21.

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Der Rest des Tages fliegt regelrecht an mir vorbei und je später es wird, desto mehr steigt meine Laune.
Am späten Nachmittag gehe ich, um mich zu lockern, noch eine Runde laufen. Danach gönne ich mir wieder ein langes Bad und mache mich ganz entspannt fertig. Es ist schon 20 Uhr, als ich mich in meinem Mitsubishi auf den Weg zu Bea mache. Wie verabredet wartet sie an einer unauffälligen Ecke auf mich und springt wie ein kleiner Flummi aufgeregt in meinen Wagen.
"Ich habe noch nieee in so einem Rennwagen gesessen. Mega cool!"
Lachend spiele ich mit dem Gas und über einige Sicherheits-Umwege fahren wir zum Startort. Wie immer lasse ich den Evo etwas abseits stehen, wo er eigentlich von niemandem entdeckt werden sollte und gemeinsam mit Bea mache ich mich auf die Suche nach Adrian. Während die Beiden immer intensiver miteinander flirten schaue ich mich um und entdecke das eine oder andere bekannte Gesicht, doch zum Glück erkennt mich niemand. Außer natürlich mein Bruder und die Jungs. Zögernd gehe ich auf sie zu, Shane ist zum Glück gerade unterwegs um Adrian sein Startgeld auszuhändigen. Sie sind alle ordenrlich alkoholisiert und so verkrümle ich mich relativ schnell wieder. Shane ist zum Glück noch länger bei Adrian geblieben, sodass ich ihm aus dem Weg gehen konnte.
Dann entdecke ich Svea und Anna, glücklich geselle ich mich zu ihnen. 
"Kali, was machst du denn hier?"
"Zuschauen, wie alle anderen auch." grinse ich schief.
"Hm. Sage mal, was hast du mir Bea zu tun? Ich hab euch vorhin zusammen bei dem heißen Typen  dahinten gesehen."
"Ich kenne den heißen Typen zufällig und dachte mir, ich stelle die Beiden mal einander vor."
Svea rümpft kaum merklich die Nase. "Naja, wenn du meinst. Also ich hole mir noch etwas zu trinken. Anna, kommst du mit?" Anna nickt und so lassen die Beiden mich stehen. Verwundert schaue ich ihnen noch kurz hinterher und wende mich dann ab. Ich habe anderes im Kopf jetzt.

Unauffällig schaue ich auf mein Handy. In 15 Minuten geht es an den Start. Da pralle ich gegen jemandem und mein Handy fällt auf den Boden. Genervt murmle ich eine Entschuldigung und bücke mich, um mein Smartphone aufzuheben. Beim aufstehen mustert mich jemand äußerst intensiv, ich kann förmlich spüren wie sich der Blick in meine Haut brennt.
Natürlich. Natürlich ist es Shane. Wer auch sonst? Wem auch sonst sollte ich jetzt noch so kurz vor dem Start über den Weg laufen, wenn nicht ihm.
"Hey." murmle ich leise.
Stumm nickt er mir zu.
"Hör zu Shane, ich..."
"Jetzt nicht, Kalista, ich möchte mich gern auf mein Rennen konzentrieren. Der Zeitpunkt ist jetzt einfach äußerst ungünstig. Was tust du hier eigentlich?"
"Na... zuschauen, dachte ich."
"Nein, das ist klar. Ich meine hier, in dieser dunklen Ecke. Die Party ist da vorn."
"Ich..." Ich wollte zu meinem Wagen , du Idiot. Notlüge, schnell! "Ich müsste da mal in die Büsche, wenn du verstehst... Und was treibt dich in dunkle Ecken?"
Mit dem Kopf nickt er in die Richtung wo mein Wagen steht. "Schauen, was das Schmuckstück dahinten so alleine macht. Das ist der Wagen von dem Typen, gegen den ich letztes Mal verloren hab. Ich hätte gern mit ihm gesprochen, einfach so, wie man das eben in unserer Szene macht. Aber der macht sich rar. Gar nicht cool." Aber du sprichst doch gerade mit IHR! Schreit alles in mir, doch ich nicke nur stumm. Defintiv ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt um ihm alles zu beichten.
"Viel Glück, Shane. Pass auf dich auf."
"Bist du nachher noch da?"
"Mal sehen. Ich .. mir ist das alles hier irgendwann immer zu viel."
"Erzähst du es mir irgendwann?"
"Vielleicht. Shane, bitte sei mir nicht böse, aber das ist verdammt hart für mich, okay?"
Kurz nehmen wir uns in den Arm und ich muss widerstehen, mich nicht verzweifelt an ihn zu klammern. Dann sehe ich zu, wie er in Richtung seines Wagens verschwindet, sich aber zwischendurch immer wieder nochmal umdreht. Ich verziehe mich zwischen ein paar hohe Sträucher, hinter denen ich meine Sachen versteckt hatte. Dann krauche ich noch ein wenig durchs Gebüsch, um an einer anderen Ecke aufzutauchen und zu meinem Wagen zu gehen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto unsinniger fühlt sich dieses Drama an. Seufzend  starte ich den Motor und genieße dieses einzigartige Gefühl, was mich dann direkt immer überkommt. Ethan und ich haben es immer den "Start-Orgasmus" genannt. Und irgendwie fühlt es sich auch so ähnlich an. Alles kribbelt und spannt sich an, und doch fühle ich mich extrem ruhig und entspannt.
Gemächlich rolle ich an die Startlinie und stelle mich vollkommen selbstverständlich neben Shane in die letzte Reihe. Im Spiegel kontrolliere ich den Sitz meiner Maske, dann lasse ich das Fenster runter und nicke ihm zu. Man kann die angespannt Stimmung regelrecht fühlen und als Adrian mir das Navigationsgerät in die Hand drückt und mir Glück wünscht, erhasche ich einen Blick auf Kaiden, der mich mit einem undefinierbaren Blick mustert. Vielleicht ist er enttäuscht, dass ich mich ihm gegenüber so verschlossen habe, ich habe ihm nicht einmal gesagt, dass ich heute starte. Gerade als ich den Blick abwenden will, lächelt er mir zu und nickt kaum merklich mit dem Kopf. Ich nicke zurück und lasse das Fenster wieder hochfahren. Dann nehme ich das Navi und klemme es in meinem Auto fest. Vorsichtshalber rüttle ich ein paar mal dran, denn ich will auf gar keinen Fall, dass es während der Fahrt herunterfällt. Schnell schaue ich mir in der Übersicht die Strecke an und nicke zufrieden. Sieht aus, als würde sie Spaß machen. Um mich herum höre ich die Motoren röhren und schließe mich dem an. 
Und dann geht es schon los.

Der Typ vor mir würgt seinen Wagen direkt ab und ich muss warten, bis Shane losgefahren ist, um ausweichen zu können. Schon liege ich etliche Meter hinten, aber hier stört mich wenigstens niemand. Und die Strecke ist lang genug, um das wieder aufzuholen.
Shanes weißen BM mache ich bereits an der Spitze aus und muss lächeln. Er ist verdammt gut.
Mein Fuß drückt das Gaspedal erbarmungslos auf den Boden meines Autos, sobald wir auf der gesperrten Autobahn sind. Die Baustellenschilder fliegen nur so an mir vorbei. Ich habe fast gar nicht bemerkt, wie ich die beiden vor mir Fahrenden längst überholt habe. Zwischen Shane und mir liegt nur noch der dunkelblaue VW. Als wären die anderen Teilnehmer des Rennens nur schmückendes Beiwerk, lasse ich auch ihn kurzerhand hinter mir. Es zählen nur Shane und ich. Gleich kommt die Abfahrt von der Autobahn, danach habe ich nur noch wenige Chancen ihn zu überholen, fällt mir auf. Hemmungslos peitsche ich die Pferde in meinem Motor weiter an, der Tacho zeigt eine Geschwindigkeit jenseits der 200 km/h an. Sekunden später liegt Shane hinter mir. Wenn ich mir jetzt keinen Fehler erlaube, bin ich locker Erste- doch noch ist das Rennen nicht vorbei. Das Blut rauscht in meinen Ohren und ich kann förmlich spüren, wie mein kleines Herz das Adrenalin durch meinen Körper pumpt. Schon sehe ich Shane im Rückspiegel nahen. Sein Blick ist hochkonzentriert, doch er lächelt. Wahrscheinlich freut er sich tief in seinem Inneren auch über diese Herausforderung, mich zu schlagen. Doch diese Genugtuung wird er auch dieses Mal nicht erfahren, denn knapp vor ihm überrolle ich die Ziellinie. Auch, wenn es ziemlich arrogant ist- aber gegen mich zu verlieren ist keine Schande. Selbst für Ethan war es irgendwann verdammt schwer, mich abzuhängen. Lächelnd steige ich aus und gebe Adrian sein Navi zurück.
"Verdammt das war sowas von stark!"
Glücklich nicke ich und lasse mich wieder kurz feiern. Dann steige ich wieder in meinen Wagen und rolle ein paar Meter von dem Trubel weg. Ich weiß, die Blicke verfolgen mich, also beginne ich, Donuts zu drehen. Meine armen Reifen qualmen schon, doch die Leute toben vor Begeisterung, als Shane und der blaue VW sich dazu gesellen. Sicherlich gibt das wieder super coole Bilder- die ich Idiot niemandem zeigen kann, denn sonst war es das mit meinem dummen Geheimnis. Vorerst sollte es auch noch ein Geheimnis bleiben.

Durch den Qualm und die tanzenden Leute kann kaum niemand erkennen, wie ich mich etwas aus dem Staub mache. Schnell ziehe ich mich wieder um und mische mich unter die Menge. Bea fällt mir angetrunken und lachend um den Hals.
"Er hat mich geküsst !!!!" schreit sie mir in mein Ohr und lachend presse ich sie an mich. 
Etwa eine halbe Stunde später bin ich voll informiert- Bea und Adrian haben um einen Kuss gewettet. Er hat auf Shane gesetzt, Bea auf mich.
"War das Absicht?" frage ich Adrian grinsend und stoße ihm meinen Ellbogen in die Rippen.
"Vielleicht. Einer von euch musste ja gewinnen. Danke, Kalista."
"Versau es nicht, okay?" 
Selig lächelnd schüttelt er den Kopf und ich mache mich auf die Suche nach Shane. Lieber lasse ich die beiden etwas allein. Ich finde ihn, wie er sich an der Bar gerade ein Bier genehmigen möchte. Gerade als er ansetzen will, nehme ich es ihm aus der Hand und drücke ihm meine Lippen auf die Wange. Verdammt, ich habe das Gefühl ich verbrenne gleich. "Danke für das Bier!" Erst schaut er sauer, doch als er mich erkennt entspannen sich seine Gesichtszüge und er lächelt mich an. Ohne den Blickkontakt abzubrechen öffnet er sich eine neue Flasche und wir stoßen an. "Du warst großartig!" gestehe ich ihm.
"Du hast die Zieleinfahrt gesehen? Ich habe dich nirgends gefunden."
"Ich habe dich auch nicht gesehen, habe ziemlich suchen müssen und wurde von Bea aufgehalten."
"Die Bea von unserer Schule?"
"Klar, du kennst sie?"
"Hmm, kann man so sagen, eher ihre Cousine." Sein Blick verfinstert sich, doch dann wischt er die Miene einfach weg und lächelt mich wieder an. "Schön, dass du noch hier bist."
"Ich habe das Gefühl, das bin ich dir schuldig."
Seufzend legt er einen Arm um mich und zieht mich etwas abseits. Wir setzen uns auf den Bordstein und betrachten die Sterne. Schweigend nippen wir an unseren Getränken, während die Party auf dem Parkplatz immer weiter in den Hintergrund gerät.

Plötzlich nimmt Shane meine Hand und sieht mich an. "Ich möchte nicht, dass du das Gefühl hast, mir etwas schuldig zu sein, Kalista."

HeartracerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt