chapter four

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Santiago

Normalerweise bin ich ein pünktlicher, zuverlässiger Mensch. Ich komme auf die Minute genau zu meinen Meetings, verpasse keines der Familientreffen und gehe sogar jeden Tag um die gleiche Uhrzeit ins Bett. Mein Tagesablauf ist unter der Woche genaustens durchgeplant und das weiß jeder. Selbst mein geliebter Bruder, der das gerne mal verdrängt. Wie zum Bespiel gestern, als er ohne jegliche Voranmeldung vor meiner Tür aufkreuzte, im Schlepptau seine zuckersüße Tochter. Ihre geflochtenen Zöpfe, gepaart mit diesen niedlichen Grübchen erwärmten mein Herz schlagartig.

Gleichzeitig bereiteten sie mir ein ungutes Gefühl, denn sie kommen nie bloß für einen kurzen Besuch. Ryan lud sie bei mir ab, mit der Ausrede, die Nanny sei im Urlaub. Angeblich wäre sonst niemand von seinen oder Rose' Freunden erreichbar gewesen und ich sei ihre letzte Hoffnung. So wie immer.

Selbstverständlich habe ich ihm diese Lüge nicht abgekauft und hatte eine verdammt große Lust ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Doch ich habe mir streng vorgenommen – genau wie er – mich in Laylas Nähe zu beherrschen. Ich verwende keine Schimpfwörter oder vulgäre Ausdrücke und benehme mich wie ein anständiger und vorbildlicher Bürger. Normal eben und nicht so wie sonst immer.

Dieser kleine Engel soll sich ja kein Beispiel an mir nehmen. In meinem relativ kurzen Leben habe ich schon so einige Dinge vermasselt, sodass ich irgendwann mit dem Zählen aufgehört habe. Es wäre bloß deprimierend sich tagtäglich vor Augen zu führen, wieso ich nicht der perfekte Sohn bin. Wieso ich nicht der perfekte Bruder bin. Oder wieso ich nicht der perfekte Freund bin.

Letztendlich habe ich Layla hereingelassen und ihm dann die Wohnungstür vor der Nase zugeschlagen. Er soll ruhig wissen wie sehr ich diese unangekündigten Besuche verabscheue. Schließlich will ich nicht, dass meine Nichte die Bierflaschen auf dem Wohnzimmertisch oder das unaufgeräumte Geschirr sieht. Sie soll kein schlechtes Bild von mir haben, obwohl sie mit ihren vier Jahren vermutlich noch nicht einmal begreift, was das zu bedeuten hat.

Der Saustall und das Playboy-Magazin, welches ich seit einer geschlagenen Woche nicht angefasst habe, schienen sie sowieso nicht zu interessieren, da sie schnurstracks auf die riesige Couch zulief und es sich dort bequem machte. Ihre kleinen Beinchen baumelten über den Rand und dieser niedliche Anblick machte es wieder wett, dass sie immer noch ihre pinken Straßenschuhe anhatte.

Sie holte ihre Lieblingspuppen aus dem pinken Rucksack heraus und gab mir ein zerknittertes Blatt. „Das habe ich heute für dich gemalt."

Anders als sonst – jedes Mal, wenn sie zu mir kommt, schenkt sie mir ein neues Kunstwerk – waren darauf keine fliegenden Einhörner oder zaubernden Feen abgebildet, sondern Strichmännchen und quadratische Herzen.

Mir entfuhr glatt ein Fluch, als ich ein ganz bestimmtes durchtriebenes Grinsen vor meinem geistigen Auge aufblitzen sah. Es erinnerte mich an eine Person, an die ich in diesem Augenblick ganz und gar nicht erinnert werden wollte.

Nachdem ich am Mittwoch ihr Büro verlassen hatte, war ich rasend vor Wut. Ich wollte die zerbrochene Tasse nach ihr werfen, sie feuern und sie anbrüllen –vielleicht nicht unbedingt in dieser Reinfolge. Ich wollte es ihr heimzahlen, dass sie sich so respektlos verhalten hat. Dass sie sich mir widersetzt und den Spieß letztlich sogar umgedreht hat. All das ging mir gewaltig gegen den Strich.

„Das sind du, Mama und Papa", erzählte Layla und strahlte mich mit ihren winzigen Milchzähnen an. „Ihr schaut euch den Sonnenuntergang an."

Das erklärte auch warum sie die Sonne unten im linken Eck gezeichnet hatte. Was ich aber immer noch nicht begriff, war, wieso sie weiterhin gelb und nicht rötlich war. Oder wie sie auf die Idee kam, ich würde jemals so etwas Kitschiges tun, wie einen Sonnenuntergang anzugucken.

daddys princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt