Kapitel 1

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Zauberwald, vor Emmas Geburt/ dem Fluch:
(Juna: 12 Jahre alt)

„Geh einfach in das Loch zurück, aus dem du gekrochen bist!", ruft Johann, der große Bruder meiner besten Freundin Julia. Er packt seine Schwester am Arm und schubst sie dann zurück in das Haus. Über ihr Gesicht rinnen, ebenso wie über das meine, Tränen. „Hau ab!", brüllt Johann noch einmal. Ich stehe immer noch wie versteinert im Regen, der Stoff, der als Schuhe an meine Füße gebunden ist, saugt sich mit dem schlammigen Wasser voll. Der Junge kann sich nun nicht mehr zurückhalten: Er bückt sich blitzschnell und schmeißt einen Stein nach mir. Nun erwache ich endlich aus meiner Starre, drehe mich um und renne. Doch die Wege sind so rutschig, dass ich der Länge nach hinfalle und im Schlamm lande. Johanns Lachen ist voller Genugtuung, dabei habe ich ihm gar nichts getan. Ich habe überhaupt niemandem etwas getan! Es war allein die Schuld meines Vaters. Er hatte meine Mutter betrogen. Daraufhin war sie verständlicherweise abgehauen, doch ließ mich alleine.

Das war die erste tiefe Wunde, die mein Herz zu erleiden hatte. Die nächste kam, als mein Vater mich aus dem Haus warf. Er konnte mich nicht mehr ansehen, da ich meiner Mutter mit den braunen Haaren und den grünen Augen so ähnlich sah. Mein Anblick schmerzte ihn, weil die Frau, mit der er meine Mutter betrogen hatte, zu ihrem Ehemann zurückgekehrt war und er durch mich nur an die Trauer, dass meine Mutter ebenfalls fort war, erinnert wurde. Er erlaubte mir lediglich in dem Schuppen hinter unserem Haus zu schlafen. Erwischte er mich jedoch tagsüber dort, konnte ich mich auf Prügel gefasst machen.Also hielt ich mich am Tag nur im Dorf auf. Früher konnte ich noch zu meiner besten Freundin gehen, doch das war seit eben offenbar auch vorbei. Wahrscheinlich dachten die Leute ich hätte einen schlechten Einfluss oder würde ihren Ruf schädigen. Julia hatte mir manchmal etwas zu essen gegeben, doch meistens hatte ich es auf dem Markt stehlen müssen. Das war nach einer Zeit nicht einfach gewesen, denn die Leute auf dem Markt merkten sehr schnell, dass ich eine Diebin war und nie Geld dabei haben würde. Ich würde gerne einen Neuanfang machen, aber ich weiß nicht wohin ich gehen könnte. Mit meinen zwölf Jahren will mich auch keiner anstellen.

Ich habe mich nun bis zum Haus meines Vaters geschleppt. Eigentlich darf ich ja nicht hier sein, aber einen anderen Ort, zu dem ich mich jetzt flüchten könnte, kenne ich nicht. Zaghaft klopfe ich also an die Tür. „Komm herein, Juna", höre ich ihn brummen. „Entschuldige Vater, dass ich eintrete, aber das Wetter draußen ist furchtbar. Wenn ich mich nur einen Moment am Feuer wärmen könnte, wäre das...", spreche ich hastig und leise, doch werde von ihm unterbrochen: „Sei leise, Juna! Ausnahmsweise kommst du mir einmal recht." Vorsichtig trete ich in das Haus. Mein Vater sitzt mit dem Rücken zu mir vor der Feuerstelle, eine Flasche in der Hand. „Warum, Vater?" Ich bin verwirrt. Ich komme meinem Vater niemals gelegen. „Wenn du aufhörst zu brabbeln, kann ich es dir sagen: Ich habe dich verkauft. Offenbar bist du eine hübsche Summe wert." „Was?! Du lügst!", ich kann es nicht fassen, das konnte nicht sein! Ich bin doch kein Sklave! So grausam kann er nicht sein. Die einzige Möglichkeit hier wieder herauszukommen ist die Flucht. Ich mache auf dem Absatz kehrt und stürme aus der Tür. Direkt in die Arme eines anderen Mannes. „Du musst Juna sein", bemerkt er spitz und ein ekelerregendes Lächeln zieht sich über sein Gesicht. Ich schreie wie am Spieß und versuche mich loszureißen, doch ohne Erfolg. Das Einzige was ich erreiche ist geknebelt und gefesselt zu werden. Der fremde Mann hebt mich anschließend auf einen Karren. Er selbst nimmt auf dem Kutschbock Platz und treibt das Pferd an, welches vor den Karren gespannt ist. Tränen der Verzweiflung fließen über meine Wangen: Ich bin eine Leibeigene. Soll mein Leben wirklich so aussehen? Womit habe ich das verdient? Wimmernd ziehe ich meine Beine an meinen Körper und drücke mich in eine Ecke des Karrens.
Nach einiger Zeit stellt sich ein Gefühl der Gleichgültigkeit bei mir ein. Ganz gleich wo der Mann mich hinbringen wird, es wird auch furchtbar sein, dessen bin ich mir sicher. Wenn er Kinder kauft, knebelt und fesselt kann er kein guter Mensch sein. Eigentlich müsste ich Angst haben was mit mir passieren wird, doch dazu bin ich zu erschöpft. Ich schlafe ein und wache erst wieder auf als der Karren über unwegsames Gelände fährt.

Peter Pan loves meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt