, denn mit einem Blick in den Seitenspiegel habe ich feststellen müssen, dass kaum ein Blatt Papier zwischen unsere Autos passen würde. Währenddessen bringt jeder von uns seinen Wagen wieder auf die gerade Strecke. Ich kann es einfach nicht anders sagen, Shane fährt verdammt gut. Endlich eine echte Herausforderung. 

Die Ziellinie kommt immer näher und wir sind einfach immer noch auf exakt gleicher Höhe.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und reiße entschlossen an meinem Lenkrad. Ich entferne mich ein Stück von Shane, falle jedoch zeitgleich etwas zurück.
Verrückterweise funktioniert der Trick, und ich kann mich in seinem Windschatten wieder etwas annähern. Als wäre ich ein Fisch an der Angel, die er einholte, nähere ich mich ihm wieder und setze zum überholen an. Ich hoffe, dass mein Wagen die höhere Beschleunigung hat. Mit einem letzten energischen Tritt auf das Gaspedal rolle ich wenige Millimeter vor ihm über das Ziel.

Ich überprüfe, ob meine Maske noch richtig sitzt, ziehe die Kapuze des XXL-Hoodies über meinen Kopf und ziehe mir Lederhandschuhe an. Mehr kann ich nicht tun, um meine Identität geheim zu halten. Klar, ich könnte jetzt auch einfach nach Hause fahren, aber das wäre echt mies. Es gehört dazu, dem Verlierer die Hand zu schütteln- und vor allem das nicht unbeträchtliche Preisgeld entgegenzunehmen.

Adrian kommt strahlend mit einem dicken Bündel Geld zu meinem Wagen gelaufen. Wie bei einem Boxkampf wird mein Arm hochgerissen und ich nicke der Menge zu. Nachdem ich einige Menschen umarmt habe, die ich bis auf Adrian und meinen Bruder alle nicht kenne, gehe ich zu Shane. Unentwegt kaue ich auf meiner Lippe herum, was zum Glück niemand sehen kann.
Vor dem schönen Mann, der an dem weißen BMW lehnt bleibe ich stehen und schaue zu ihm auf. Anerkennend nicke ich ihm zu und strecke ihm meine Hand hin.
Sein angewiderter Blick trifft mich überraschend hart, trotzdem schüttelt er meine Hand, so wie es sich einfach gehört, und wendet sich dann ab. Fuck. Innerlich geknickt drehe ich mich um und will zu meinem Wagen zurück schlendern, als mich eine Stimme aufhält.
"Bei uns ist es Sitte, dass man sich nach dem Rennen noch unterhält. Hat man bei euch noch nie was von Ehre und Höflichkeit gehört?" Shanes eiskalte Stimme schneidet in meine Seele wie ein heißes Messer in Butter.
Ich schlucke schwer und drehe mich um. Alle Anwesenden starren uns an. Ziemlich heftig muss ich mir auf die Zunge beißen um nichts zu erwidern, denn ich bin mir sicher, dass er meine Stimme sofort erkennen würde. Also schaue ich ihn ausdruckslos an, zucke die Schultern und drehe mich wieder weg, um schleunigst zu verschwinden. 
Das ist doch mal ein Einstand in einer neuen Gegend. Vermutlich hassen mich jetzt alle. Aber, wie ich schon mal beschlossen habe- ich fahre diese Rennen nicht, um Freunde zu finden, sondern aus Spaß am Rennen selbst. 

Damals, mit Ethan, hatte ich immer große Freude an der ganzen Atmosphäre und dem drumherum. Doch nach seinem Tod wollte mich niemand mehr kennen- niemand wusste, wie man jetzt mit mir umgehen sollte. Deswegen habe ich irgendwann angefangen, maskiert und unter einem Decknamen zu fahren. Ich bin mir sicher, dass einige drüben es durchaus wissen, wer ich bin. Aber es ist nicht wichtig für mich, denn jetzt bin ich hier. 

Seufzend lasse ich mich auf dem Fahrersitz nieder und fahre mit einigen Umwegen nach Hause- nur für alle Fälle, dass mir jemand folgt. In einiger Entfernung höre ich Polizeisirenen- anscheinend haben die Ordnungshüter beschlossen, die Party am Kirchplatz zu beenden. Eigentlich verwunderlich, dass sie so lange stillgehalten haben. Ich werde Adrian bei Gelegenheit mal fragen, wie viel Schmiergeld dabei im Spiel ist.

Ich parke meinen Wagen wieder in der Garage und decke ihn vorsichtig ab, dann verschwinde ich in meinem Zimmer. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, als ich das Rennen im Geiste rekapituliere. Es war gut, es hat Spaß gemacht- nur die kleine Auseinandersetzung mit Shane am Ende hätte ich echt nicht gebraucht. Mittlerweile liege ich auf meinem Bett und checke die Social Media Kanäle mit meinem Smartphone. Mein Instagram-Feed quillt über mit Bildern und Berichten über das Rennen. Zum Glück alles anonymisiert.
Ich höre, wie die Haustür aufgeschlossen wird und wenig später schleicht sich mein Bruder zu mir ins Zimmer. 

"Hey Schwesterherz."
"Na, Lieblingsbruder."
Er schmollt. "Ich bin dein einziger Bruder."
"Deswegen ja Lieblingsbruder." grinse ich ihn an. "Wie geht's Shane?" frage ich vorsichtig.
Kaiden zuckt mit den Schultern, während er es sich im Schneidersitz auf meinem Bett bequem macht. "Er ist sauer. Angepisst, frustriert. Aber ich glaube, er hat Respekt vor deiner Leistung. Vorher war er beinahe ungeschlagen in diesem Bezirk."
"Ich kanns ihm nicht mal übel nehmen." seufze ich.
"Früher oder später kommt eh alles raus, Schwesterchen. Sieh zu, dass du alles klärst, solange du noch die Kontrolle hast."
"Was willst du mir damit sagen?" frage ich gereizt.
"Dass viele Leute Interesse haben, rauszufinden, wer du bist. Und glaube mir, wenn Shane es nicht von dir, sondern von Gerüchten oder so erfährt, dann war es dann mit euch."
"Es gibt kein uns bei Shane und mir, Kaiden. Ich weiß nicht, was du dir da versuchst einzureden. Ich meine, wir kennen uns jetzt gerade mal eine Woche. Ich mag ihn, er sieht gut aus und trotzdem hat er ziemlich unausstehliche Eigenarten. Unter anderem die, Frauen lieber nur für einmalige Geschehnisse interessant zu finden."
Mein Bruder seufzt und fährt sich durch die Haare. Er ist schon ein Augenschmaus mit seiner verwuschelten Frisur.  "Ach Kalista. Wenn du dir da mal nichts einredest. Gute Nacht." Ohne ein weiteres Wort erhebt er sich und verschwindet in sein Zimmer. Nachdenklich starre ich die Decke an, bis mir die Augen zufallen. 

HeartracerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt