32 - Mit dir

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32 - Mit dir

„So, da wären wir.“, eröffnete mir Mom und schwang stolz die knarrende Holztür auf. „Es ist gemütlich.“, schoss es aus mir heraus, als ich das einstöckige Häuschen das erste Mal von innen sah.
Coleen seufzte schwer auf und ließ kurz die Schultern hängen. „Ich weiß, es ist winzig, aber im Moment kann ich mir noch nichts Besseres leisten.“, gab sie zu und fuhr sich mit der Hand durch ihre pechschwarzen Haare.

„Mom, ist schon okay.“, lächelte ich sie aufmunternd an und sah mich aufmerksam um. Es wunderte mich, dass sie hier so schön dekoriert und sogar Bilder aufgehängt hatte. In unserer früheren Wohnung mit Garrett war lediglich irgendwelcher Schnickschnack. Meinen Koffer ließ ich an der Haustür stehen und ging zielstrebig auf die Collage zu.

Das erste Mal, als ich ging und mich dabei an einem Spielzeugauto festhielt. Dad, der stolz grinsend neben mir kniete und mir meine Baseballkappe verkehrtherum aufgesetzt hatte. Mom, die mit mir eine Torte für einen Freund der Familie backte. Mom und Dad, die mich beide auf den Schoß in meinem damaligen Lieblingspark.

So viele Bilder, die ich schon so lange nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Ehrlich gesagt dachte ich, Mom hätte sie verbrannt oder weggeschmissen, denn in unserem alten Apartment war nie etwas aufzufinden, egal wie hartnäckig ich gesucht hatte.

„Ich würde dir gerne dein Zimmer zeigen, aber hier gibt es kein Gästezimmer… du kannst gerne in meinem Bett schlafen, dann nehme ich einfach die Couch. Die kann man sowieso ausziehen.“, meinte sie hastig und man merkte ihr an, dass sie nervös war. Eigentlich traurig, wie fremd wir uns geworden waren.

„Ist schon okay, ich nehme die Couch.“, lächelte ich und drehte mich wieder auf die Fotowand zu. Von Dad hatte ich nur ein einziges Bild, aber hier hingen so viele mehr und auf jedem einzelnen lächelte er.

„Hast du vielleicht Hunger? Ich könnte Bananenmuffins machen. Die hattest du doch immer so gerne.“, meinte sie, den Mundwinkel leicht nach oben gezogen. Wenn ich bei ihr geblieben wäre, wüsste sie, dass es jetzt Blaubeermuffins waren, die ich so liebte, aber ich sollte aufhören, darüber nachzudenken. Jetzt war ich hier und wollte es noch einmal neu mit Mom versuchen, auch wenn für mich klar war, dass ich zurück zu meiner neuen Familie gehen würde. Ich war jetzt eine Eliot.

„Okay.“, meinte ich trotzdem, denn ich wollte nicht, dass es für sie unangenehm wurde. „Gut, du kannst derweil deine Sachen ins Wohnzimmer bringen und Fernsehen oder was auch immer.“, stammelte sie und sah alles an, bloß nicht mich. Mom deutete auf eine Schiebetür, bevor sie -wie ich annahm- in der Küche verschwand und leise summte.

*

Schluchzend und weinend fuhr ich in Moms Bett hoch und sah mich hektisch um. Wo war er hin? Vorsichtig und darauf bedacht kein Geräusch von mir zu geben, zog ich meine Knie, um mich irgendwo festhalten zu können und starrte in die Dunkelheit. Er versteckte sich ganz bestimmt im Wandschrank, da war ich mir zu hundert Prozent sicher.

Immer wieder schüttelten mich Schluchzer und sofort hielt ich mir den Mund zu. Garrett durfte mich nicht hören, sonst würde es doppelte Prügel geben. Mein Herz raste um sein Leben und schwindelig war mir auch noch, aber das durfte nicht sein. Wie sollte ich mich gegen ihn wehren können?

Ich tippte eine vertraute Nummer in mein Handy und drückte meine Lippen fest aufeinander, um das Beben zu stoppen.

„Quinn? Ich- er ist in meinem Zimmer. Er wird mich wieder schlagen- ich brauche dich.“, redete ich wirr. Ich konnte keinen vernünftigen Satz in meinem Gehirn zusammensetzen, aber sobald ich seine Stimme hörte, beruhigte ich mich ein klein wenig, aber eben nur ein wenig. „Hey, Joyce, atme tief durch, Süße. Ich bin bei dir.“, flüsterte er, aber genau das war mein Problem. Er war nicht bei mir, er war eineinhalb Stunden entfernt von mir.

My Stepbrother's Best Friend ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt