19 - Was, wie, wo?

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19 - Was, wie, wo?

Ich wurde durch ein sanftes Rütteln an meiner Schulter wach. Als ich die Augen aufschlug, sah ich, wie mich Alex entschuldigend anlächelte. Müde erwiderte ich es und drehte mich auf so, dass ich mit dem Kopf auf seinem Schoß zu ihm hochsehen konnte. Mh, dieser Junge ist verdammt bequem. „Gut geschlafen?“, fragte Alex verschmitzt, womit ich das Gefühl hatte, dass er schon eine Weile wach war. „Gut. Sehr gut sogar, wenn man die Tatsache weg lässt, dass wir auf dem Boden liegen.“, lachte ich und rieb mir die Augen. Ich musste grauenvoll aussehen! „Wie viel Uhr haben wir?“, fragte ich nach, da ich zu faul war, um mich umzudrehen. „Gleich fängt die Schule an, also sollten wir unsere Sachen zusammenpacken.“, antwortete er mit bedrückter Stimme, was mich etwas überraschte. Vorsichtig setzte ich mich auf und wie zu erwarten, hatte ich einen steifen Nacken, ganz zu schweigen von den schmerzenden Schulterblättern. Ich ging rüber zu meiner Tasche, packte unsere Notizen ein, währen Alex die Sachen vom Experiment in den Nebenraum zurück brachte. Als er die Tür hinter sich schloss, steckte er die Hände in die Hosentaschen und wippte auf seinen Füßen vor und zurück. Fragend sah ich ihn an, während ich meine Tasche schulterte.
„Hör mal…“, fing er an, aber ich konnte mir schon denken, was er zu sagen hatte, also unterbrach ich ihn. Wahrscheinlich hatte er diese Worte von gestern gar nicht ernst gemeint.
„Du brauchst nichts zu sagen. Mir ist schon klar, dass das gestern nur ein- ein Versehen oder was auch immer war.“, flüsterte ich und bohrte mit meinen Chucks im Boden herum. „Nein, nein, nein! Du verstehst es eben falsch!“, warf er hastig ein. Was meinte er damit? Langsam kam er auf mich zu, den Kopf leicht gesengt. „Ich mag dich. Mehr als ich eigentlich sollte und dieser Kuss gestern… Er hat mir nur bestätigt, dass ich etwas für dich fühle.“, flüsterte er und schockte mich endgültig. „Meinst du das ernst?“, hakte ich ungläubig nach und starrte ihn aus großen Augen an. Nur ein kurz angebundenes Nicken seinerseits. Ich blieb still, denn ich wusste nicht, was es darauf zu sagen gab. Klar, ich mochte Alex mittlerweile, vielleicht hatte ich sogar schon Gefühle für ihn, aber Quinn… „Alex, ich- ich mag dich wirklich-“
Weiter ließ er mich nicht reden, denn er schloss den nur kleinen Abstand zwischen uns und brachte mich zum Schweigen. Ich spürte seine seidigen Lippen auf meinen und sofort war mein Hirn wie benebelt. Kein Quinn, keine Schule, keine Mom die auf Entzug war, nichts. Mein Kopf war vollkommen leer gefegt, bis auf ein paar Dinge wie ‚Mhhhh‘ oder ‚Passiert das gerade wirklich?‘, also wie ihr seht ist mein Gehirn total funktionsfähig. Keuchend ließ ich unsere Zungen verschmelzen und zerstörte seine sorgfältig gestylten Haare mit meinen Händen. Er hatte so wunderschöne dichte und vor allem weiche Haare, durch die ich mit meinen Fingern immer wieder gleiten könnte. Alex drückte mich mit seinen Armen um meine Taille zu sich, sodass sich bereits unsere Knie berührten. Langsam ließ ich meine Hände an seinen Seiten entlang gleiten und zu meiner Überraschung, spannte er sich etwas an. Hatte ich wirklich eine solche Wirkung auf ihn?! Vorsichtig aber bestimmt glitten Alex‘ Hände an meiner Hüfte vorbei zu meinem Hintern, welchen er fest packte und zudrückte. Ich keuchte in seinen Mund, wusste selbst nicht so ganz, ob vor Lust oder vor Angst, denn ich verspürte in diesem Moment beides.
Seine Lippen zogen an meinen, liebkoste sie und küssten mich völlig um den Verstand. „Wir müssen aufhören.“, bemerkte Alex atemlos und löste sich benommen von meinen Lippen. „Wieso?“, fragte ich verwirrt mit brüchiger Stimme. Küsste ich wirklich so schlecht? „Weil jeden Moment die Schule anfängt und außerdem, wenn du mich weiterhin so berührst, dann mache ich heute noch ganz andere Dinge mit dir.“, raunte er verführerisch. Nickend löste ich mich von ihm und richtete meine Haare, die er anscheinend irgendwann durcheinander gebracht haben muss. „Und was heißt das jetzt?“, flüsterte ich unsicher und sah auf den Boden, nicht fähig ihn anzusehen. Ich hörte, wie er tief ein- und ausatmete. „Ich will dich. Als meine Freundin.“, fügte er hinzu und zog mich wieder an sich. Erschrocken sah ich zu ihm hoch und musste dazu den Kopf in den Nacken legen. „Willst du mit mir zusammen sein?“, fragte er sanft und strich eine verirrte Haarsträhne aus meinem Gesicht. Kurze Zeit sagte ich nichts. Sollte ich oder sollte ich nicht? Einerseits war ja da noch Quinn, aber er war ein Arschloch, das ohne Grund sauer auf mich war. Außerdem konnte ich ihn in Alex‘ Gegenwart vergessen. Sollte ich es wagen? Ich hatte Gefühle für diesen Jungen und war es nicht genau das, was zählte? „Ich weiß es nicht.“, flüsterte ich und sah zu Boden. Ich wusste es wirklich nicht und es tat weh, ihn jetzt so geknickt zu sehen. „Gib mir einfach Zeit.“, fügte ich hinzu und widmete mich wieder meiner Tasche, auch wenn ich sie schon fertig gepackt hatte. „Okay.“, hörte ich ihn leise sagen. War er wirklich so enttäuscht, wie er sich anhörte?
Ein Rascheln auf der anderen Seite der Türe machte mich hellhörig und kurze Zeit später wurde die Tür von einem Lehrer aufgestoßen, den ich nur vom Sehen her kannte.
Erschrocken hörte er mit dem Pfeifen auf, während seine Hand auf dem Tür Knauf verharrte. „Was zur Hölle habt ihr hier zu suchen?“, fragte er überrascht und stellte seine Lehrertasche auf dem Pult ab. „Irgendein Trottel hat uns hier vergessen und eingesperrt.“, erwiderte Alex nur kalt und steckte die Hände in die Hosentaschen. Fragend sah Mr. Spencer, wenn mich nicht alles täuschte, an und schien fragen zu wollen, ob es stimmte, was er da sagte. Ich bestätigte es mit einem Nicken und kickte in gleichmäßigen Abständen den eingebauten Reihentisch. „Hm. Okay, dann kommt mal mit.“, sagte er bloß und spazierte aus dem Saal ohne sich umzudrehen, ob wir ihm auch folgten. Wir gingen durch die fast leeren Flure und zu meiner Überraschung blieb Mr. Spencer vor dem Büro des Rektors stehen. „Vielleicht könnt ihr einen freien Tag aus dieser Situation herausholen. Also das ich euch das gesagt habe, bleibt unter uns.“, fügte er hinzu und drehte sich mit einem Lächeln wieder um. Verdutzt sah ich ihm nach, klopfte danach aber an der Tür. Von der anderen Seite ertönte ein kraftvolles ‚Herein‘ und kurz darauf betrat ich mit Alex an meiner Seite sein Büro.

Mr. Spencer hatte Recht, Alex und ich konnten wirklich einen freien Tag, also konnte ich fröhlich nach Hause laufen. Heute wäre zwar Baseballtraining, aber so schlimm würde es schon nicht sein, wenn ich einmal nicht da wäre, schließlich hatte ich sonst so gut wie keine Fehltage. Ich schlenderte die Straßen entlang, vergrub die Hände in meinen Westentaschen und konnte nicht verhindern, mit den Gedanken zu Alex zu schweifen. Klar, irgendwie war es ein schönes Gefühl, wenn man wusste, dass man einem Jungen gefiel, aber ich hatte noch nie einen Freund. Was ist, wenn er mich zu irgendetwas drängen würde? Und vor allem, was war jetzt mit Quinn? Konnte ich ihn wirklich so schnell vergessen? Es wäre Alex gegenüber unfair, wenn ich mit ihm etwas anfangen würde, mit den Gedanken aber an Quinn hängen. Das hätte er nicht verdient.
Aber dieser Kuss… er war so wunderschön, machte mich förmlich süchtig. Ich schüttelte den Kopf über mich selbst, denn früher, sprich bevor ich hier her kam, hatte ich rein gar nichts mit Jungs am Hut und jetzt waren es gleich zwei auf einmal.
Als ich nach langem Hirn zermartern zu Hause ankam, beschloss ich, nach der Schule Cassie anzurufen. Vielleicht würde sie mir ja helfen können.
Erschöpft schloss ich die Tür hinter mir und hing meine Weste an den Haken, als Jenna mit undefinierbarem Gesichtsausdruck vor mir stand. „Jenna?“, fragte ich und wurde kurz darauf in ihre Arme gezogen. Für einen Moment spannte ich mich an und musste den Impuls unterdrücken, sie von mir wegzustoßen, bis ich mich erinnerte, dass es nur Jenna war. „Wo zum Teufel bist du nur die ganze Nacht gewesen?! Wir haben schon sonst was gedacht, was passiert sein könnte!“, stauchte sie mich zusammen und hielt mich auf Armeslänge von sich. „Tut mir leid, aber ich hatte doch mit Alex dieses Projekt und dann haben sie uns Ausversehen eingesperrt. Wir konnten euch nicht schreiben.“, erklärte ich kleinlaut und zog die Schultern leicht nach oben. Genauso wie früher. „Ist schon okay. Müsstest du nicht in der Schule sein?“, gab sie von sich und schaute mich fragend an. „Kleine Entschädigung des Rektors.“, lächelte ich und zog meine Schuhe aus. Ein wissendes Grinsen breitete sich auf Jennas Lippen aus, bevor sie im Wohnzimmer verschwand. Ich dagegen ging Schnurstraks in die Küche und aß alles, was mir zwischen die Finger kam. Okay, kleine Übertreibung, aber ich war erst nach zwei Sandwiches, einem Jogurt und einem Apfel satt. Ja, ich hatte definitiv Hunger.
Mit vollem Bauch ging ich nach oben, hielt aber vor meiner Zimmertür inne, als ich etwas darin hörte. Vorsichtig öffnete ich sie ein Spalt breit und linste hinein. Quinn saß auf dem Rand meiner Hängematte, schupste sich gleichmäßig mit den Füßen ab. Sein Kopf schnellte nach oben und seine blonden Haare sahen so zerzaust aus wie noch nie. „Was machst du hier?“, fragte er mich allen Ernstes und sah kurz darauf wieder stur nach unten. „Das ist mein Zimmer. Findest du nicht, dass ich dich das fragen sollte?“, konterte ich und schloss die Tür hinter mir. Quinn zuckte mit den Schultern und schwang sich weiter in der Hängematte vor und zurück. „Was ist los?“, fragte ich vorsichtig und setzte mich neben ihn. Ich wusste, dass er in der letzten Zeit ein riesen Vollidiot war und ich ihn einfach ignorieren sollte, aber ich konnte es nicht sehen, wenn er so deprimiert und nachdenklich war.
„Wieso? Was sollte denn schon sein?“, schnaubte er und verschränkte die Arme hinterm Kopf. Es sah wirklich heiß aus, weil sich sein Bizeps unter dem dunklen T-Shirt anspannte, aber ich hatte jetzt einfach besseres zu tun, als ihn anzustarren. „Weiß nicht. Du bist irgendwie komisch.“, deutete ich bloß schulterzucken an und sah, so wie er gerade aus, zu meinem Schrank.
„Das bildest du dir nur ein.“, sagte er mit dieser Kälte in der Stimme, die mich zusammen zucken ließ. Ohne weitere Worte verließ er mein Zimmer und ließ mich in der Stille zurück. Wieso war er nicht in der Schule? Was war nur los mit ihm?

My Stepbrother's Best Friend ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt