Langsam komme ich zu mir.
Schnell zwinge ich mich die Augen zu öffnen und blicke erschrocken in das besorgte Gesicht meines Dads.„Gott sei Dank, Schatz. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.“
Unfähig zu reagieren lasse ich den Blick durch das Zimmer wandern. Es ist alles so, wie ich es kenne. Die alte braune Couch, die mittig im kleinen Wohnzimmer steht. Davor der Tisch, mit der kleinen Kerbe, die ich vor Jahren versehentlich hineingeritzt hatte. Sogar der gewohnte Duft, eine Mischung aus Glasreiniger, Leder und altem Holz, liegt in der Luft. Es ist mein altes zu Hause. Das Haus meiner Eltern.
Liebevoll tätschelt mein Vater meine Hand, während ich ihn immer noch fassungslos anstarre.
Wie kann das sein?
Wie bin ich hier her nach Fresno gekommen?
Habe ich etwa alles nur geträumt?
Langsam setzte ich mich auf, wobei ich das Gefühl habe, ein wenig tiefer in das Polster des Sofas zu sinken.
Mir ist schwindelig und ich fühle mich sehr benommen.
In meinem Kopf schwirren lose Gedankenfetzen umher, die ich nicht greifen kann.
Das Letzte, an das ich mich erinnere ist, der Nebel in der Gasse. Eine schwarze Gestalt hat mich gejagt. Ich bin gestürzt. Hektik fasse ich mir an den Kopf und taste über meiner Stirn. Ein Stechender Schmerz lässt mich zusammenzucken. Die Wunde ist wirklich da. Ich habe nicht geträumt. Aber wie kann das sein?
Ich muss halluzinieren.
Oder ich habe nun tatsächlich meinen Verstand verloren.„Vorsicht, Schatz“, höre ich meinen Dad, „Als er dich hier abgesetzt hat, sagte Collin mir, dass du einen Schwächeanfall hattest und gefallen bist. Zum Glück ist die Schrammen am Kopf nicht bedenklich. Warum hast du denn nicht angerufen und Bescheid gesagt, dass du mich besuchen kommst? Dann hätte ich etwas vorbereitet. Aber natürlich freue ich mich so oder so. Nun kannst du dich auch schön ausruhen. Hast du denn so viel Stress in der Galerie?“
Ich bekomme nur einen Bruchteil von dem, was er erzählt, richtig mit.
„Was hast du da gesagt? Wer hat mich hier hergebracht?“, frage ich verwirrt.
„Na Collin. Du weißt schon, seinen Eltern gehört doch hier das Anglergeschäft.“
Tränen sammeln sich in meinen Augen.
„Ach Dad“, seufzte ich mit bebender Stimme.
Ohne es zu wissen, verletzt mich mein Vater gerade zutiefst. Ich wusste ja, dass er hin und wieder mal das ein oder andere Bier trinkt. Und ich wusste, dass es in den letzten Jahren auch das ein oder andere Bier mehr wurde, aber er scheint gar nicht wirklich bei Sinnen zu sein.
Collin ist… er ist tot.
Und mein Dad völlig betrunken.
Ich fühle mich wie in einem grausamen Alptraum. Ein Alptraum, der schon vor Jahren begonnen hat und mich nicht mehr frei gibt. Ein schrecklicher Traum, so furchtbar, dass er mir den Verstand vernebelt.
Erst jetzt realisiere ich, dass meine Finger zu zittern beginnen, kurz vor ich die Tränen nicht mehr zurück halten kann.„Ach Kim, Schätzchen“, dringt die Stimme meines Vaters zu mir durch, „Du musst völlig fertig sein.“
Vorsichtig streicht er mir über den Kopf.
„Leg dich am besten wieder hin und schlafe etwas. Ich koche dir solange etwas Gutes. Ich habe noch ein wenig gegrillte Hühnerbrust im Kühlschrank.“
Es ist wirklich nett, wie er versucht, sich um mich zu kümmern. Leider kann ich seine Fürsorge gerade nur schwer ertragen. Das hier ist zwar mein zu Hause, aber es fühlt sie seltsam an, hier zu sein. Es ist nicht richtig, dass hier und jetzt mit ihm spreche. Schließlich sollte ich gar nicht hier sein.
„Wann hat… Collin… mich denn zu dir gedacht, Dad?", frage ich leise, in der Hoffnung irgendwie eine Erklärung zu finden.
„Vor ungefähr einer halben Stunde. Er hatte es leider eilig und musste dann auch gleich wieder los. Du hattest mir gar nicht erzählt, dass ihr wieder Kontakt habt.“
Ohne weiter auf meinen Dad einzugehen, bette ich meine Kopf vorsichtig wieder auf der Armlehne der Couch und schließe die Augen. Langsam atme ich mehrere Male tief ein und aus, bevor ich die Lider langsam wieder öffne.
Nichts hat sich verändert.
Alles ist genau so, wie ich es seit meiner Kindheit kenne, und gleichzeitig so surreal und befremdlich.
Erneut schließe ich die Augen, versuche krampfhaft meine Gedanken zu sortieren und zumindest eine halbwegs realistische Erklärung für alles zu finden.
Vergebens.
Es gibt keine Erklärung dafür, was da in der Gasse vorgefallen ist. Dieser Wind und dieser Nebel, die mich bereits mehrere Mal so verängstigt haben. Dann diese Gestalt. Warum sollte sie mich überwältigt und verschleppen, nur um mich zurück nach Fresno zu bringen? Es ergibt einfach keinen Sinn.„Hier, ich habe dir eine Tablette in Wasser aufgelöst. Nicht, dass du noch Kopfschmerzen bekommst“, reißt mich mein Vater aus meinen wirren Überlegungen, „Brauchst du etwas Eis? Das könnte vielleicht eine Beule geben.“
„Nein, Danke. Es geht schon“, antwortet ich abwesend, „Du, Dad, hat… Collin… denn auch meine Handtasche hier gelassen?“
Kurz schaut er sich Suchend um, bevor er hinter die Lehne des braunen Sessel greift.
„Hier. Aber du solltest dich nun besser ausruhen. Alles andere kann warten“, mahnt er mit besorgt, während er mich dabei beobachtet, wie ich nach meinem Handy wühle.
„Schon gut, wirklich“, versichere ich knapp.
Dann Fische ich das Handy aus der Tasche und entsperre den Bildschirm. Wie erwartet habe ich weder einen Anruf noch eine Nachricht in Abwesenheit. Aber das wollte ich auch überhaupt nicht kontrollieren. Etwas in mir zwingt mich dazu, Collins Nummer zu wählen. Kurz zögerte ich, bevor mein Finger die grünen Taste berührt. Ohne klingeln springt die Mailbox an. Genau wie all die verzweifelten, lächerlichen Versuche der letzten Tage zuvor. Und trotzdem versetzt es mir wieder ein Stechen in mein Herz.
Ich weiß nicht, was dieser Anruf bezwecken sollte, aber ich musste mir beweisen, dass sein Handy nach wie vor ausgeschalten ist.
Er kann es nicht mehr laden.
Er kann meine Anrufe nicht mehr annehmen.
Und er kann mich nicht zu meinem Vater gebracht haben.
Ganz egal, wie sehr ich es mir wünsche. Und ganz gleich, wie sehr ich die realitätsfremde Geschichte meines alkoholisierten Dads auch glauben möchte.Kim wurde zu ihrem Vater gebracht?
Habt ihr eine Erklärung dafür, was passiert ist?
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Don't touch me
VampireWas würdet ihr tun, wenn sich eure Liebe verändert, wenn ihr plötzlich den Mann an eurer Seite selbst nicht mehr wieder erkennt? Was würdet ihr tun, wenn euer Leben einen absoluten Tiefpunkt erreicht hat? Gefangen zwischen Glück und Leid, zwischen V...