Kapitel 6

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Zauberwald, vor Emmas Geburt/ dem Fluch:
(Juna: 16, fast 17, Jahre alt)

In dem großen Haus ist es ganz still. Lediglich von den Straßen draußen höre ich ab und zu ein Geräusch. Gerufene Worte oder wiehrende Pferde.
Über dem Grundstück liegt allerdings eine gedrückte Stimmung. Alle Bewohner des Hauses sind leise, alle trauern. Alle außer mir, denn endlich ist Timmothys Vater tot! Nein, es ist nicht meine Schuld, dass er tot ist. Der Mann ist an einer gewöhnlichen Grippe gestorben, ich habe also nichts damit zu tun. Es ist makaber, ich weiß, aber ich freue mich. Gestern war der erste Abend seit langem, an dem ich nicht gefoltert wurde. Weil Timmothys Vater nicht da ist um den Befehl dazu zu erteilen. Obwohl ich keine Fluchtversuche mehr gestartet habe, es hätte ja sowieso keinen Sinn gehabt, wurde ich ab und an gefoltert. Immer wenn der Hausherr schlechte Laune hatte.
Heute ist die Beerdigung.

Das Geräusch meiner Schritte hallt in den leeren Gängen, als ich Timmothy seinen Anzug für die Beerdigung bringe. Seit gestern morgen, dem Zeitpunkt an dem sein Vater tot aufgefunden wurde, spricht der Junge nur noch das Nötigste.
Als ich in sein Zimmer komme steht er mit dem Rücken zu mir an einem der Fenster. Nun hat er das Sagen in diesem Haus, denn eine Mutter hat er nicht. Ein dreizehnjähriger Junge! Je näher ich ihm komme, desto entspannter werde ich, da das Band mich durch die Nähe zu ihm nicht mehr quält.

„Ich habe deinen Anzug", sage ich und lege den schwarzen Stoff auf dem Bett ab. Timmothy rührt sich nicht. Plötzlich habe ich ein wenig Mitleid mit ihm, er ist ja noch ein Kind! Ein Kind, das erst seine Mutter und dann auch noch seinen Vater an den Tod verloren hat. Ein Kind, das keine Ahnung davon hat wie man das Personal im Haus anweist oder wie man einen Beruf mit gutem Lohn ergreift. Er ist im Prinzip komplett alleine und hat eine Kammerdienerin, die ihn hasst und ihm das Leben zur Hölle macht.

„Ich weiß wie es sich anfühlt", sage ich leise und meine Stimme klingt dabei leicht kratzig. „Was weißt du?", fragt der Junge tonlos und bewegt sich noch immer nicht. Nach einem kurzen Moment des Schweigens antworte ich: „Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn man von dem einen auf den nächsten Moment keinen Halt mehr hat." Ich schlucke. „Und ich weiß wie es sich anfühlt wenn man ganz alleine ist und keine Hoffnung mehr sieht", ich warte einen kurzen Moment, „Es geht mir jeden Tag so."
Ohne dass ich es verhindern kann beginnen mir heiße Tränen über die Wangen zu laufen. So sehr habe ich mich bis heute nur Peter geöffnet. Langsam dreht Timmothy sich zu mir um. Auch in seinen Augen schimmern Tränen.

So stehen wir uns gegenüber, ungefähr zwei Meter trennen uns voneinander. „Es tut nicht weh", rede ich weiter, unfähig mich zu bewegen, „Es ist einfach Leere. Nichts, dass einen mehr ausfüllt. Und es kann auch nicht gefüllt werden. Nichts und niemand kann helfen. Man ist ganz allein."
Nun laufen auch Timmothy Tränen über sein Gesicht und er wirft sich in meine Arme. Zur Zeit sind wir in etwa gleich groß.
Etwas unbeholfen lege ich die Arme um ihn.

In diesem Augenblick herrscht Waffenstillstand, denn ich möchte nicht auf jemanden treten, der sowieso schon am Boden liegt und gerne unter der Erde wäre. Außerdem bin ich selbst auch nicht in bester Verfassung.
Der Körper des Kindes bebt, vom Weinen geschüttelt. Als er sich endlich von mir löst, sind seine Augen ganz verquollen.
„Woher weißt du wie es sich anfühlt?", fragt er.
„Timmothy, du weißt doch ganz genau, dass mein Vater mich verkauft hat! Als würde das keine Spuren hinterlassen!" Das ist ein wunder Punkt und ich kann meine Wut nicht zurück halten. Eilig löse ich mich von ihm. „Nein, ich dachte immer du wärst freiwillig hier", stammelt der Junge. Ich glaube ihm kein Wort. Er muss doch etwas davon mitbekommen haben!
„Glaubst du ich wäre freiwillig an einem Ort, an dem man mich foltert und mich meiner Freiheit und Würde beraubt?!", fahre ich ihn an. So ein dummes Kind! Oder einfach unglaublich naiv.
Das Verständnis und der Friede von eben sind verflogen. „Dafür kann ich aber nichts", Timmothys Stimme ist leise, „Ich habe dich gut behandelt. Weißt du überhaupt, dass ich derjenige war, der veranlasst hat, dass deine Wunden auf dem Rücken versorgt werden?"

Stille.
Absolute Stille.
Ich wusste es nicht, woher auch? Es hat ja nie jemand, weder der Junge noch die Bediensteten, mit mir gesprochen!
Ich drehe mich auf dem Absatz um und verlasse den Raum, muss alleine sein.

Storybrook, nachdem der Fluch gebrochen wurde:

Ich werde von einem Kribbeln auf dem Rücken geweckt.
Licht durchflutet das Schlafzimmer, sodass ich erst einmal blinzeln muss. Dann erkenne ich Timmothy. Er liegt noch immer neben mir im Bett und fährt mit seinen Fingern über die Narben auf meinem Rücken, die niemals verheilt sind. Auch wenn es mich etwas anekelt lasse ich es zu. Timmothy muss mir vollkommen vertrauen, das fordert seine Opfer. So wie ich es schon all die Jahre zuvor durchgezogen habe.

Nach einer gefühlten Ewigkeit beginnt meim Mann zu sprechen: „Es klingt vielleicht schlimm, aber gerade bin ich froh, dass er nicht da ist." Ich weiß sofort von wem er redet. Von seinem Vater.
Timmothy blickt mir nicht in die Augen als er weiter spricht: „Er hätte es bestimmt nicht zugelassen, dass wir uns lieben." Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll. Natürlich freut es auch mich, dass sein Vater nicht mehr da ist. Das allerdings nur aus dem Grund, weil es die Sache mit Neverland noch zusätzlich erschwert hätte und ich weiter gefoltert worden wäre. Zumindest im Zauberwald. Auf die Heirat mit Timmothy hätte ich verzichten können. Dennoch muss ich zugeben, dass diese Ehe auch Vorteile hat.

Ich nicke still, das muss Timmothy als Antwort genügen. Nach kurzer Zeit stehe ich dann auf. Ich habe heute noch etwas mit Rumpelstilzchen zu klären!
Doch als perfekte Ehefrau mache ich mich zuerst schnell fertig und bereite dann das Frühstück vor während mein Ehemann duscht. Es gibt Pancakes, deren Duft sich in der ganzen Wohnung verteilt. Auf dem Esszimmertisch steht ein Blumenstrauß, den Timmothy mir mitgebracht hat bevor der Fluch gebrochen wurde.

Als Timmothy in die Küche kommt strahlt er über das ganze Gesicht, schließt mich in seine Arme und gibt mir einen langen Kuss. Dann beginnen wir zu frühstücken.

„Schade, dass ich vor dem Fluch nie die Gelegenheit hatte festzustellen, dass du doch kochen kannst", lacht er mir zu. Ich grinse ebenfalls: „Da wusste ich auch noch nicht, dass es sich lohnt." Meine Stimme klingt verführerisch und ich hasse es so mit ihm zu reden als würde ich ihn lieben. Obwohl eigentlich tue ich das ja: Ich liebe ihn dafür, dass er so leicht zu belügen ist.
„Ich würde liebend gerne bei dir bleiben, doch leider muss ich jetzt zur Arbeit." Er wirkt zerknirscht.
Timmothy arbeitet bei der Stadt und verdient dort sehr gut.

Ich setze ebenfalls eine enttäuschte Miene auf. „Arbeite nicht zu lange", bitte ich ihn, obwohl ich natürlich das Gegenteil hoffe.
Sobald er aus der Tür getreten ist räume ich schnell den Tisch ab und schlüpfe dann in meinen Mantel. Dann warte ich noch kurz ein paar Minuten damit ich Timmothy nicht womöglich einhole und eile dann in das Treppenhaus.

Den Weg zu dem Antiquitätengeschäft habe ich schnell hinter mich gebracht. Nun stehe ich wieder vor dem Laden. In ihm ist es noch dunkel. Die Tür lässt sich nicht öffnen.
Mit einem Blick auf die Öffnungszeiten muss ich enttäuscht feststellen, dass das Geschäft erst in einer Stunde öffnet. Leider habe ich auch keine Ahnung wo der Dunkle wohnt, ob im Laden oder in einem anderen Gebäude.
Ihn einfach so auf der Straße zu treffen ist nicht besonders wahrscheinlich. Entnervt seufze ich auf. Ich habe über 28 Jahre auf mein Glück gewartet und nun steht mir so etwas Dämliches wie Öffnungszeiten im Weg! Auf einmal kommt mir jedoch eine Idee.

Ich laufe in die Seitenstraße, welche sich direkt neben dem Laden befindet und mein Verdacht bestätigt sich: Es gibt eine weitere Tür, welche in das Lager des Geschäfts führt. Das vermute ich zumindest mal.
Ungeduldig klopfe ich an diese. Vielleicht habe ich ja Glück und er ist schon da oder wohnt dort. Tatsächlich öffnet sich die Tür nach einer gefühlten Ewigkeit und vor mir steht eine braunhaarige Frau. Irritiert runzle ich die Stirn. „Wer sind sie denn?", frage ich pikiert.
„Ähm, ich bin Belle", sagt die Frau „Und wer sind sie?"

Peter Pan loves meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt