21 -Die Botschaft-

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Es war der dritte Tag nach der Flucht des Todesfürsten und der Entführung seines Sohnes, als Mavericks schwere Eichenbürotür bereits vor Sonnenaufgang so schwungvoll aufgerissen wurde, dass ein Papierstapel raschelnd vom Schreibtisch auf den Boden geweht wurde. In der Tür erschien ein schwer atmender Jeffrey: "Maverick! Das musst du dir ansehen! Ich hab eine Botschaft für dich bekommen!"

Durch diese Worte hellhörig geworden, hörte Maverick auf, die Blätter wieder aufzusammeln und richtete sich stattdessen mit entschlossenem Gesichtsausdruck auf: "Was für eine Botschaft? Von dem Todesfürsten?"

"Ich weiß es nicht, ich hab noch nicht nachgesehen, aber die Nachricht wurde über einen Magier weitergeleitet... Aber komm jetzt mit, das musst du einfach sehen!", ungeduldig lief Jeffrey wieder los. 

Murrend folgte der Vampir ihm, doch auch er bekam große Augen, als er Evans Zimmertür erblickte. In einem intensiven Blau, der Farbe der Magie, der sich Magier bedienten, leuchtete ihm ein Auge entgegen. Es wirkte so real, dass es selbst dem Clanoberhaupt für einen Moment die Sprache verschlug. 

"Hier war ein Meister am Werk...", murmelte Jeffrey beinahe andächtig.

"Ist das alles oder gibt es noch eine richtige Nachricht?", fragte Maverick, der sich mühte, die Fassung zu wahren. 

"Ja, sieh auf den Boden..."

Und tatsächlich! Auf dem Boden vor der Tür lag ein Briefumschlag auf dem eindeutig "An Maverick Williams" stand. Ebendieser bückte sich und hob ihn auf. Erst als er ihn öffnen wollte, fiel ihm das blutrote Wachssiegel auf. Es bildete einige alte Schriftzeichen ab, die Maverick noch aus seiner Kindheit kannte. Beherzt zog er den Brief aus dem Umschlag und entfaltete ihn:

Hallo Vater, 

Ich weiß, dass du vermutlich annimmst, ich sei gezwungen worden, diesen Brief zu verfassen, aber ich tue das aus freiem Willen, um dir mitzuteilen, dass ich ebenfalls freiwillig gedenke, nicht zum Clan zurückzukehren. Vielleicht ist das jetzt ein Schock für dich, schließlich ist der Nachfolger, den du dir all die Jahre auf Biegen und Brechen versucht hast aufzubauen, plötzlich weg. Es tut mir leid, um deine Mühe. Auch tut es mir leid, dass ich nie der Sohn war, den du wolltest. Trotzdem steht mein Entschluss fest, vorerst zumindest werde ich bei Alex bleiben. Du findest schon jemanden, der mich ersetzt. Vielleicht wird es leichter, einen anderen, der mehr so ist wie du, als Sohn zu akzeptieren, genau wie ich Jeffrey seit meinem zehnten Lebensjahr eher als Vater sehe als dich. 

Ich hoffe naiver Weise immer noch, dass du eines Tages beginnst, aus deinen Fehlern zu lernen und sowohl anfängst, Zuzuhören, als auch Nachzudenken, dein Evan 

"DIESER BASTARD!", brüllte Maverick. Vor Zorn war sein bleiches Gesicht schon ganz rot.

Jeffrey, der über die Schulter des Vampirs mitgelesen hatte, schluckte schwer. Evans Worte berührten ihn zutiefst und im Gegensatz zu dem anderen Mann, war er davon überzeugt, dass der junge Mann diese Worte tatsächlich ohne Zwang geschrieben hatte. Er hoffte nur, dass es dem Brünetten gut ging und der Todesfürst auf ihn aufpasste. 

Währenddessen tobte Maverick neben ihm. Alex musste seinen Sohn gezwungen haben, zu behaupten, er wolle nicht mehr zum Clan zurück. Oder aber er musste mithilfe von Magie irgendwie in Evans Geist eingedrungen sein, um ihn so zu manipulieren, dass er gefügig wurde. Die einzig andere, wenn auch unwahrscheinliche, Möglichkeit, die dem Mann halbwegs plausibel erschien, war, dass Evan nur so tat als sei er auf der Seite des Todesfürsten, um von diesem Informationen zu bekommen und zu späterer Zeit seinem Clan mit diesem Insiderwissen zu helfen. In jedem Fall würde der Todesfürst dafür bezahlen.

Etwa zur gleichen Zeit lag der Verfasser der Botschaft gähnend in den Armen von ebendiesem Todesfürsten. Evan lächelte als Alex in Schlaf kurz schmatzte. Es passte überhaupt nicht in das Erscheinungsbild des Mannes, aber genau das machte ihn in Evans Sicht so unwiderstehlich. Dass er so anders war, als er im ersten Moment zu sein schien. Unweigerlich wanderten seine Gedanken zum Vorabend. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern hatte er beschlossen, dass es an der Zeit sei, seinen Vater darüber in Kenntnis zu setzen, dass er nicht wieder kommen würde. So wäre Maverick zumindest für eine kurze Zeit beschäftigt. Danach waren er und Alex zu den Schlafzimmern gegangen. Wie selbstverständlich war der Schwarzhaarige ihm in sein Zimmer gefolgt, was sein Herz hatte schneller schlagen lassen.  

"Wir... naja, wir wollten doch noch reden, stimmt's?", hatte Alex etwas nervös gefragt.

"Ja... ich, also ich...", hatte Evan vor sich hingestottert.

"Soll ich anfangen?", nachsichtig wartete Alex das bejahende Nicken seines Gegenübers ab, bevor er weitersprach, "Ich weiß, dass das zwischen uns etwas kompliziert ist und dass du wahrscheinlich gerade nicht weißt, wo dir der Kopf steht. Da geht es mir nicht besser und du sollst auch wissen, dass du zwar nicht unbedingt der erste Mann in meinem Leben bist, aber dass du seit sehr langer Zeit der Erste bist, den ich, nun ja, den ich mag..."

"Ich mag dich auch", hatte der Brünette gemurmelt und den Todesfürsten mit seinem wachen Blick gemustert. "Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, wie das klappen soll, vor allem bei unserer momentanen Situation, aber ich würde es gerne mit dir versuchen, Alex."

Alex hatte ihn einen Moment lang schweigend gemustert, doch dann war ein glückliches Lächeln auf sein Gesicht getreten und er hatte Evan geküsst. 

Und noch nie hatte Evan sich lebendiger gefühlt, als bei diesem Kuss.





Das Flüstern des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt