Evan bemerkte nicht einmal, wie seine Freunde inklusive Jeffrey zu ihm rannten, auf ihn einredeten, ihn zur Flucht hetzten. Auch die letzten Vampire, die Maverick selbst nach seinem Tod treuergeben geblieben waren, nahm er nicht wahr. Absolut nichts drang in sein Bewusstsein.
Irgendwann fand er sich in seinem Bett wieder, Jeffrey saß auf einem Stuhl und beobachtete ihn mit unverholener Sorge in den Augen. Evan sah das Zimmer nur verschwommen, wie er überhaupt hierher gekommen war, wusste er nicht. Auch war ihm nicht bekannt, wieso der Magier hier war, doch eigentlich war es ihm egal.
"Ich... ich kann dir nicht sagen, wie unfassbar leid mir das alles tut", zum ersten Mal im Leben des Vampirs sah er Tränen in Jeffreys Augen, "das war alles meine Schuld! Ich hab dich orten können und wenn ich gewusst hätte, was ich damit anrichte, du musst mir einfach glauben... Ich habe das nie gewollt!"
Evan schwieg, es dauerte eine ganze Weile, bevor er die Worte des Magiers überhaupt hörte und deren Bedeutung zu entschlüsseln, erschien ihm unendlich mühselig. Er konnte nicht denken, es gab nur einen Satz, der ihm pausenlos im Kopf herumschwirrte. Alex war tot! Der Mann, den er mehr als sein eigenes Leben geliebt hatte, war einfach weg. Er hatte immer so gewirkt, als könne ihm nichts und niemand etwas anhaben, schließlich war er Alex gewesen!
Er stierte ins nichts und nickte seinem Gegenüber lediglich zu. All seine Kraft schien ihn verlassen zu haben, selbst zu Sprechen schien eine unlösbare Aufgabe zu sein, also schwieg er. Was machte es auch für einen Unterschied, ob er nun sprach oder nicht? Alex war tot und damit war der einzige Sinn seines Lebens fort. Das leere Gefühl, das sich über seinen Körper gelegt hatte, lähmte ihn. Ohne Pause hatte er das Gefühl, sich übergeben zu müssen, doch es kam nichts hoch. Weinen konnte er nicht, reden wollte er nicht. So vergingen Stunden und aus den Stunden wurden schnell vier Tage. Während der gesamten Zeit hatte der Vampir nur im Bett gelegen und Löcher in die Wand gestarrt. Er hatte weder Blut getrunken, noch geschlafen oder auch nur ein Wort gesagt. Seine Freunde hatten abwechselnd an seinem Bett Wache gehalten, vergeblich versucht, ihn zum Aufstehen zu bewegen. Nur einer war kein einziges Mal dagewesen. Raymond hatte mit sich selbst zutun gehabt, nachdem sein bester Freund gestorben war, doch nach vier Tagen wurde es ihm zu viel.
"Es reicht mir!", Evan zuckte zusammen, als er die scharfe Stimmlage Raymonds hörte. Bis zu diesem Moment hatte er noch nicht einmal bemerkt, dass der Mann sich überhaupt in dem Zimmer befunden hatte.
Raymond sah ihn entschlossen an: "Du wirst mir jetzt zuhören! Alex ist weg, akzeptiere es! Wenn du nämlich glaubst, er würde sich freuen, dass du dich wegen ihm hier vergräbst, dann kanntest du ihn ganz offensichtlich verdammt schlecht! Und jetzt steh endlich auf, wir gehen dir jetzt was zu Trinken besorgen, das ist ja alles nicht mehr mit anzusehen."
Evan wusste nicht, was es war, doch irgendetwas in den Worten des Magiers bewirkte, dass er sich langsam aufsetzte. Alex hatte nie mit ihm über seinen Tod gesprochen, doch er war sich sicher, dass sein Gegenüber recht hatte. Der Todesfürst hätte niemals gewollt, dass er litt und sich nicht mehr aus seinem Bett bewegte.
Gemeinsam hatten sie die viel zu große Villa verlassen, Evan aufgrund seiner langen Bewegungslosigkeit leicht taumelnd. Schweigend waren sie in den Wald gelaufen, wo der Vampir innerhalb kürzester Zeit ein Reh ausgespürt hatte. Schwieriger gestaltete es sich, dieses zu töten, denn Evans Kräfte waren durch seine verzehrende Trauer geschwächte. Dennoch gelang es ihm nach einer Weile, das Tier zu reißen und mit jedem Schluck Blut, den er nahm, spürte er die Stärke in seinen Körper fließen.
Auf dem Rückweg zu Danas Anwesen hatte Evan die eine Frage gestellt, von der Raymond gehofft hatte, sie nicht beantworten zu müssen. Der Vampir fragte, was aus seinem Vater geworden sei. Was sollte der Magier darauf erwidern? Evan war derzeit sowieso extrem instabil, konnte den Tod seines Freundes in keinster Weise realisieren und verarbeiten. Würde die Tatsache, dass Maverick ebenfalls aus dem Leben gerissen worden war, ihn noch mehr zerstören?
Raymond beschloss, dem Brünetten die Wahrheit zu erzählen, früher oder später würde er es schließlich mitbekommen, ob er nun log oder nicht. Zu seiner immensen Überraschung schien Evan nicht traurig, sondern eher erleichtert, beinahe froh über diese Information sein.
Abends lag Evan in seinem Bett und mit den wiedergewonnen Kräften traten die Bilder wieder in sein Bewusstsein. Zum ersten Mal seit Alex' Tod, liefen ihm Tränen über die Wangen. Die ersten Schluchzer waren leise, zögerlich, aber desto länger er da lag, desto heftiger wurde es. Zusammengekrümmt und verkrampft weinte er, wie er noch nie in seinem Leben geweint hatte, sein Körper geschüttelt von den Schluchzern. Es fühlte sich so an, als würde ihm jemand mit aller Gewalt das Herz aus der Brust reißen, er bekam kaum noch Luft vor Schmerz. Es war eine grausame Ironie des Schicksals, Alex hatte kurz bevor sie zusammengekommen waren gesagt, er könne nicht Evans Freund sein, weil der Vampir sterben würde und er nicht und nun war es andersherum gekommen. Erst nach Stunden versiegte der Tränenfluss des Brünetten langsam und völlig erschöpft fielen ihm die Augen zu.
Und während Evan immer tiefer in seine unruhigen Träume abdriftete, öffnete Alex seine Augen in einer Welt, die jedem außer ihm für immer verborgen bleiben würde. Es war an der Zeit, alles vorzubereiten. Er musste sich beeilen, sonst würde er seinen Plan gefährden und wenn er schon all seine bisherigen Prinzipien über Bord warf, dann wollte er es wenigstens richtig machen. Für Evan wollte er es richtig machen...
Hi:)
Ich war ein bisschen unentschlossen, ob ich euch noch länger zappeln lassen soll ober ob Alex jetzt schon wieder einen kleinen Part bekommt. Offensichtlich hab ich mich für die zweite Möglichkeit entschieden, hättet ihr es andersherum besser gefunden?
Lasst gerne mal ein Feedback da.:)
Bis nächste Woche, eure c_in_medias_res <3
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Das Flüstern des Todes
FantasyEs war ein ganz normaler Tag im Leben des Nekromanten Alex Martin, solange bis er einen Schlag auf den Hinterkopf bekam und von Vampiren entführt wurde. Sein Leben als Einzelkämpfer, wie er sich selbst gerne nannte, war vorbei und auf einmal musste...