chapter eleven

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Blaugraue Augen blicken zu mir hinauf, derart stark geweitet, dass sie glatt aus ihren Augenhöhlen fallen. Sie bilden wie sonst auch einen extremen Kontrast zu ihren dunklen Haaren.

Und ihrer schwarzen Seele.

„Wie lange stehen Sie schon hier?", höre ich mich emotionslos fragen. Ich ziehe schleunigst eine imaginäre Mauer hoch, um ihr ja keinen Einblick in das Gefühlschaos in meinem Inneren zu gewähren. Sie würde ohne jeglichen Zweifel keine Gnade kennen und mein Leid vollends ausnutzen.

Unter anderen Umständen würde ihr perplexes Blinzeln eventuell amüsant sein, doch nicht jetzt. Nicht wenn ich derart geladen bin, dass ich mich kaum noch unter Kontrolle habe. Nicht wenn meine Fäuste schon das Zittern anfangen und meine Zähne fast von dem Druck, den ich ausübe, durchbrechen drohen.

Andere würden sagen, dass ich übertreibe, weil Ryan nichts schlimmes gesagt hat. Das waren doch bloß Wahrheiten, die er ausgesprochen hat. Also besteht doch Grund schlecht drauf zu sein. Tatsächlich wäre ich genau der gleichen Meinung, wenn ich nicht wüsste, was sich dahinter verbirgt. Wenn ich nicht wüsste, dass er die meiste Zeit über so mit mir umgeht.

Wie bereits gesagt, ich würde für ihn morden und er für mich sicherlich auch. Nur zeigt er das immer auf eine nörgelnde Weise, die mir das Leben schwer macht.

Als wir noch im College waren, konnte ich ihm problemlos von all meinen Eroberungen erzählen – falls ich sie bis dahin nicht schon längst vergessen habe. Wir haben kein Blatt vor den Mund genommen, manchmal sogar ziemlich abwertend und beleidigend über die Mädels gesprochen. Wir haben uns über ihre Blaskünste und ihre teils kleinen Brüste ausgelassen, als wären sie keine lebenden Menschen mit Gefühlen, sondern Objekte, die man unbedenklich auswechseln kann. Sie haben all das allerdings niemals herausgefunden, weil das unser Geheimnis blieb. Bis zum heutigen Tag.

Diese Tradition, die wir über Jahre gehalten habe, hat Rose mit einem Schlag zerstört. Sobald Ryan im dritten und somit im letzten Collegejahr war, lernte er Rose kennen. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, er hat sie angeblich im ersten Moment noch nicht einmal bemerkt. Doch in den Wochen und Monaten darauf wurde das ganz anders. Er wurde ganz anders. Während unseren Gesprächen haben wir nicht mehr über irgendwelche Weiber gesprochen, sondern kultiviertere Themen angeschlagen.

Nur so nebenbei, er hat das Mädchen zu diesem Zeitpunkt kein einziges Mal erwähnt. Ich habe erst herausgefunden, dass sie überhaupt existiert, als ich versucht habe sie zu küssen. Ich hätte es auch geschafft, hätte mir mein verehrter Bruder nicht fast die Nase gebrochen.

Er war Hals über Kopf in sie verliebt und wurde zu einem Menschen, den ich so gar nicht kannte. Er entwickelte plötzlich romantische Gefühle – natürlich nur gegenüber ihr. Seine Aussprache wurde viel gehobener und kultivierter, weniger vulgär und beleidigend – natürlich nur in ihrer Gegenwart. Er fing an farbenfrohe Klamotten anzuziehen und sich nicht mehr nur in schwarz zu kleiden – natürlich nur in ihrer Gegenwart.

Sages leises Räuspern bringt mich wieder ins Hier und Jetzt. Sie sieht mich mit einer Mischung aus Verwirrung und Herablassung an, hebt ihre dunklen Brauen an. Ich sollte meinen Frust bezüglich meines großen Bruders vielleicht nicht unbedingt in ihrer Nähe auslassen. Oder auch nur darüber nachdenken.

„Noch nicht so lange."

„Gut", sage ich knapp, wobei ich komplett vergessen habe, was ich überhaupt gefragt habe. Wohingegen sie sich dem scheinbar mehr als bewusst ist, da sich ihr Blick keineswegs ändert.

Wie kann ein Mensch nur solche Augen haben? Sie kommen mir schon fast surreal vor, so groß, klar und intensiv. So schön...

Sobald ich realisiere, was ich gerade gedacht habe, durchfährt mich glatt ein Schauer. Habe ich meine Praktikantin gerade ernsthaft schön genannt? Was stimmt nur nicht mit mir?

daddys princessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt