29 - Du und ich

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29 - Du und ich

Ich nestelte an meinen eingerissenen Nägeln herum, während ich auf eine Antwort wartete. Vergebens. Wollte mich der werte Herr jetzt auch noch ignorieren? Nicht mit mir. Der plötzliche Kampfgeist und Entschlossenheit, es ihm zu sagen, wunderte mich selbst. Leise öffnete ich die Tür und betrat mit dem Kopf zuerst den Raum, doch ich war von vollkommener Dunkelheit umhüllt. Genauso wie damals. „Quinn?“, fragte ich in die Stille hinein und schloss die Tür, sodass auch der letzte Lichtkegel komplett verschwunden war.

Keine Antwort, bis ich ein leises Murmeln hörte. Quinn schlief und ich Idiotin unterstellte ihm wieder das Schlimmste.
Ich bewegte mich vorsichtig über den Fußboden -ich wusste ja nicht, ob es wieder so unordentlich war wie letztes Mal- auf Quinns Bett zu. Fragt mich nicht, wie ich darauf kam… Vielleicht war in meinem Kopf eine kleine Joyce, die mich steuerte oder hypnotisiert hatte. Ich wusste es nicht, aber ich wusste, dass ich diesem Drang nicht widerstehen konnte, mich zu ihm zu legen. Mich einfach an ihn zu kuscheln und in seinen Armen sicher zu fühlen. In diesem Moment kam es mir wie die beste Entscheidung vor, die ich jemals getroffen hatte.

Denn ich liebte Quinn Caldren. Ja, ich liebte ihn und es war erschreckend für mich, dies zu erkennen. Für mich war es ein gewaltiger Unterschied, ob man jetzt für jemanden schwärmte oder ob man ihn liebte. Es schien so ernst und furchteinflößend, dass ich am liebsten wieder einen Rückzieher gemacht hätte, aber ich hatte es Cole versprochen. Okay, es war nicht der einzige Grund. Ich wusste, dass ich nicht länger aushalten könnte.

Langsam kniete ich mich auf sein Bett, legte mich unter die Decke vor ihn und als ich nach vorne griff, um ihm durch die Haare zu streichen, merkte ich, dass ich mich direkt vor seinem Gesicht befand. Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner rechten Wange, als er wieder unverständliche Dinge vor sich hin nuschelte. Das Herzklopfen verschwand nicht, denn seine Nähe hatte ich schon so lange nicht mehr gespürt, jedenfalls nicht auf diese Weise und mit diesem Klopfen schlief ich ein.

„Was machst du denn hier?“, fragte mich eine verschlafene Stimme, holte mich somit aus meiner Traumwelt, und etwas zog mich nach vorne. Ich hatte wegen der heruntergelassenen Rollos keine Ahnung, welche Tages- oder Nachtzeit wir hatten, aber die Tatsache, dass Quinn mich näher an seine Brust schmiegte, ließ es auch für unwichtig erscheinen. „Ich wollte mit dir reden.“, flüsterte ich. Es kam mir komisch vor, die einschläfernde Stille mit meiner Stimme so aggressiv zu durchbrechen.

Eine Weile sagte er nichts, bevor er sich unter der Bettdecke etwas bewegte und ich wieder seinen warmen Atem an meinem Hals spüren konnte. „Hör mal, es tut mir leid, wie kindisch ich im Krankenhaus war, aber… möge es an der Gehirnerschütterung liegen oder nicht, aber irgendwie will ich nicht kapieren, dass du- dass du stark bist. Bei jeder Berührung, bei jedem Satz, den ich zu dir sage, habe ich Angst, dass es dich verletzten könnte. Ich habe einfach immer dieses Mädchen vor Augen, das du vor Monaten warst. Das abgemagerte kleine Mädchen, das immerzu mit hochgezogenen Schultern geht und jederzeit für die Flucht bereit zu sein schien. Und ich will dich nicht in die Flucht schlagen.“, flüsterte er traurig und ich konnte mir bildlich vorstellen, wie er jetzt die blattgrünen Augen schloss.

Als würde mir meine Hand nicht mehr gehören, schnellte sie nach vorne und strich wie vorhin vorsichtig durch Quinns seidige Haare, zuckte aber sofort wieder zurück, als er scharf die Luft einzog. „Tut mir leid.“, entschuldigte ich mich schnell und kaute auf meiner Unterlippe. Die Wunde an seiner Stirn hatte ich komplett vergessen. „Ist schon in Ordnung.“, versuchte er mich von meinem schlechten Gewissen zu befreien und führte meine Hand langsam an seine Wange. Sie glühte etwas fiebrig von den Medikamenten und ein paar kleine Kratzer hoben sich wulstig von seiner glatten Haut ab.

Als hätten sich mein Herzschlag und meine Atmung abgesprochen, beschleunigte sich beides auf Kommando und ersetzte die Stille. Ich könnte schwören, dass sich in diesem Moment ein Lächeln auf seinen wundervollen Lippen ausbreitete. „Ehrlich gesagt verstehe ich immer noch nicht so ganz, was jetzt zwischen uns ist.“, gestand ich leise und er rückte so nah an mich heran, dass ich seine warmen Beine an meinen spürte. Wieder bewegte sich Quinn, bloß dieses Mal erhellte die kleine Nachttischlampe neben ihm mit warmen Licht den Raum, erreichte die Ecken des Zimmers aber nicht. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie nah er mir tatsächlich war.

My Stepbrother's Best Friend ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt