Die glühende Hitze streift über den Amazonas. Fliegen Schwärme schmücken die Luft. Währenddessen verstecke ich mich hoch oben auf der Baumkrone eines Mangobaumes. Ich klatsche einen Moskito auf meinen Hals flach. Ich beobachte, wie Leute aus meinen Stamm ständig in den Wald hineingehen, um Bambusstäbe, getrocknete Palmblätter und Linealen zu holen. Ich runzle verwirrt die Stirn. Für was brauchen sie das alles? Ich schaue in den Horizont. Nach ein paar Minuten entdecke ich Kimo, wie er zurückkommt. Ich klettere schnell vom Baum herunter und laufe Kimo entgegen.
„Hast du Rebeca sicher zurück gebracht?", frage ich eifrig.
Kimo lächelt mich an, „Ja! Der... ähm, wie hat sie das genannt? Ach ja, der Truck von Felipe war noch da und war sogar noch fahrtüchtig!"
Dann gehen wir gemeinsam in den Stamm zurück. Meine Mutter kommt uns eilig entgegen gelaufen, „Ihr müsst euch das ansehen!", berichtet sie fröhlich. Neugierig laufen wir meine Mutter hinterher. Sie zeigt uns eine riesige Hütte, größer als aller anderen Hütten, die die Männer gerade bauen.
„Für wen ist die Hütte?", frage ich etwas verwirrt.
„Das wird unser Kirchengebäude sein", erzählt meine Mutter aufgeregt, indem sie in die Hände klatscht.
„Ein Kirchengebäude?", meine Augen weiten sich. Ich gebe innerlich Freudenschreie. Ich hatte so Angst gehabt, als Felipe gestorben ist, dass mein Stamm sich von Gott entfernen würde und in ihren alten grauenhaften Traditionen zurückfallen würde. So als ob Felipe der Anker von alles wäre und wenn er uns verlassen würde, würde uns auch Gott verlassen! Blödsinn! Ich schmunzle. Gott ist der Anker von allem! Gott wird uns nie verlassen! Plötzlich fasst mich jemand von hinten an. Ich drehe mich ruckartig um.
„Vater?"
„Thay, du bist die einzige die die Sprache der Weißen kann. Kannst du dann auch für uns etwas aus der Bibel lesen?"
Ich schaue Vater mit offenem Mund an. Ich kann meine Verwunderung nicht verbergen.
„Vater will, dass ich für euch aus der Bibel vorlese und übersetze?"
„Ja Thay. Deine Mutter hat mir viel über diesen Gott erzählt. Ich will mehr über ihn erfahren", berichtet er mit einer ernsten Stimme. Ich lächle und sprinte zu meiner Hütte, indem ich meine Bibel hole.
„Okay, dann trommle alle zusammen, die etwas aus der Bibel hören wollen", grinse ich breit.
Ich setze mich auf einem Stein auf dem Boden und warte. Nach ein paar Minuten versammelt sich über die Hälfte meines Stammes um mich und wartet gespannt.
Ich schlage Lukas 6:27-36. Ich lese es und übersetze es: „Doch wenn ihr bereit seid, wirklich zu hören, dann sage ich euch: Liebt eure Feinde. Tut denen Gutes, die euch hassen. Betet für das Glück derer, die euch verfluchen. Betet für die, die euch verletzen. Wenn jemand dich auf die eine Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin. Wenn jemand deinen Mantel will, biete ihm auch dein Hemd an. Wer dich bittet, dem gib, was du hast; und wenn dir etwas weggenommen wird, versuche nicht, es wiederzubekommen. Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest. Glaubt ihr, ihr hättet dafür Anerkennung verdient, dass ihr die liebt, die euch auch lieben? Das tun sogar die Sünder! Und wenn ihr nur denen Gutes erweist, die euch Gutes tun, was ist daran so anerkennenswert? Selbst Sünder verhalten sich so! Oder wenn ihr nur denen Geld leiht, die es euch zurückzahlen können, was ist daran außergewöhnlich? Selbst Sünder leihen ihresgleichen Geld in der Hoffnung, die volle Summe zurückzuerhalten. Liebt eure Feinde! Erweist ihnen Gutes! Leiht ihnen Geld! Und macht euch keine Sorgen, weil sie es euch vielleicht nicht wiedergeben werden. Dann wird euer Lohn im Himmel groß sein und ihr handelt wirklich wie Kinder des Allerhöchsten, denn er erweist auch den Undankbaren und den Bösen Gutes. Ihr sollt gütig sein, wie euer Vater gütig ist", ich höre abrupt auf zu lesen, als ich sehe, wie Indianer aus dem Gebüsch in unsere Richtung kommen. Es sind nicht Indianer meines Stammes!
Normalerweise würden die Männer schnell aufstehen und ihre Waffen holen. Frauen und Kinder würden sich verstecken. Doch alle bleiben sitzen und schauen mich an.
„Was sollen wir tun?", fragt mich der Häuptling. Meine Augen weiten sich. Ich soll entscheiden, was zu tun werden soll?
„Was will Gott, dass wir machen?", fragt Vater noch einmal.
„Häuptling, das sind unsere Feinde! Lass uns schnell die Waffen holen", schreit Kauê aufgeregt, indem er zu uns her gerannt kommt. Vater schüttelt den Kopf und wartet auf eine Antwort von mir. Mein Mund trocknet aus und ich werde leicht nervös. Ich muss schnell handeln.
„Was sollen wir tun Gott?", bete ich leise. Plötzlich entdecke ich in der Mitte der fremden Indianer, die Indianerin, die Kauê mir geschenkt hatte. Meine Augen strahlen und ich gehe vorsichtig zu ihr hin. Zögernd umarme ich sie.
„Hi Jaciara!", begrüße ich sie herzlich, jedoch noch etwas ängstlich, indem ich die anderen Indianer nicht aus dem Auge lasse.
„Hi Thay!", begrüßt sie mich schüchtern, „Du hast gesagt, ihr würdet uns helfen. Ihr würdet unser Stamm helfen. Nun sind wir hier!"
Ich erinnere mich an unserem Gespräch von vor ein paar Wochen. Ich nicke.
„Habt keine Angst! Folgt mir!"
Schließlich folgt mir ihr Stamm und ich stelle diesen meinen Stamm vor. Einst waren sie Feinde. Heute werde sie zu Freunde. Nun geben wir ihnen was zum Essen und zum Trinken. Viele sind wirklich ausgehungert und brauchen wirklich Hilfe. Früher hätten wir nur darüber hinweggesehen und uns über ihr Verderben gefreut. Heute macht dies uns traurig und durch Gottes Liebe schenken wir ihnen Hilfe und Zuflucht.
Während wir die Indianer aus dem anderen Stamm mit Essen versorgen, bemerke ich Kauê, der wütend sein Pfeil spitzt. Ich weiß nicht wieso, aber ich gehe zu ihn hin. Er hebt sein Kopf um mich genauer zu betrachten, dann murrt er wütend, „Ihr seid alle verrückt! Das sind unsere Feinde!". Dann geht er stampfend davon.
Der Hass gegen Kauê verwandelt sich plötzlich in Mitleid. Mama Sara taucht vor meinen Augen. Ich erinnere mich an die Situation, als Vinicius, die Person, die sie am meisten geliebt hatte, ermordet wurde. Trotzdem hatte sie den Mörder ihres Sohnes vergeben. Ich seufze und meine Augen werden glasig. Ich weiß, was ich noch tun muss.
➡ Fakt: Am 19 April feiert man in Brasilien den Indianertag!
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Ein Licht in der Dunkelheit
SpiritualThaynara ist die Häuptlingstocher des gewalttätigen Indianerstammes Yora im amazonischen Bereich in Brasilien. Ihr Stamm ist vom Animismus und von der Furcht geprägt. Thaynara kennt nichts anderes als die Dunkelheit. Bis sie eines Tages einen Jungen...