Diese Nacht habe ich geweint, viel nachgedacht und wenig geschlafen. Nun sitze ich mit meinem Kaffee am Frühstückstisch und schaue in den sonnigen Winterhimmel. Ich bin alleine aber heute ich fühle mich nicht einsam. Ich fühle mich irgendwie frei. Es ist an der Zeit ebenfalls mutig zu sein, wie meine Märchenheldin. Schließlich bin ich erst 21 Jahre alt und möchte mein Leben leben mit Allem, was es mir zu bieten hat.
Mit diesem neu geschöpften Selbstbewusstsein, nehme ich mir vor heute endlich die Stadt zu erkunden. Voller Elan trinke ich meine Tasse aus, gehe duschen und ziehe mich warm an, da es trotz Sonne noch immer kalt draußen ist.
Dann bin ich bereit Seattle auf eigene Faust zu entdecken.
Mein Weg führt mich zu allererst an die weltberühmte Space Needle, dem Wahrzeichen der Stadt. Aus einer Höhe von 185 Metern eröffnet sich mir von der Aussichtsplattform ein atemberaubende Anblick. In diesem Moment bin ich in der Metropole angekommen. Die Stadt ist wunderschön, so voller Energie und ich möchte noch viel mehr von ihr sehen. Also entscheide ich mich mit dem Bus weiter zum Pike Place Market an der Uferpromenade zu fahren. Ich habe mal gelesen, dass es der älteste noch aktive Lebensmittelmarkt der USA ist.
Die außergewöhnlichen Käsesorten, das ofenwarme Brot und der fangfrische Fisch ziehen nicht nur Touristen magisch an, so dass hier ein wildes Treiben herrscht und im ‚Chihuly Garden and Glass' gibt es eine ganze Reihe der spektakulären Glasskulpturen von Dale Chihuly zu bestaunen. Ich bin überwältigt. Direkt am Pike Place Market befindet sich der allererste Starbucks Coffee Shop der Welt. Natürlich kann ich nicht widerstehen mir eine extra Ladung Koffein zu gönnen, bevor ich meine Tour fortsetze.
Es stört mich nicht alleine durch die Stadt zu laufen, ganz im Gegenteil, ich bereue es erst jetzt zu tun. Es lässt mich meine neue Heimat mit ganz anderen Augen sehen. Es macht alles weniger fremd.Die Stunden vergehen wie im Flug. Ich kann wirklich nachvollziehen, warum die Menschen hier gerne wohnen. Es ist beeindruckend, so facettenreich, und ehe ich mich versehe taucht sich der Himmel in das leichte Rot der Abendsonne.
Um noch einen Cappuccino zu trinken, setze ich mich in das nahegelegene Café und schaue verträumt die Fotos, die ich heute geschossen habe, auf meinem Handy durch. Die Schönsten schicke ich direkt an meinen Dad weiter. Dann mache ich mich ziemlich müde aber mit einem guten Gefühl auf den weg nach Hause.Beflügelt von diesem Wochenende betrete ich Montag Früh die Galerie. Selbst das regnerische Wetter gepaart mit einem etwas schwierigeren Kunden schafft es nicht, meine Laune zu vermiesen. Mit erhobenem Haupt komme ich meiner Arbeit weiter gewissenhaft und motiviert nach.
Ich fühle mich gut.„Kim, Mister Owen ist für dich in der Leitung", ruft Amalia mir zu.
„Okay, ich nehme das Gespräch im Büro entgegen", antworte ich, bevor ich schnell den Flur entlang husche.
„Guten Tag, Collin."
„Hey Kimberly. Ich habe dir ja angedroht, dass ich mich wegen einem Termin diese Woche melde", lacht er gut gelaunt, „Wie war dein Wochenende?"
Es ist etwas seltsam nicht mehr per Sie miteinander zu sprechen.
„Sehr gut. Ich hatte endlich Gelegenheit mir die Stadt richtig anzusehen."
„Das Künstlerviertel, Fremont, hat dir bestimmt gefallen."
„Da war ich noch gar nicht", muss ich zugeben.
„Aber Capitol Hill hast du dir angesehen, oder?", hakt Collin nach.
Leider war ich auch dort nicht. Als ich das auch zugeben muss, schwindet meine Euphorie langsam dahin. Eigentlich dachte ich, ich hätte es geschafft die Besonderheiten der Stadt zu entdecken und komme mir nun etwas naiv vor.
„Dann hast du Seattle nicht wirklich kennengelernt", scherzt Collin, „Ich hole dich nach der Arbeit ab. Keine Widerworte! Wer hier leben will, sollte die Umgebung wenigstens etwas kennen. Wann hast du Schluss?"
Ich möchte unbedingt sehen von was er spricht, allerdings fühle ich mich nicht richtig wohl dabei. Mir ist jedoch auch durchaus bewusst, dass er sich nicht so leicht von seiner Idee abbringen lassen wird. Also gebe ich mich kampflos geschlagen.
„Ich kann um 17:00 Uhr gehen", antworte ich und sage somit zu.
Schon kurze Zeit später bereitet mir meine neu gewonnene Spontanität Kopfschmerzen. Ist es wirklich eine gute Idee mit Collin durch die Viertel Seattles zu ziehen?
Ausgerechnet mit Collin?
Nervös schaue ich auf die Uhr.
In einer halben Stunde habe ich Feierabend. Die Minuten vergehen und meine Anspannung steigt.Pünktlich verlasse ich das Büro.
Noch schnell nutze ich das große Fenster um mich unauffällig darin zu spiegeln und mein Erscheinungsbild zu prüfen, bevor ich das Gebäude verlasse. Draußen steht Collin bereits gegen sein Auto am Bürgersteig gelehnt und spielt mit seinem Handy. Kurz mustert er mich und sein Grinsen wird breiter, als er mir die Autotür öffnet.„Wenn ich bitten darf", witzelt er als ich in den Sportwagen klettere, "Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch ins 'EMP'."
Mein fragenden Block, scheint Collin sehr zu belustigen.
„Ins Experience Music Project", erklärt er kurz, bevor er den Motor startet, rasant auf die Straße setzt und in den regen Verkehr einfädelt.
Der Weg führt uns ganz in die Nähe der Space Needle, wo ich ja eigentlich schon war. Doch etwas weiter erstreckt sich ein Museum, wie ich es noch nie gesehen habe. Ein pink schillernder, metallisch glänzender Komplex baut sich vor uns auf, der futuristische Züge annimmt.
„Das Gebäude war ursprünglich als Jimi-Hendrix-Museum konzipiert. Das Museum stellt vor allem Gegenstände der Rockmusik aus", erklärt Collin, während ich noch immer gebannt auf die Fassade schaue, „Sie verwendet zur Präsentation Multimedia-Technologie und es gibt dort noch das 'Paul Allen's Science Fiction Museum and Hall of Fame'."
Wir tauchen durch einen immensen Torbogen in eine andere Welt.
Von der Decke hängen rosa beleuchtete Schirme und überall gibt es moderne Gemälde und Skulpturen zu sehen. Der Mittelpunkt und wohl größter Blickfang besteht aus einem Tornado- Gebilde, das sich aus alten Gitarren zusammensetzt. Es ist atemberaubend.
Viel Zeit bleibt uns jedoch nicht, da das Museum bald schließt.„Das war ja Wahnsinn!", keuche ich immer noch völlig beeindruckt.
„Ich habe mir schon gedacht, dass es dir gefällt", sagt Collin mit einem triumphierend Unterton, „Jetzt gehen wir etwas Essen und ich zeige dir Capitol Hill."
Die untergehende Sonne taucht den Himmel bereits in ein tiefes Orange, als Collin den Motor zündet.
Dieses mal dauert die Fahrt etwas länger aber die Stimmung im Auto ist entspannt. Ich muss mir selbst eingestehen, dass meine Bedenken absolut unbegründet waren. Collin ist längst nicht mehr so ein arroganter Idiot, wie damals auf der High School.
Er ist witzig und charmant, sodass ich diesen Ausflug keine Sekunde bereue. Ganz im Gegenteil, ich genieße die Zeit und kann einfach entspannen.
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Don't touch me
VampireWas würdet ihr tun, wenn sich eure Liebe verändert, wenn ihr plötzlich den Mann an eurer Seite selbst nicht mehr wieder erkennt? Was würdet ihr tun, wenn euer Leben einen absoluten Tiefpunkt erreicht hat? Gefangen zwischen Glück und Leid, zwischen V...