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Was mache ich hier? Ich hätte nie von Zuhause abhauen sollen. Was habe ich mir dabei gedacht? Ich kenne diese Menschen doch gar nicht. Ich kenne ihre Kultur doch gar nicht. Wieso lachen sie so oft? Wieso sind so... glücklich? Jede Nacht bin ich hellwach, während die anderen tief und fest schlafen. Ich habe zu viel Angst. Kennen sie denn nicht die Gefahren der unsichtbaren Welt? Alle Erinnerungen meiner Vergangenheit verlassen mich irgendwie nicht, obwohl ich es zutiefst versuche. Doch meine Vergangenheit hat mich geprägt und ich kann das nicht ändern. Ich gehöre einfach hier nicht hin. Ich passe nicht zu diesen Menschen. Aber wohin soll ich denn sonst hin? Wieder zurück zu meinen Stamm? Nein, nie wieder!

Ich seufze laut und wische mir eine kleine Träne von der Wange. Ich kenne mich in Rio de Janeiro nicht aus und ich weiß nicht wohin ich fliehen kann, deswegen haben meine Füße mich zu den Favelas gebracht und plötzlich sehe ich mich vor dem Haus von Mama Sara. Ich schluchze und öffne langsam die Tür. „Was mache ich?", flüstere ich leise und will mich schnell umdrehen. Doch ich merke, wie Vinicius Mutter mich vom Sofa aus überrascht anlächelt.

„Thay, was für eine angenehme Überraschung. Komm doch rein Kleines!", lädt sie mich freundlich ein. Zögernd betrete ich die kleine Hütte. Sie steht auf und umarmt mich. Dann mustert sie mich von oben bis nach unten an.

Ihr Blick wirkt besorgt, „Komm Thay, setzt dich hin. Willst du einen Kaffee?"

Ich setze mich aufs Sofa, „Was ist ein Kaffee?"

„Hm... probiere es mal. Dann weißt du, was es ist", Mama Sara gibt mir eine Schüssel... äh, ich meine eine Tasse mit einen schwarzen Getränk. Ich rieche es und kann nichts anderes als eine Grimasse zu ziehen. Das reicht ja stark! Ich schließe meine Augen und trinke einen Schluck. Bah! Ist das ekelhaft! Deswegen trinke ich weiter. Mama Sara lacht, als sie sieht, wie ich versuche den Kaffee zu trinken.

„Du muss es nicht trinken, wenn du nicht willst", sagt sie amüsiert.

„Alles gut. Ich weiter trinken", nicke ich ihr zu.

Mamas Sara Miene wird ernst und ihr Lächeln verschwindet.

„Wie geht es dir?"

Ich verschlucke mich an meinen Kaffee. Wieso fragen diese Menschen immer wie es einem geht? Wollen sie wirklich wissen, wie es mir geht? Oder fragen sie dies nur, weil alle so glücklich sind und damit angeben wollen? Weil... mir geht es nicht gut! Will sie wirklich wissen, dass es mir nicht gut geht? Was wird es ihr bringen, wenn ich es ihr erzählen würde? Wird das nicht als Schwäche gegolten, wenn man um Hilfe bittet. Zumindest ist es so in meinen Stamm.

Ich schaue Mama Sara an und versuche das Gespräch in ein anderes Thema zu lenken.

„Wer ist das?", frage ich, indem ich auf den sterbenden Mann in dieser Holzschnitzerei in der Wand zeige. Ich merke, wie Mama Sara wieder lächelt und ihre Gesichtszüge weicher werden, „Das ist Jesus, Thay"

„ Aber wer ist er? Ihr so oft über ihn sprechen... auch Felipe"

„Jesus sagte mal: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Dunkelheit umherirren, sondern er hat das Licht, das ihn zum Leben führt"

Ich runzle mit der Stirn: „Ist Jesus Rantanga... also die Sonne?"

Mama Sara lacht amüsiert und schüttelt den Kopf, „Nein Thay, Jesus ist nicht die Sonne. Die Sonne wurde von Gott erschaffen"

Ich lege meine Tasse verwirrt zur Seite, „Hä! Wie??"

„Die Sonne ist ein Feuerball, der uns am Tage Licht und Wärme schenkt"

„Ein Feuerball?", ich kann meine Überraschung nicht verbergen. Ein Feuerball? Also ist die Sonne gar kein Gott? Aber... woher wissen sie das? Kann das überhaupt wahr sein?

Mama Sara nimmt sanft meine Hand, „Gott hat die Welt und das Universum in sieben Tage erschaffen. Er hat uns Menschen erschaffen, damit er mit uns Gemeinschaft haben kann"

Ich staune, „In sieben Tagen? Woher du das wissen?"

„Es steht in der Bibel?"

„Was ist eine Bibel?"

„Das ist ein Buch. Ein sehr kostbares Buch, den Gott uns gegeben hat. Dort steht geschrieben, wie Gott, die Welt erschaffen hat. Es erzählt die Geschichte von ihm und sein Volk. Die Bibel zeigt uns auch, wie wir leben sollen und wie sehr Gott uns lieb hat. Durch die Bibel spricht Gott zu uns"

Ich verstehe gar nichts mehr. Ich habe von vielen unterschiedlichen Götter gehört. Alle Stämme haben unterschiedliche Götter. Aber ich habe noch nie einen Gott kennengelernt, der persönlich zu jemanden spricht. Und ein Gott der jemanden lieb hat? Ist so was überhaupt möglich? Jemand so mächtiges, der das alles in nur sieben Tage erschaffen hat, hat die Menschen lieb? Ein Gott der die Menschen sieht? Wir sind Gott nicht gleichgültig? Aber warte! Das ist doch viel zu perfekt um wahr sein zu können, oder? Da, die Schnitzerei! In dieser Schnitzerei ist doch Jesus am Sterben. Ich wusste doch, dass es alles viel zu schön sein könnte, um wahr zu sein.

„Aber Jesus ist doch tot, oder nicht?"

Mama Saras Blick wandert auf den sterbenden Jesus. Ihre Augen füllen sich mit Freudentränen. Mit Freudentränen! Wieso freut sie sich?

 Mit Freudentränen! Wieso freut sie sich?

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