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Gretas Sicht

„Kannst du nicht schlafen?" murmelte ich und drehte mich zu Chris herum, der seine Nachttischlampe an hatte und an die Decke starrte. Er schüttelte mit dem Kopf, ehe er sich mit beiden Händen übers Gesicht fuhr und laut seufzte. Ich musste eigentlich nicht fragen was der Grund für seine Unruhe war, tat es aber dennoch. „Woran denkst du?" stellte ich also die Frage, auf die ich eigentlich keine Antwort haben wollte. Ich war nicht bereit dafür, dass er das aussprach was ich schon die ganze Zeit vermutete. „Ich habe nur an Emma gedacht. Sie sah so glücklich aus heute" sagte er dann und erst jetzt bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte und stieß sie mit einem kräftigen Stoß aus. „Es hat ihr auch gut gefallen. Den anderen Kindern übrigens auch" versuchte ich Chris daran zu erinnern, dass es nicht nur Emma in diesem Kinderhaus gab und dass sie nicht die Einzige war, die ohne Eltern aufwachsen musste. „Mhm" machte er nur, während er das Foto in seiner Hand betrachtete, das ich ebenfalls erst jetzt bemerkte. „Sie ist wirklich sehr süß" meinte er dann noch und ich richtete mich etwas auf, darauf bedacht normal weiter zu atmen. Ehrlich gesagt sorgte die ganze Situation für Unbehagen bei mir und ich wusste nicht ganz wie ich damit umgehen sollte. „Sag es einfach" hörte ich mich dann rau sagen und Chris sah irritiert zu mir. „Was meinst du?" wollte er wissen, obwohl wir beide die Antwort wohl kannten. „Denkst du tatsächlich über eine Adoption nach?" sprach ich dann aus was Chris anscheinend nicht konnte und augenblicklich fing er an zu lächeln. „Ich weiß nicht, ich weiß nur dass ich sie unheimlich gern hab und es mir jedes Mal ziemlich weh tut sie wieder alleine im Kinderhaus zurück zu lassen" sagte er dann und ich seufzte. „Aber Christian, sie ist dort nicht alleine. Und du kennst sie doch überhaupt noch nicht gut genug um sagen zu können, dass sie zu dir passt" meinte ich dann und Chris Mimik wurde ernster. „Ich brauche auch nicht viel mehr von ihr zu wissen. Ich kenne sie wohl und außerdem ist so eine Entscheidung ja wohl auch in erster Linie eine Herzensangelegenheit. Und mein Herz hatte sie schon vom ersten Moment an" sagte er trotzig und ich rollte mit den Augen. „Und die anderen Kinder adoptierst du dann auch gleich?" wollte ich wissen und Chris zischte kurz. „Greta, was soll das? Können wir uns nicht ganz normal darüber unterhalten ohne dass du gleich schnippisch wirst?" wollte er wissen und ich schüttelte den Kopf, ehe ich die Decke zur Seite schlug und mich auf meine Knie vor ihn setzte.

„Das ist genau das Problem, Chris. Du sprichst ja überhaupt nicht mit mir darüber. Du stellst mich immer nur vor vollendete Tatsachen und ich muss mitspielen. Wir sind gerade mal ein halbes Jahr zusammen, denkst du nicht dass deine Entscheidung ein Kind zu adoptieren nicht vielleicht etwas übereilt ist?" fragte ich und nun wurde auch Chris sauer. „Ich habe doch noch gar nichts Ernsthaftes in diese Richtung versucht" meinte er dann und ich ließ mich etwas nach hinten fallen. „Natürlich würde ich erst mit dir darüber sprechen bevor ich irgendwelche Hebel in Bewegung setze. Das ist keine Sache, die man mal eben in fünf Minuten abhaken kann. Aber meinst du nicht, dass ich nicht schon längst gemerkt hätte, dass du mich für völlig bescheuert hältst?" sagte er noch und versetzte meinem Herzen damit einen kleinen Stich. „Das ist doch totaler Unsinn. Ich halte dich nicht für bescheuert, ich bin nur einfach anderer Meinung" stellte ich dann klar und Chris nickte und schwieg einen Moment. „Ich verstehe nur nicht wieso, schau sie dir doch mal an" sagte er dann und hielt mir das Bild vor die Nase. „Christian vielleicht weil ich Emma erst ein mal getroffen habe? Und wir erst ein halbes Jahr zusammen sind? Sollte man da nicht etwas anderes planen, als ein Kind zu adoptieren?" rasselte ich drauf los und Chris sah mich immer noch mit ernster Miene an. „Aber Greta das hat doch absolut nichts mit uns als Paar zu tun. Ich liebe dich und für mich steht fest, dass du in zwei Monaten und auch noch in drei Jahren fester Bestandteil meines Lebens bist" sagte er dann und mein Blick wurde kurz sanft. „Christian ... ich liebe dich auch, aber das kannst du alles nicht versprechen. Und natürlich ist das etwas was uns als Paar angeht. Denn wenn du wirklich der Papa von Emma werden willst, dann betrifft es mich genauso wie dich" versuchte ich es noch ein mal in einem sanfteren Ton und Chris lenkte endlich ein. „Ich weiß ja, ich hatte es mir vielleicht einfacher vorgestellt als es ist" sagte er und ich nickte heftig, was ihn leicht schmunzeln ließ. Ich hatte gerade das Gefühl, dass Chris etwas einlenkte, als er erneut das Wort ergriff und mich damit nun vollends aus der Fassung brachte. „Ich muss mir einfach noch mal Gedanken machen, aber ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass ich Emma gerne adoptieren würde" sagte er dann aus dem Nichts heraus und mir blieb der Mund offen stehen. Er hatte es gesagt. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Und es traf mich härter als erwartet.
„Und welche Rolle soll ich bitte dabei spielen?" fragte ich völlig verwirrt und Chris sah mir kurz in die Augen, ehe er den Blick abwendete. „Würdest du denn eine Rolle spielen wollen?" kam die hoffnungsvolle Gegenfrage, die wohl eindeutiger nicht hätte sein können. „Ehrlich gesagt ist das dein Traum, Chris. Nicht meiner, ich bin noch nicht bereit Mutter zu werden" meinte ich und dann herrschte für eine Zeit lang unerträgliche Stille.

Chris Sicht

Nach dem Gespräch hatte Greta das Haus verlassen und war ohne ein weiteres Wort einfach gefahren. Ich konnte sie verstehen, wirklich, denn ich hatte sie in eine mehr als unangenehme Situation gebracht und musste das Ganze erst mal selber für mich sortieren.
„Bruder, was machst du hier alleine?" drang dann Andreas verwirrte Stimme an mein Ohr und ich sah zu ihm auf. Er setzte sich neben mich an den Pool und zog sich seine Schuhe aus, um seine Füße so wie ich ins Wasser zu halten. „Wo ist Greta?" wollte er wissen und ich zuckte nur müde mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, sie geht nicht ran" meinte ich dann und Andreas beobachtete mich streng. „Was ist passiert?" wollte er wissen und irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass er eine Vorahnung hatte. „Wir haben uns gestritten .. ich habe ausgesprochen, dass ich tatsächlich darüber nachdenke Emma zu adoptieren" erklärte ich und wurde von einem lauten „Du tust was?!" unterbrochen. „Bruder ich bin total vernarrt in die Kleine. Und als ich sie gestern wieder in den Bus setzen musste.. du hättest ihr Gesicht sehen müssen" sagte ich und Andreas lachte. „Du hättest deins mal sehen sollen" meinte er dann und ich sah ihn fragend an, „Was war denn mit meinem Gesicht?" wollte ich wissen. „Es war das eines Papas. Ich hab's dir gleich angesehen" sagte er und brachte mich so zum grinsen. „Greta hat es auch sofort gemerkt. Ich glaube schon nachdem ich Emma das erste mal getroffen habe" sagte ich dann und wurde wieder traurig. „Und sie ist einfach gefahren nachdem ihr darüber gesprochen habt?" wollte Andreas dann wissen und ich nickte. „Sie hat gesagt, dass sie noch nicht bereit dazu ist Mutter zu werden" erklärte ich und schluckte schwer, denn die ganze Situation ließ mich alles andere als kalt. Endlich hatte ich jemanden getroffen mit dem ich mein Leben verbringen wollte und dann schien auch dieser Traum sich von einer Sekunde auf die andere in Luft aufzulösen.
„Scheiße.." fasste mein Bruder dann zusammen und ich nickte erneut. „Das kannst du laut sagen. Und ich kann es ihr nicht mal verübeln, wir sind gerade mal ein halbes Jahr lang zusammen" meinte ich dann und diesmal nickte mein Bruder. „Aber ist das nicht vollkommen egal? Ich meine ihr seid total glücklich und für dich stand sowieso schon von Anfang an fest, dass Greta die Frau sein wird die du heiratest.." - „Ja aber für sie vielleicht nicht. Ich glaube ich habe sie mit meiner Aktion einfach komplett überrumpelt und ich weiß nicht was ich machen soll. Ich will mich nicht entscheiden müssen" sagte ich dann und mein Bruder legte mir seine Hand auf die Schulter. „Du musst ganz alleine für dich entscheiden, ob du ein Vater für Emma sein willst. Und wenn die Antwort ja lautet, dann steht sie an erster Stelle. Und entweder Greta möchte Teil deines und dann auch Emmas Leben sein oder nicht .." sagte er und ich schnaubte. „Ich weiß dass das hart klingt, aber so ist es nunmal. Wenn du dich für Greta entscheidest, dann entscheidest du dich sehr wahrscheinlich gegen Emma und wer sagt, dass du für immer glücklich sein wirst mit Greta. Ich wünsche es dir sehr, aber nichts im Leben kann man planen. Und so wie ich dich kenne und so wie du Emma anguckst wirst du es für immer bereuen, wenn du sie einfach so aufgibst" meinte Andreas dann ehrlich und ich schwieg für einige Minuten, denn das was er sagte war zwar die bittere Wahrheit, musste von mir aber erst ein mal verarbeitet werden. „Ich will beides" sagte ich dann nach einer Weile. „Und was, wenn beides nicht geht?" stellte mein Bruder dann die alles entscheidende Frage, die mich die nächsten Tage nicht schlafen ließ.

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