36. "Ehrlich währt am Längsten"

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Wir dösen vor uns hin, beide kurz vorm Einschlafen. Ich bin einfach müde, weil ich es hasse früh aufzustehen und in der Frühe dann auch noch arbeiten musste, und Chloe ist noch erschöpft von ihrer Rückreise. Arm in Arm liegen wir in ihrem Bett, befreit von schlechten Gedanken, in der Schwebe zum Traumland, indem alles möglich ist und genau so passiert, wie wir es haben wollen. Genau da will ich jetzt sein, mit Chloe.
Es klopft, reißt mich aus meinen wunderschönen Gedanken und im selben Moment öffnet sich auch schon die Tür, erinnert mich sehr daran wie ich mich vorhin verhalten habe. 
„Chloe?“
Mrs Beale. 
Vor Schreck schnelle ich nach oben und schubse den Rotschopf dabei unbedacht von mir herunter. Sie fängt sich ab und scheint jetzt erst richtig zu realisieren, dass ihre Mutter hereingeplatzt ist. Überraschung und Verwirrung spiegeln sich in den Gesichtszügen der Haushälterin wieder, leicht zeichnen sich die Falten ihrer Stirn ab, als sie ihre Augenbrauen leicht hebt und uns mustert.
„Ich dachte du hättest Männerbesuch.“, gibt sie unbeeindruckt von sich und sieht mich kritisch an.
Ich starre sie immer noch entgeistert an, wobei mir bewusst wird, weswegen sie mich so ansieht. Meine Haare sind noch nicht komplett trocken, also erklärt sich eigentlich von selbst, dass Chloe keinen Männerbesuch hatte. Sie sitzt neben mir, und weiß auch nicht was sie sagen soll, total überrumpelt von der Aktion ihrer Mutter wandert ihr Blick durch den Raum und ihre Hand ständig verlegen durch ihr Haar.
Mrs Beale räuspert sich und meint: „Dann darf ich dir wohl dazu gratulieren, dass du es als erste geschafft hast, dass ich meine Tochter sogar draußen noch hören konnte.“ 
In Sekundenschnelle spüre ich die Röte und Wärme in meine Wangen steigen, ich muss aussehen wie eine Tomate. Am liebsten würde ich mich gerade unter der Bettdecke verkriechen, mich in Luft auflösen oder schreiend nach Hause rennen. Peinlicher könnte diese Situation ja beinahe nicht sein. Außerdem bin ich geschockt darüber, dass sie uns solch eine Aussage an den Kopf wirft. Hat sie das gerade wirklich gesagt? Es klingt abwertend und verschafft mir ein noch merkwürdigeres Gefühl im Magen, gleichzeitig beginnt Mrs Beale vor mir zu verschwimmen. Ich blinzle heftig, atme schwerer und versuche Chloe ausfindig zu machen, um zu sehen wie sie reagiert und ob sie die Situation nicht irgendwie entschärfen könnte, doch es dreht sich einfach nur alles…
...und wird schwarz.

Ich komme in meinem Bett zu Bewusstsein, mit Kopfschmerzen, als hätte ich einen Kater. Unter Stöhnen reibe ich mir übers Gesicht und versuche mich daran zu erinnern was passiert ist. Schlagartig kommen die Erinnerungen zurück und am liebsten würde ich wieder in den Schlaf fliehen. Doch stattdessen rapple ich mich auf, schnappe mir mein Handy vom Nachtschrank und setze mich auf die Kante des Bettes. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es noch früher Nachmittag ist und ich nicht allzu lange weggetreten war. Ich atme tief durch und suche Emilys Nummer in meinen Kontakten. Ich muss dieses Gespräch nun endlich mit ihr führen, sie hat es mehr als verdient die Entscheidung des Labels zu erfahren, es ist nicht fair es zu verheimlichen und das Telefonat immer weiter aufzuschieben. Irgendwann wird sie sowieso nachfragen und was sagst du dann, Mitchell? Willst du sie dann auch noch anlügen? Ich schließe meine Augen und drücke auf den grünen Hörer, bevor ich mir mein Handy ans Ohr drücke und das übliche Tuten ertönt. 
„Becs, hey.“, erklingt es erfreut am anderen Ende. 
Ich schlucke und versuche cool zu bleiben.
„Hey. Du..“, ich stocke. 
„Was gibt’s?“, fragt sie nach. 
Ich atme ein und aus, und noch einmal von vorne.
„Du…“, beginne ich und breche erneut meinen Satz ab, den Rest flüstere ich nur noch, „Ich kann das nicht.“ Kalter Angstschweiß bildet sich auf meiner Stirn.
„Wie bitte? Ich glaube die Verbindung ist schlecht, ich kann dich kaum verstehen, Becs.“, kommt es von der Brünetten am anderen Hörer. 
Innerlich ermahne ich mich dazu, mich zusammen zu reißen, auch wenn mir allein bei den Gedanken daran die Tränen in die Augen schießen. 
„Em? Das Label findet unseren Song scheiße.“, sage ich nach einer Weile der Stille und fühle mich sofort von der Last befreit. Und auch wenn ich mich nicht gerade gut ausgedrückt habe, trifft meine Wortwahl doch den Kern der Sache und verfälscht deren Aussage nicht. 
„Du verarscht mich.“, bringt sie hervor und ich kann heraus hören, dass sie zutiefst hofft, dass ich sie nur verarsche, sie sich aber darüber im Klaren ist, dass ich bei so etwas keine Scherze machen würde.
„Nein, leider nicht.“, schluchze ich und rolle mich wieder auf das Bett. Eine ganze Weile höre ich nur mein Weinen, bis Emily ihre Stimme wiedergefunden hat.
„Ich leg jetzt auf. Ich komme nach der Arbeit vorbei. Bleib stark!“ Und schon hat sie aufgelegt. 
Ich strecke alle Viere von mir und werfe dabei das Handy vom Bett, was mit einem Poltern auf dem Boden landet. Im nächsten Augenblick betritt Chloe den Raum, den Tränen nah und setzt sich. 
„Ich hab dir K-Kaffee gemacht.“, sagt sie, wobei ihre Unterlippe beginnt zu zittern und reicht mir unsicher die Tasse aus ihren Händen. Ich setze mich auf, nehme den Kaffee entgegen, um ihn auf dem Nachttisch abzustellen und meine Freundin in meine Arme zu ziehen.
„Hey, was ist los, babe?“ 
Zum Glück habe ich bereits aufgehört wie ein kleines Kind zu weinen und kann Chloe nun den Halt geben den sie zu brauchen scheint. 
„Das Label findet euren Song scheiße?“, fragt sie und hängt dabei wie ein Schluck Wasser in meinen Armen. 
Fuck, sie hat das Gespräch mitbekommen. Reicht es nicht, dass Mrs Beale uns sozusagen erwischt hat und ich nicht einmal weiß wie die Situation ausgegangen ist?
„Ja.“, meine ich, weil mir nichts besseres einfällt und ich mit meiner Beherrschung zu kämpfen habe.
„Wieso?“, schluchzt sie und erinnert mich etwas an ein kleines Mädchen, dass die Welt nicht mehr versteht und ihre Eltern um Erklärung bittet. 
„Möchtest du dir die Mail durchlesen?“, frage ich und halte sie so, dass ich in ihre Gesicht sehen kann. Ein einfaches Nicken genügt als Antwort, weswegen ich mich aus dem Bett hieve um mich gleich darauf mit dem Laptop auf dem Schoß wieder dort zu platzieren. Chloe legt sich neben mich, lehnt ihren Kopf an meine Seite und schaut so auf den Bildschirm. Ich öffne die Mail und drehe den Laptop sogleich in Chloes Richtung, damit ich mir die Qual erspare mir noch einmal diesen erniedrigenden Text durchzulesen. Die Gesichtszüge der Rothaarigen wechseln von entgeistert zu verärgert und letztendlich wieder traurig. Sie sieht zu mir herüber und diesen Gesichtsausdruck kann ich nicht deuten, ich meine aber Enttäuschung darin zu sehen.
„Beca…du hast diese Mail vor fast zwei Wochen bekommen und mir nichts gesagt?! Ich musste erst zufällig das Gespräch von Emily und dir mitbekommen, um es zu erfahren, wobei du es Emily auch erst heute erzählt hast?“ 
Sie sagt es so vorwurfsvoll, so dass mich sofort wieder das schlechte Gewissen einholt. Aber sie hat recht. Ich hätte es beiden sofort danach erzählen sollen, vor allem weil ich nicht weiß wann ich es Chloe überhaupt erzählt hätte, wenn sie es nun nicht so gekommen wäre.
„Es tut mir so leid.“ Mit der Aussage flehe ich sie an mir zu verzeihen und mir beizustehen, davon abzusehen, dass ich scheiße gebaut habe.
„Mir tut’s auch leid, aber ich…ich gehe jetzt.“, sagt sie, während sie aus dem Bett springt und schnurstracks das Zimmer verlässt. 
„Chloe, bitte geh nicht!“, schreie ich ihr hinterher und falle, bei dem Versuch äußerst schnell aus dem Bett zu kommen, um ihr nach zu laufen. Die Haustür fällt ins Schloss und ich stehe gar nicht erst auf, sondern bleibe auf dem Boden liegen und weine, wieder einmal.

Stets zu Diensten (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt