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"Bis später" rief ich noch ein Mal zu Greta, ehe ich die Haustüre hinter mir schloss und mich auf den Weg zum Montessori Kinderhaus in Bünde machte. Ich freute mich schon auf meinen Besuch bei den Kleinen, auch wenn es schade war, dass Andreas nicht mitkommen konnte. Der lag nämlich mit seiner Schleimbeutelentzündung auf der Arztliege. 

Es dauerte nur eine halbe Stunde bis ich das Kinderhaus erreichte und vor Ort wurde ich direkt mit offenen Armen empfangen, "Herr Reinelt, es freut mich wirklich, dass Sie die Zeit gefunden haben" begrüßte mich Frau Liebkind, die Leiterin. Nach ein paar Fotos und Interviews schlug sie vor mich ein wenig herum zu führen. Das Kinderhaus war mit keinem Kinderheim zu vergleichen, das ich bisher gesehen hatte. Auch die Form des Hauses hatte in keinster Weise etwas mit alltäglichen Häusern zu tun. Alles hatte geometrische Formen und auch die Farben konnten bunter nicht sein. Die Anordnungen der Wände und Decken, sowie die Farben sorgten direkt dafür, dass ich mich wohl fühlte und ich hoffte inständig, dass es den Kindern auch so ging.

"Wir haben momentan rund hundert Kinder in unserem Haus" sagte Frau Liebkind, die mit ihren grauen Haaren und ihrer roten Brille fast schon wieder modern aussah und deutete in den linken Flur, in dem sich wohl ein paar der Zimmer befanden. "Das ist ganz schön viel" sagte ich eher zu mir selbst, da ich mir nicht vorstellen konnte wie das Leben im Heim wohl war. "Es verteilt sich gut" erzählte sie, "Wir haben extra Bereiche für die Kindergarten- und Schulkinder, dann gibt es einen Flügel für die Jugendlichen, mit Partyraum oder Turnhalle" erklärte sie weiter und ich staunte nicht schlecht, "Wie viele Kindergartenkinder haben Sie hier?" wollte ich wissen, da es für mich einfach nicht vorstellbar war, dass auch ganz kleine Kinder schon mit so einem Schicksal fertig werden mussten. "Um die dreißig" sagte sie dann und ich schluckte schwer. Dreißig.

"Wenn Sie wollen kann ich Ihnen den Gemeinschaftsraum und Außenbereich zeigen. Sie werden sehen, dass das Wort Kinderhaus schlimmer klingt als es wirklich ist" lächelte sie mir zu, da sie meinen Gemütszustand wohl bemerkt hatte und nickend erwiderte ich ihr Lächeln. Frau Liebkind führte mich erst in den Außenbereich, der eine Vielzahl von Spielmöglichkeiten zu bieten hatte, die die Kinder gerade zu dieser Jahreszeit natürlich nutzten. In der Ecke stand ein großes Klettergerüst und auch ein Sandkasten mit Rutsche und Wasserbecken war vorhanden, sowie eine Bauecke, die sehr wüst aussah. Als nächstes führte sie mich in den Innenbereich, den Gemeinschaftsraum, in dem es eine Puppenecke, einen Ruheraum, einen Bewegungsraum und natürlich eine Legoecke für die Jungs gab. Frau Liebkind hatte nicht gelogen, das Ganze machte eher den Eindruck von einem Kindergarten, als von einem Kinderhaus, allerdings konnte ich den Gedanken, dass die Kinder hier keine Eltern hatten, nicht aus meinem Hinterkopf verbannen.

"Frau Liebkind, dürfen wir uns den Puppenwagen holen?" fragte ein kleines, blondes Mädchen, das meine Aufmerksamkeit auf sich richtete und während Frau Liebkind ihr antwortete, dass sie natürlich den Puppenwagen holen durfte, fiel mein Blick auf das schüchterne Mädchen hinter ihr. Sie hatte ein magentafarbenes Kleid an und ihre braunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre blauen Augen musterten mich aufmerksam, während sie den Teddy in ihrer Hand nicht los ließ - und dann lächelte sie mich schüchtern an. Ich wusste nicht wieso, aber wie von selbst ging ich in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein, während ihre kleinen Augen mich ganz genau beobachteten und dann hörte ich mich selbst "Hi, ich bin Chris" sagen. "Hi" kam es dann zögerlich von ihr wobei sie das i in die Länge zog, während sie hin und her wippte und dabei den Teddy fallen ließ. "Oh" grinste sie und schaute nach unten auf den Boden, wo ihr Teddy unsanft gelandet war und hob ihn schnell wieder auf. "Wer ist das denn?" fragte ich und deutete auf ihren Teddy, während mein Grinsen nicht von meinem Gesicht verschwand. Ich war wie verzaubert von dem kleinen Mädchen, das nun ihren Teddy hochhielt und "Blaubär" sagte. Ich schätzte sie auf vier, vielleicht fünf Jahre während ich den Teddy in meine Hand nahm, den sie mir bereitwillig hinhielt. "Sag mal Blaubär, meinst du das hübsche Mädchen in dem schönen Kleid verrät uns ihren Namen?" fragte ich, während ich den Teddy in meinen Händen hielt und abwechselnd zwischen ihr und dem Teddy hin und her sah. Die Kleine grinste verschmitzt und begann erneut hin und her zu wackeln, ehe sie ein leises "Emma" sprach. "Emma!" wiederholte ich, "Das ist aber ein schöner Name oder Blaubär?" sagte ich und bewegte mit meinen Fingern den Kopf vom Teddy, sodass er nickend zustimmte, was sie zum lachen brachte. Ihr Lachen klang ehrlich und erwärmte gleich darauf mein Herz noch ein Stück mehr.

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