49.

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Ausgesprochen pünktlich betreten wir den Schulhof und verbringen noch einige entspannte Minuten mit unseren Freunden. Auch Marc und Tom gesellen sich endlich mal wieder zu uns. Die Beiden waren über die Ferien mit ihren Eltern, die gut befreundet sind, weggefahren. Irgendwo an den Strand, wo noch viel Sonne scheint, so braun wie die Jungs geworden sind. Irgendwie beneide ich sie darum.

"Sagt mal, haben wir irgendwas verpasst? Stacy, Anna und Svea kommen heute gar nicht an, sondern starren immer nur hier hin?" fragt Tom verwundert zu Beginn der ersten großen Pause.
Ich schaue ertappt zu Boden, denn hauptsächlich ist es wohl meine Schuld. Shane hat es sich zur Aufgabe gemacht, mich bestmöglich zu unterstützen, in dem er meine Tasche trägt und mich stützt, wenn ich Treppen hinauf humpeln muss. Dass dieser nahe Umgang Stacy nicht gefällt, ist keine Überraschung.
"Nicht wirklich. Manchmal leben Menschen sich halt auseinander. Vielleicht haben sie es auch mal geschnallt, dass sie letztendlich nicht bei uns landen werden." winkt Shane ab. Ich schenke ihm ein unauffälliges Lächeln, welches er erwidert.
Damit ist das Thema auch schon wieder erledigt und so steht mein kleiner Unfall mit dem Baseballschläger wieder im Mittelpunkt der Gespräche.
Später, als Shane mich allein zu meinem nächsten Kurs begleitet, nutze ich die Möglichkeit, ihn nochmal darauf anzusprechen.
"Danke, dass du vorhin nichts zu Tom und Marc gesagt hast."
"Kein Ding. Klar, sie sind Freunde von mir, aber dieses ganze Drama um Stacy und so geht eher nur uns was an."
Er drückt nochmal meine Schulter und schiebt mich in den Raum, bevor er sich umdreht und sich beeilt, noch pünktlich zu seinem Kurs zu kommen.
Innerlich schüttle ich den Kopf und schaue ihm eine Sekunde nach, bevor ich mich aufraffen kann, dem Unterricht beizuwohnen.

Am späten Nachmittag bekomme ich Besuch von Nate und seiner Freundin. Denn nur weil ich mein Training in letzter Zeit sehr schleifen lasse, muss unserer Freundschaft nicht das Gleiche passieren.
Zum Abendessen kommen sogar noch Kaiden und Jenny rüber. Ich vermute, dass der Duft der selbstgemachten Pizza die Beiden rüber gelockt hat, doch etwas dagegen habe ich natürlich nicht. Erst spät am Abend bin ich wieder allein in meiner Wohnung und falle wenig später erschöpft in mein Bett.

Der nächste Tag beginnt so unspektakulär wie der Letzte geendet hat. Der Unterricht ist nicht sonderlich spannend und so wie es aussieht, hält sich das teuflische Trio weiterhin von uns fern.
Dachte ich.

Kaiden und Jenny sind nach der letzten Stunde bereits draußen am Auto und warten auf Shane und mich. Shane hält es nach wie vor für seine Pflicht, mich zu unterstützen, auch wenn ich  voraussichtlich morgen meine Krücke und die Schiene loswerde.
"Ich geh nur noch schnell zur Toilette, dann können wir los, okay?"
Er nickt und nimmt mir meine Tasche ab, bevor ich durch die Tür zur Damentoilette verschwinde.
Beim Händewaschen tritt jemand neben mich - als wären nicht alle anderen Waschbecken auch frei. Beim Aufschauen blinzele ich überrascht in Annas Gesicht.
Sie lächelt mich zögerlich an, doch ich traue der Situation nicht.
"Was willst du?" Meine Stimme klingt ungewohnt eisig.
"Kalista, ich... ich muss mit dir reden. Es ist wichtig."
Ich zucke mit den Schultern. "Tu was du nicht lassen kannst." Nebenbei wende ich mich ab und trockne mir die Hände ab.
Sie greift nach meiner Schulter und hält mich fest.
"Fass mich nicht an." zische ich leise und so schnell, als hätte sie sich verbrannt, zieht Anna ihre Hand wieder weg. Ich bleibe stehen und schaue sie abwartend an.
"Das mit deinem Auto... Verdammt ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist... Stacy war so in Rage, ich dachte, sie will nur einen Kratzer in den Lack machen oder so... Aber als ich gesehen habe, dass sie deine Reifen zerstochen hat, war es ja schon zu spät. Und dann habe ich dich nicht mehr gefunden, und dann war dein Auto schon weg und..."Zum Ende laufen ihr ein paar dramatische Tränen über das zarte Gesicht und sie hält sich schluchzend eine Hand vor den Mund.
Nur langsam verarbeitet mein Hirn, was sie da gerade gesagt hat. Im rasenden Wechsel wird mir heiß und kalt, mein Herz schlägt wie verrückt. Mein Kopf scheint zu explodieren.
"Anna, ist das die Wahrheit? Du weißt, dass ich dabei hätte draufgehen können?" flüstere ich heiser.
Ihre Antwort ist nicht mehr als ein leises wimmern.
"Kalista es tut mir so leid... Ich..."
Ich schlucke den Kloß runter, der sich in meiner Kehle gebildet hat.
Menschen, die ich mal als Freunde bezeichnet habe, haben versucht, mich umzubringen.
"Danke Anna." presse ich hervor, und drängle mich an ihr vorbei nach draußen. So schnell ich kann humple ich mit dem verwirrten Shane im Schlepptau nach draußen zum Auto.
Unterwegs zücke ich mein Handy und rufe Adrian an. Er verspricht, so schnell wie möglich zu meiner Wohnung zu kommen.

Etwa eine Stunde später sitzen wir mit Pizzastücken in der Hand in meinem Wohnzimmer.
Kaiden und Jenny, Adrian und Bea, Shane. Und ich natürlich.
Es herrscht schockiertes Schweigen, nachdem ich erzählt habe, was Anna mir heute gebeichtet hat.
Schließlich räuspere ich mich. "Also Fakt ist, ich kann nicht zur Polizei gehen. Dann sind alle dran. Natürlich Stacy auch, aber alle Fahrer, alle Besucher... " Mein Hände verharren in der Luft.
"Ehrlich gesagt, will ich auch nicht zur Polizei. Letztlich ist mir nichts passiert. Aber eine Anklage hilft Stacy auch nicht weiter. Sie muss halt wieder in Therapie gehen oder so."
Adrian nickt langsam. "Aber wenn sie das selbst nicht will, bringt das auch nix. Also wenn sie sich der Therapie verwehrt."
"Außerdem haben wir eh keine handfesten Beweise, außer Annas Aussage und Fotos, auf denen die drei neben dem Auto stehen. Aber es gibt auch Bilder von knapp 100 anderen Leuten neben dem Auto. Also hat das praktisch nichts zu sagen." meldet sich Bea.
"Hm. Ich will einfach nur nicht, dass das keine Konsequenzen für sie hat."
"Ja das verstehe ich. Ich glaube, dass es einfach zu viel für sie war. Sie kommt von ihrem komischen Auslandsjahr wieder, plötzlich bin ich mit euch befreundet, du tauchst auf und dann halt auch noch du und Shane..." Bea zeigt mit den Händen wirr zwischen dem hübschen jungen Mann und mir hin und her.
"Was, Kalista und ich?" fragt Shane verwundert. "Da interpretierst du was falsch." winkt er ab und lehnt sich zurück in die Kissen auf der Couch.
"Oh, ich dachte... also, na ja..."
"Schon okay." lächle ich Bea an, während alle anderen ähnlich verwundert gucken. Anscheinend dachten wirklich alle, dass sich da etwas zwischen uns entwickelt. Shane und ich haben allerdings festgestellt, dass wir uns als Freunde viel besser gefallen, als in jeder anderen Konstellation. Seitdem ist unser Umgang miteinander bedeutend entspannter geworden. Anscheinend hat er bemerkt, dass in meinem Herz jemand anderes wohnt. 
Jemand, der da nicht sein sollte. Unbemerkt von mir selbst verlässt ein trauriges Seufzen meine Lippen und Jenny schaut mich an. Niemand anderes hat es gehört, zum Glück. "Alles okay?"
Meine Antwort ist ein stummes nicken und ein versuchtes Lächeln.

Auch als es schon spät ist, haben wir keine Lösung parat. Trotzdem gehen so langsam alle nach Hause, schließlich ist für alle außer Adrian morgen wieder Schultag.



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Ein dickes Sorry an alle, die auf ein neues Kapitel gewartet haben :( Ich hatte so viel um die Ohren in den letzten Wochen, ich kam überhaupt nicht zum schreiben ... :(
Aber jetzt geht's ja weiter :)

HeartracerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt