Die Tage vergingen immer schneller und Kyle wurde immer ungeduldiger.
"Warum kannst du ihn nicht verlassen, wenn du mich so liebst?", hatte er gestern gefragt.
"Weil ich ihn nicht verletzten will.", hatte ich geantwortet.
"Du musst jemanden verletzen: entweder ihn, oder mich. Andere Möglichkeiten hast du nicht", meinte er jetzt, als wir im Auto saßen und zur Eishalle fuhren.
Ich wusste keine intelligente Antwort. Nie wusste ich eine, weil es keine gab. Einem musste ich wehtun und das würde definitiv nicht Kyle sein. Ich beobachtete ihn. Sein markantes Gesicht, das ernst auf die Straße blickte. Sein Brustkorb, der sich hob und senkte und seine Hände, die so fest das Lenkrad hielten, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Beruhigend legte ich ihm eine Hand auf die Schulter und kraulte seinen Nacken. Erst blieb er stur, doch nach einer Weile hörte er auf sich zu verkrampfen und atmete tief ein und aus.
"Du weißt, dass ich dir nicht wehtun werde.", meinte ich.
"Ich bin mir da nicht mehr so sicher.", antwortete er. Seine Körperhaltung war abwehrend, wie immer bei dem Thema. Ich hatte ein ungutes Gefühl.
Kyle konnte nicht mehr. Er war am Ende mit den Nerven. Angst machte sich in mir breit. Ich durfte ihn nicht verlieren, auf keinen Fall, das würde ich niemals überleben.
"Ich mache heute mit Hunter Schluss. Ehrenwort.", sagte ich und sah ihn ernst an. Er wandte den Blick kurz von der Straße ab und gewährte mit einem Blick in seine azurblauen Augen.
"Letzte Chance, Kaylee.", meinte er gleichgültig. So gleichgültig, wie er mir vor 3 Monaten begegnet war. Es tat weh, es tat so unfassbar weh. Ich sagte nichts. Ich hatte kein Recht dazu. Er hatte allem Grund, abweisend zu mir zu sein. Ich hielt die Tränen zurück und starrte auf die Straße.
In der Eishalle angekommen warteten Liz und Mike schon auf uns. Es tat gut, etwas mit Kyle's Freunden zu machen und von meinen Freunden Abstand zu gewinnen. Vor ihnen mussten wir uns nicht verstellen.
Liz begrüßte mich mit einem Küsschen links und rechts und Mike umarmte mich. Kyle's Begrüssung fiel eher kühl aus.
"Ich hol schon mal die Schuhe ab.", sagte er und ging in die Eishalle.
Mike, der nichts merkte ging hinterher und Liz sah mich fragend an.
"Was hast du denn mit dem gemacht?" Ich seufzte. Eigentlich hatte ich gar keine Lust mehr, Eislaufen zu gehen.
"Es ist wegen Hunter. Kyle ist nervlich am Ende. Verständlicherweise."
"Mach dir keinen Stress. Kyle ist einfach so. Wenn ihm etwas nicht passt, macht er dicht. Der kriegt sich wieder ein."
"Ich habe das Gefühl, dass er das nicht mehr lange mitmacht."
"Dann weißt du ja, was zu tun ist.", Liz lächelte mich ermutigend an und folgte den Jungs. Ich tat es ihr nach.
Ich konnte die Augen nicht von Kyle abwenden, wie er da stand, in seiner grauen Herbstjacke, der engen Jeans und aufs Eis starrte. Das Eis wurde gerade erneuert und alle Leute warteten. Ich blieb stehen, unsicher, was ich tun sollte. Liz tippte mich an und nickte Richtung Kyle. Dann ging sie zu Mike. Ich atmete tief ein und aus und steuere dann auf Kyle zu. Vorsichtig verschränkte ich meine Hand mit seiner, schlang meinen anderen Arm um seinen und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Er roch nach One Million und Zigarettenrauch. Ich fühlte mich schlecht, weil er wegen mir sooft rauchte. Ich nahm wahr, dass er den Kopf zu mir drehte und mich ansah, doch ich sah nicht auf. Schließlich drückte er mir einen Kuss auf die Stirn. Erleichterung machte sich in mir breit. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Es war nur ein ganz kleiner Kuss, doch eine Welle Glück durchströmte mich. Ich liebte ihn. Ich liebte ihn so sehr. Ich würde mit Hunter Schluss machen, noch heute. Und dann würde ich Kyle alles von mir geben.
Wir 4 zogen unsere Schlittschuhe an und trauten uns dann vorsichtig aufs Eis. Ich hielt mich am Rand fest und glitt langsam voran, während Kyle los sprintete, quer über die ganze Bahn. Was konnte er eigentlich nicht?!
Ich schob mich also ein paar Runden durch die Halle, dicht gefolgt von Liz und Mike. Plötzlich wurde ich an der Hand gepackt und vom Rand weggerissen. Ich kreischte wie eine Bekloppte und krallte mich an Kyle's Arm fest. Er lachte nur und schleifte mich übers Eis.
"Wenn du die ganze Zeit am Rand gehst, wird das nie was mit Eislaufen.", grinste er. "Und jetzt verkrampf dich nicht so, ich pass schon auf, dass du nicht hinfällst." Zögernd löste ich mich von seinem Arm und hielt nur noch seine Hand fest.
Erst liefen wir langsam ein paar Runden. Als ich dann so langsam reinkam, beschleunigten wir unser Tempo und irgendwann wurde es ganz einfach. Wir machten Wettrennen und ich packte mich mehrere Male hin. Normalerweise wäre mir das peinlich gewesen, aber vor Kyle war mir nichts mehr unangenehm. Das hieß , fast nichts. Nach einer Stunde mussten wir von der Bahn runter, weil das Eis wieder erneuert wurde. Wir zogen unsere normalen Schuhe an und holten uns Pommes.
Plötzlich klingelte mein Telefon. Ich erkannte die Nummer auf dem Display nicht.
"Hallo?", sagte ich, als ich abnahm.
"Kaylee? Kaylee, bist du das?", eine hysterische Frauenstimme klang in mein Ohr.
"Ja?"
"Hier ist Hunter's Mutter! Hunter hatte einen Unfall, wir sind im örtlichen Krankenhaus. Er ist.. Es ist wohl sehr schlimm, er...-" Ihre Stimme brach. Ich war wie paralysiert.
"Ich komme sofort.", sagte ich und legte auf. Ich sprang auf und griff meine Sachen.
"Was ist los?", fragte Kyle besorgt, doch ich bekam nichts mehr mit, benahm mich wie ein Roboter.
"Ich erkläre es dir später, ich muss los."
Mit diesen Worten ließ ich ihn sitzen.
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Kiss Me Softly (abgeschlossen)
JugendliteraturKleine Vorwarnung: Ich bin ein 99er Kind und habe die Story mit 14 geschrieben, ich denke, ihr wisst, was ich damit sagen will. Ranking: #1 in Jugendliteratur/Teen #1 in Teenlove »Es war verdammt schwer, dich zu lieben.« Fünf Jahre ist es her...