33."Puzzleteile"

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„Becs, aufwachen.“
Ich komme langsam zu Sinnen, vernehme Chloes Stimme und rieche Essen, Pancakes. Auch wenn ich sonst nie begeistert aus dem Bett springe, würde ich es jedes Mal für leckere, warme Pancakes tun, die nur so vor Ahornsirup triefen, genauso wie meine Mutter sie immer gemacht hat. Mit einem Grinsen im Gesicht und den Erinnerungen im Kopf öffne ich meine Augen, welche sofort auf die warmen Blauen der Rothaarigen treffen. Daraufhin bekomme ich einen Kuss auf die Stirn gedrückt.
„Wie geht’s dir?“, fragt sie mich und lässt sich mit einem Tablett auf der anderen Seite des Bettes nieder.
„Besser, nur vergessen habe ich trotz des Alkohols nicht.“, jammere ich und setze mich im Bett auf.
„Hey, das wird schon, du hast schließlich noch den Job bei uns. Außerdem glaube ich daran, dass du auch woanders auflegen kannst. Darüber machen wir uns aber jetzt keine Gedanken, okay? Lass uns lieber frühstücken, bevor es kalt wird.“, meint sie. Entweder Chloe hat mich nachts doch gehört, wie ich ihr offenbart habe, dass ich gefeuert bin, oder es ist einfach ihr gesunder Menschenverstand, der darauf schließt. Naja, mir ist es recht, dass sie Bescheid weiß, auch wenn ich immer noch tief traurig darüber bin, sowie zu tiefst enttäuscht von mir selbst. Der Geruch der Pancakes vernebelt jedoch alles, lässt mich abschalten und mich auf das Essen konzentrieren, wobei Chloe sich so viel Mühe gegeben hat. Beim Anblick der leckeren Dinger läuft mir regelrecht das Wasser im Mund zusammen, weswegen ich es nicht erwarten kann sie zu kosten und mir ein Urteil darüber zu bilden, inwiefern diese so gut sind wie die von Mutter. Ich selbst habe es etliche Male probiert und jedes Mal bin ich kläglich daran gescheitert an den einzigartigen Geschmack heran zu kommen, seitdem habe ich keine mehr gegessen.
„Du bist ein Schatz.“, verkünde ich und verpasse ihr einen Kuss auf die Wange, wonach ich ein großes Stück aus dem Haufen Pancakes schneide und mir in den Mund stopfe. Genüsslich kaue und schlucke ich, wobei der Rotschopf mich erwartungsvollen Blickes von der Seite ansieht. Auch sie scheint gespannt darauf zu sein, was ich davon halte. Ich schneide ein weiteres Stück und lasse es in meinem Mund verschwinden.
„Mhmm, die sind ja soo gut.“, lobe ich sie mit noch halbvollem Mund und muss mir das Lachen verkneifen.
„Ich habe sie nach dem Rezept deiner Mutter gemacht.“, antwortet sie darauf verlegen.
„Was?“  Beinahe wäre mir das Essen aus dem Mund gefallen. 
„Naja, als ich nach etwas Essbarem gesucht habe, sind mir die Rezepte aufgefallen und weil  ich dachte Pancakes wären eine gute Idee und deine Mum sie anders macht als ich, da habe ich es ausprobiert. Sie sind nicht so gut geworden, wie von deiner Mutter, richtig?“ Geknickt schaut sie auf das Tablett herab, auf ihren unberührten Stapel Pancakes. 
„Ich hab mich schon gewundert warum sie so lecker sind.“, sage ich und stupse Chloe mit der Schulter an, „Du musst mir ab jetzt wohl öfter Frühstück machen.“ Ich lächle, wenn auch gezwungen, aber ich lächle, für Chloe. Sie kann nichts dafür, dass mir dieses Thema so nah geht. 
„Wirklich? Das freut mich.“, gibt sie begeistert von sich, „Und ich mache dir gerne so oft Frühstück wie du möchtest, solange ich die Ehre habe neben dir aufzuwachen.“ Mit einem letzten Lächeln widme ich mich wieder dem Essen zu, denn Chloe hat recht, wir sollten essen bevor es kalt wird, obwohl ich sie gerne auch kalt snacke. Die Rothaarige beginnt nun ebenfalls zu essen und auch ihr schmeckt es. 
„Auch wenn du meinst, das meine genauso oder annähernd so gut sind, wie die deiner Mutter, würde ich mich davon doch gerne selbst überzeugen. Kommt sie dich ab und an mal besuchen, oder du sie?“, fragt sie mich, ohne von ihrem Teller aufzusehen und ganz ohne zu ahnen, dass sie gerade einen Volltreffer gelandet hat, direkt in den wunden Punkt hinein. Sie geht davon aus gerade ganz normalen Smalltalk mit mir zu führen, dabei geht diese Geschichte um einiges tiefer. Das ist nichts, was man so einfach mal beim Frühstücken einwirft, oder zumindest sehr ungern tut. Mein Magen zieht sich zusammen und ich bemühe mich um meine Beherrschung. Ich kann mit Chloe über alles reden und wie sich heraus gestellt hat, weiß sie oft auch damit umzugehen und verhält sich genau so wie ich es brauche. 
„Du, das geht leider nicht. Sie ist tot.“, sage ich niedergeschlagen mit immer leiser werdender Stimme.
Entsetzen vertreibt den glücklichen Gesichtsausdruck und verunsichert den Rotschopf für kurze Zeit, doch dann fängt sie sich und nimmt mich in den Arm soweit es eben in unserer Position möglich ist.
„Es tut mir leid, Beca, ich wollte nicht so unsensibel sein. Ich hatte ja keine Ahnung.“
„Schon okay, woher solltest du das auch wissen.“, meine ich schulterzuckend und möchte dieses Thema damit so schnell wie möglich zum Abschluss bringen, auch wenn ich das ungute Gefühl habe, dass sie es nicht dabei belassen wird. Ich habe bis jetzt nur mit meinem damaligen Therapeuten darüber geredet wie ich mit ihrem Tod umgegangen bin, vielleicht wird es Zeit mich jemand anderes auch anzuvertrauen? Schließlich ist sie meine Mutter und sollte nicht totgeschwiegen und vergessen werden. Chloe sollte wissen was für eine tolle Frau sie war und dass ich alle guten Eigenschaften von ihr und nicht von meinem Vater habe. 
„Möchtest du darüber reden?“, fragt sie zaghaft, nachdem sie ihren Griff um mich gelockert hat. 
Ich räuspere mich und ordne meine Gedanken, ich möchte nicht alles durcheinander erzählen, sondern eher so wie eine Geschichte, eine gute, wahre Geschichte, die meine Mutter ehren soll.
„Meine Mum war mir die wichtigste Person in meinem Leben, ich habe sie als kleines Mädchen vergöttert, ich habe mit ihr angegeben, weil sie im Gegensatz zu anderen Elternteilen viel cooler war. Sie arbeitete als Immobilienmaklerin und ich bin oft mit zu Besichtigungen gewesen, daher habe ich meine Vorstellung von einer Wohnung für L.A. Die Musikbegeisterung habe ich auch von ihr, sie hat gerne gesungen und Gitarre gespielt.“ Ich spreche mit leicht zu einem Lächeln verzogenen Mundwinkeln, wobei mir jedoch langsam aber sicher Tränen in die Augen steigen, die ich nicht zurückhalten kann. Beruhigend streicht Chloe mir über den Rücken und lehnt ihren Kopf an meine Schulter.
„Ich hätte sie gerne kennen gelernt, sie klingt nach einer  wundervollen Frau und sie hat eine genauso tolle Tochter erzogen.“ Sie versucht mich aufzumuntern und meine Tränen etwas zu lindern. 
„Sie ist bei einem Motorradunfall gestorben, als ich 13 war.“
„Es tut mir so leid, Beca.“, flüstert sie und wischt mir sanft einige Tränen mit ihrem Daumen weg.
Chloe kümmert sich wirklich rührend um mich und ich bin unendlich froh sie bei mir zu haben, ich würde sie gerade gegen niemanden, außer meiner Mutter eintauschen. Den Rest des Tages bemüht sie sich sehr darum mich abzulenken und mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Ich merke wie es ihr zu schaffen macht, dass es mir so schlecht geht, weswegen ich mich anstrenge meine Laune in den Griff zu bekommen. Trotz alledem entscheiden wir uns dafür den Tag mit einer Dusche zu beginnen und entspannt auf der Couch zu beenden. Einfach nur wir zwei.

Die Nacht von Sonntag zu Montag durfte ich nochmals die Nähe des Rotschopfes genießen und ich muss ehrlich sagen, dass ich mich daran gewöhnen könnte und mir mein Bett für die nächsten Nächte doch schon äußerst einsam und kalt vorkommt. Dank ihr habe ich mich auch langsam von dem Schock erholt und sehe in die Zukunft, eine Zukunft mit Chloe, darüber bin ich mir in den letzten Tagen ziemlich klar geworden und fürchte diesen Schritt nun nicht mehr. Ich habe keine Angst vor ihrer Reaktion, da ich mir ziemlich sicher bin, dass sie sich darüber schon viel länger im Klaren ist und wir dasselbe wollen. Das einzige Problem für mich besteht zurzeit darin, dass ich einfach noch nicht weiß wie ich es anstellen soll. Ich mache mir einfach zu viele Gedanken, am ehesten sollte ich es gerade heraus sagen und nicht auf den richtigen Zeitpunkt warten, denn dieser ist zu jeder Zeit, auch jetzt. Ich wäre einmal mehr ein riesen Idiot, wenn ich warten würde und mir diese Frau somit vielleicht entgehen lassen würde, das würde ich bitter bereuen. Also nehme ich all meinen Mut zusammen und beginne die Schönheit mit leichten Küssen über ihr Gesicht verteilt, zu wecken. 
„Guten Morgen.“, nuschelt sie durch meine Haare, die ihr in das Gesicht hängen, weil ich mich ungeschickt über sie beuge.
„Wie hat meine wunderschöne Freundin geschlafen?“, flüstere ich ihr grinsend ins Ohr. Vor Freude quiekt sie kurz auf, dann zieht sie mich auf sich und streicht mir meine Haare zur Seite, damit sie mich unverfälscht mit ihren strahlenden Augen ansehen kann.
„Ich bin deine Freundin?“ Es ist jedes Mal wieder schön, wenn Chloe sich freut, weil es so echt wirkt, sie ihre Freude einfach auslebt und somit zeigt was es ihr bedeutet, in diesem Zusammenhang was ich ihr bedeute. Mein Grinsen wird immer breiter, wobei ich nur ein Nicken als Antwort auf die Frage zustande bekomme. Das genügt der Rothaarigen und sorgt dafür, dass ihr eine kleine Träne aus dem Augenwinkel kullert. Behutsam küsse ich ihr diese fort  und vereine daraufhin unsere Lippen miteinander. Es fühlt sich so gut, so richtig an, als hätte ich endlich einmal eine vernünftige Entscheidung getroffen und nicht mein komplettes Leben in den Sand gesetzt, weil ich das Gefühl habe mit Chloe an meiner Seite so vieles schaffen zu können. Alles kommt mir wie ein Puzzle vor, die Teile die nicht zum Gebilde gepasst haben, mussten verschwinden, sodass die richtigen Teile ihren Platz einnehmen können. Auf einmal sehe ich meine Kündigung als Befreiung, ich bin befreit von einem winzigen Job, der mich längst nicht ausgefüllt hat und nun steht mein Weg offen für L.A., es ist wie ein Zeichen des Schicksals, als würde es mir sagen wollen, dass unser Song gut ankommt und mich größeres erwartet, dass mein Traum endlich wahr werden könnte und ich zudem noch eine tolle Frau als Unterstützung bei mir habe. Seit langem war ich nicht mehr so glücklich und zuversichtlich, wodurch schnell Zweifel aufkommen können, da ich gerne Dinge überdenke und somit zerdenke. Doch diesmal lasse ich es mir nicht nehmen, ich werde es genießen und alles auf mich zukommen lassen. 
„Es ist schön dich so glücklich zu sehen, Becs. Und noch schöner ist es, dass ich der Grund dafür bin.“, sagt sie und stupst mich mit ihrer Nasenspitze an. Zurück, von dem Exkurs der Gedanken, in der Realität, beginne ich erneut sie zu küssen. 
„Ich hoffe, ich mache dich auch glücklich.“, scherze ich, wobei ich es in meinem Kopf doch eher hoffe, schließlich habe ich es schon oft hinbekommen sie zu verletzen, nur will ich mir diese Zweifel nicht anmerken lassen und innig versuchen einen gute Freundin für Chloe zu sein, eine die sie verdient hat. 
„Ich kann dir zeigen wie glücklich du mich machst.“
Danach folgen Küsse und Berührungen, die letztendlich wieder dazu führen, dass ich wegen Sex mit Chloe erneut zu spät zur Arbeit komme. Ich lerne es wohl nie.

Stets zu Diensten (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt