Ich sitze auf dem Boden neben meinen kleinen Bruder Yakari. Ich beobachte, wie die großen roten Ameisen in eine Schlange zu einen toten Affen lang laufen. Yakari greift nach einer Ameise und verschlingt sie.
„Wieso hast du das getan?", frage ich meinen Bruder.
„Ich habe Hunger und Ameisen sind sehr knusprig"
„Du bist so ein Idiot", ich fange an zu lachen. Irgendwann verschlucke ich mich vom ganzen Lachen. Yakari versteht meine Reaktion nicht, bis er merkt, wie sich kleine Bläschen auf seine Zunge bilden und er anfängt vor Schmerzen zu stöhnen.
„Yakari, wenn du rote Feuerameisen essen willst, muss du zuerst den Kopf der Ameise entfernen. Denn sie haben Greifzähne und können sich in deiner Zunge festbeißen"
Yakari öffnet den Mund und ich sehe wie der Kopf der Ameise noch an der Zunge meines kleinen Bruders fest klammert.
„Das wird wehtun"
Ich greife nach den Kopf der Ameise und reiße es von der Zunge meines Bruders ab. Yakari schreit laut auf. Ich merke, wie er versucht nicht zu heulen. Doch dann rennt er zum Fluss, um seine Zunge zu kühlen. Ich muss wieder lachen. So ein tollpatschiger Junge!
Plötzlich taucht der Häuptling auf. Er schaut mich mit ernster Miene an: „Thay, Amo will dich sehen!"
Ich stehe schnell auf und mein Vater begleitet mich zu der Hütte von Amo. Dann sehe ich, wie der Schamane vor der Hütte Amos steht.
„Was ist los?", frage ich Vater besorgt.
„Amo ist am Sterben! Er ist ein sehr alter Mann. Seine Kräfte sind ausgegangen", antwortet mir mein Vater schnell, ohne irgendwelche Gefühle zu zeigen.
Ich merke, wie mein Magen sich verdreht und meine Kehle anfängt zu brennen. Das Atmen fällt mir schwer. Ich habe das Gefühl, dass mir ein Speer ins Herz gestochen wird. Ich beiße mir fest an den Lippen bis ich Blut schmecken kann.
Ich gehe langsam in die Hütte rein. Der Schamane und Vater bleiben draußen. Ich entdecke Amo, der auf eine Matte auf dem Boden liegt. Er sieht schwach und blass aus. Ich bleibe vor ihm stechen.
„Setzt dich neben mich hin Kind!"
Zitternd setzte ich mich neben Amo hin. Er nimmt meine Hand. Seine Hand war kalt.
„Amo, du darfst nicht sterben!", sage ich mit einer bebenden Stimme.
Dann herrscht eine lange Weile Stille. Man konnte nur sein eigenes Atmen hören. Amo lächelt mich jedoch freundlich an. Ich versuche nicht zu weinen. Ich brauche Amo! Wieso muss er jetzt sterben? Er ist die netteste Person im ganzen Stamm. Was soll ich ohne ihn machen?
Nach einer langen Weile bricht Amo die Stille: „Thay, bevor ich gehe, habe ich eine Bitte an dich", seine Stimme ist rau und schwach, jedoch sehr ruhig und lieb. Ich traue mich nicht in Amos Augen zu schauen, aber ich nicke kurz.
„Suche nach dem Licht!"
Ich schlucke. Eine kleine Träne rollt meine Wange runter. Was meint Amo damit? Welches Licht? Das Licht von Rantanga? Ich schaue auf und will Amo fragen, was er damit meinte. Doch als ich hoch schaue, merke ich, dass Amo nicht mehr atmete.
„Amo! Amo!", schreie ich, indem ich ihn rüttle „Lass mich nicht alleine!". Doch Amo bewegt sich nicht. Er war tot! Amo war tot!
„Nein", schreie ich laut.
Der Schamane und mein Vater kommen in die Hütte rein.
„Lass uns ihn verbrennen", befiehlt mir der Schamane.
„Wer wird ihn begleiten?", frage ich mit einen Kloß im Hals.
„Keiner! Amo wollte alleine diese Reise angehen!", antwortet Vater. Ich klammer mich an Vater fest: „Nein! Das dürfen wir nicht zulassen! Kann jemand so altes den Weg bis zum Paradies alleine schaffen? Er wird das nie alleine schaffen! Er braucht jemand um ihn zu helfen"
Normalerweise war ich auch immer total dagegen, dass wenn ein Mann starb alle Familienangehörigen auch sterben mussten. Doch Amo war ein sehr alter und schwacher Mann. Der Weg war anstrengend und gefährlich. Er brauchte jemanden! Sterben ist nichts. Der Weg zum Paradies ist alles.
Doch Vater schüttelt den Kopf: „Er wollte es so und wir werden seine Entscheidung respektieren!"
Der Schamane schaut genervt zu mir: „Jetzt komm doch und helfe mir bei der Zeremonie deines Amos"
„Kannst du alleine machen, du Piranha", schreie ich, indem ich raus in den Wald renne. Warme Tränen fließen über mein Gesicht. Ich ärgere mich, dass ich so schwach bin und heulen muss. Doch die Trauer war größer. Ich renne so schnell ich kann. Ich renne gegen Äste, Blätter, manchmal stolpere ich auch. Doch ich höre nicht auf zu rennen. Auch wenn meine Lunge brennt und meine Füße bluten...
Ich bin wütend, wütend auf alle, bin traurig, traurig, dass Amo mich verlassen hat und habe Angst, Angst vor den Mächten dieser Welt.
Irgendwann höre ich auf zu rennen, da ich außer Puste geworden bin. Erst jetzt merke ich, dass ich gar nicht wusste, wo ich hingerannt bin und ich mitten im Nirgendwo stand. Ich wische meine Tränen ab und schaue mich vorsichtig um. Hier bin ich noch nie gewesen. Es gibt nur wenige Bäume. Außerdem sind die Bäume ziemlich klein und viel Licht dringt in den Wald hinein. Es gibt viele Büsche und hohes Gras. Plötzlich höre ich ein Geräusch. Ich drehe mich schnell um und entdecke...
„Heilige Rantanga, was ist das?"
Spoiler: Der nächste Kapitel wird der Story einen anderen Verlauf schenken. Also bleibt dran! 😉
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Ein Licht in der Dunkelheit
SpiritualThaynara ist die Häuptlingstocher des gewalttätigen Indianerstammes Yora im amazonischen Bereich in Brasilien. Ihr Stamm ist vom Animismus und von der Furcht geprägt. Thaynara kennt nichts anderes als die Dunkelheit. Bis sie eines Tages einen Jungen...