25 - Quinn's Freundin
„Miss? Miss, ich muss Sie bitten, sich wieder hinzulegen.“, grummelte eine stämmige Frau und drückte mich wieder zurück auf das harte Krankenbett. Ich musste zu Quinn. Ich musste wissen, ob es ihm gut ging.
Das waren die einzigen Gedanken, die ich fassen konnte. Quinn, Quinn, Quinn. Meine Kehle kratzte unangenehm und mein Atem ging nur röchelnd, während ich versuchte mich gegen die Krankenschwester zu wehren. „Lassen Sie mich… hier weg…“, kam es gurgelnd aus meinem Mund. Mein Knie schmerzte immens und es fühlte sich so an, als würde ein Betonklotz auf meiner Brust liegen. „Das verstößt gegen meine Anweisungen, Miss.“, erklärte sie simpel und pustete sich den Pony der Kurzhaarfrisur aus dem Gesicht. Die Lippen von dunkelhäutigen Menschen hatten mich schon immer fasziniert. Sie waren so beneidenswert voluminös…
Wieder wurde ich sanft aber dennoch bestimmt zurückgedrückt. Vor Erschöpfung blieb ich schwer atmend liegen. Mein ganzer Körper schmerzte und verlangte nach nicht mehr als Schlaf - am besten für ein paar Tage, aber das konnte ich ihm noch nicht gönnen.
Ich wartete, bis die Krankenschwester durch die Tür verschwand, bevor ich mich von den Schläuchen befreite. Wie ich Krankenhäuser doch hasste. Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als meine nackten Füße auf den kalten PFC-Boden trafen. Das Knie, das so wehtat, war mit blau-lila Flecken übersäht -so wie meine rechte Schulter- und schwarze Fäden bildeten Zickzack Muster.
Ich versuchte einigermaßen zu Atem zu kommen, bevor ich auf den Flur taumelte. „Joyce!“, hörte ich Cole rufen. Er stand mir direkt gegenüber, war überrascht von seinem Stuhl im Gang aufgesprungen und löste den Blick nicht von mir. Neben ihm saßen Jenna, Mark, Jason, Alex und Coleen.
Ohne weiter zu warten rannte ich den Flur entlang, doch etwas hatte ich nicht bedacht. Ich wusste nicht, in welchem Zimmer Quinn war. Oder vielleicht war er sogar ohne Verletzungen davon gekommen, aber so richtig glauben konnte ich das nicht. Schließlich hatte er mir den Sturzhelm überlassen… Gott, das war alles meine Schuld!
Ich strauchelte weiter durch die unglaublich weißen Gänge, während mir der kalte Schweiß ausbrach. Es war so anstrengend auf den Beinen zu stehen und das zum Schreien schmerzende Knie machte es noch schwieriger. Ich kam mir vor, als würde ich bloß halluzinieren oder in einem Traum stecken.
Aber ich musste ihn finden.
Ich musste mich vergewissern, dass es ihm -den Umständen entsprechend- gut ging. Den Schildern nach zu urteilen befand ich mich jetzt bei der Rezeption und eine Brünette mit Locken tippte gelangweilt etwas in den Computer ein. „Quinn Caldren.“, keuchte ich und hielt mir die stechende Seite. Die Brünette musterte mich misstrauisch und tippte schließlich weiter auf der Tastatur herum. „Gehören Sie zur Familie?“, fragte sie, als wäre es komplett normal, dass ein nach Luft röchelndes, im Krankenhaushemd steckendes Mädchen am Tresen hing und sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. „So ungefähr.“, presste ich zwischen zusammengepressten Zähnen heraus. Diese Schmerzen...
„Wenn Sie nicht zu seiner Familie gehören, dann darf ich Ihnen keine Auskunft über seinen Zustand geben.“, leierte sie runter, als würde sie es ablesen. „Ich bin… seine Freundin.“
Ich wurde von einem Husten unterbrochen, hoffte aber, dass ich glaubwürdig rüber kommen würde.
Wieder musterte sie mich mit zusammengezogenen Augenbrauen, seufzte dann aber nachgiebig. „Intensivstation. Zimmer 403.“„Danke.“, seufzte ich zurück und folgte den Schildern zur Intensivstation. Die meisten Ärzte und Krankenschwestern waren so abgehetzt, dass sie nicht einmal merkten, wie ich (wahrscheinlich unerwünscht) auf dem Flur herumstolperte. Als ich endlich Quinns Zimmer gefunden hatte, schlich ich leise durch die Tür und schloss sie.
Unfähig, weiter zu gehen, lehnte ich mich an die weiße Tür und gönnte meinen Lungen etwas Luft.
Wie ein schlafender Engel lag er in seinem Bett, aber die Schürfwunden oberhalb seiner Schläfe und die vielen Schläuche, die in Arm, Bauch und Nase steckten, zerstörten die beruhigende Illusion.
Langsam -wegen meines Knies- trat ich auf sein Bett zu und zog den Stuhl heran, um mich erschöpft darauf sinken zu lassen.
Er schlief. Das wusste ich, weil er ab und zu leise etwas vor sich hinmurmelte, was ich aber nicht genauer verstehen konnte. Der Betonklotz war weg und stattdessen machte sich pure Erleichterung in meiner Brust breit.Ich nahm seine Hand, streichelte seine Fingerknöchel und spürte die Tränen in meinen Augen. Er schlief tief und fest, beschützt und sorglos von seinen Träumen. „Quinn.“, flüsterte ich, mehr zu mir selbst als zu jemand bestimmtes und konnte das Lächeln auf meinem Gesicht nicht verhindern. Er schlief.
„Wer sind Sie denn?“, fragte eine männliche Stimme hinter mir. Ich drehte meinen Kopf zu ihm, der Rest hätte zu viel Anstrengung gekostet. Ein in die Jahre gekommener Arzt stand mit einem Klemmbrett in der Hand im Türrahmen. Die Klinke noch in der Anderen. „Joyce.“, sagte ich aus Reflex und drehte mich wieder zu Quinn. Seine Augenbrauen waren leicht zusammengezogen, die Haare klebten ihm verschwitzt an der Stirn. Vorsichtig strich ich sie ihm aus dem Gesicht und wieder zuckte sein Kopf unruhig auf dem Kissen hin und her. „Eine Freundin?“, fragte er und ich nickte nur benommen. Er schlief.
„Wie geht es ihm?“, fragte ich leise, zu schwach die Stimme erheben zu können. „Er hat bereits die Operation hinter sich, die Kopfwunde wollte nicht aufhören zu bluten. Aber sonst nur ein paar Prellungen, nichts beunruhigendes. Er hatte ziemlich viel Glück, wenn man bedenkt, dass er ohne Helm unterwegs war.“ Das kommt daher, dass er ihn mir gegeben hatte. „Und wie lange sind wir schon hier?“, fragte ich wieder, diesmal zitterte meine Stimme verdächtig.
„Wurden Sie beide zusammen eingeliefert?“, stellte er als Gegenfrage. Ich nickte nur. „Um 20:13 Uhr, das war vor etwa vier Stunden.“, sagte er mit sanfter Stimme und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Ich glaube, Sie sollten zurück auf Ihr Zimmer, Miss. Es ist spät und Sie können alle beide den Schlaf gut gebrauchen. Sie können Ihn morgen wieder besuchen kommen, in Ordnung?“, meinte der Arzt mit einschläfernder Stimme und ich nickte nur wieder.
Vermutlich hatte er Recht. Ich sollte Quinn seine Ruhe gönnen, damit er wieder schnell gesund wurde. „Gute Nacht.“, flüsterte ich und machte mich im Halbschlaf auf den Weg zu meinem Zimmer. Meine Familie sah mir stumm hinterher.
„Joyce, Schätzchen.“, flüsterte mir eine bekannte und doch fremde Stimme. Meine Augen waren so unendlich schwer und ich wollte mich eigentlich bloß umdrehen und weiter schlafen, aber die Neugier war eben größer.
„Mom?“, fragte ich ungläubig und noch immer mit kränklicher Stimme. Vorsichtig hievte ich mich aus den Kissen und betrachtete ihr Gesicht. Ihre blauen Augen hatten kaum noch die tiefen Schatten darunter und ihre langen pechschwarzen Haare glänzten seidiger als früher. „Wieso bist du hier? Bist du nicht in einer Klinik?“, fragte ich verdattert und strich die schweißnassen Haare zurück. Wahrscheinlich war ich noch zu sehr im Dämmerzustand um zu kapieren, dass ich ja eigentlich nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. „Süße, es tut mir alles so, so, so unendlich leid. Ich werde es mir nie verzeihen, dass ich so abscheulich zu dir war. Das ich als Mutter versagt habe.“, sagte sie mit erschreckend viel Ehrlichkeit in ihrer bebenden Stimme.
Eine Stimme, die ich merkwürdigerweise vermisst hatte. „Coleen… Meinetwegen reden wir wann anders, aber ich bin momentan wirklich müde und ich glaube nicht, dass es so klug wäre, mich die nächsten Tage zu kontaktieren.“, erklärte ich zögerlich. Demonstrierend legte ich mich auf die Seite, das Gesicht zu ihr gewandt, damit sie sah, dass ich auch wirklich die Augen schloss. „Okay. Schlaf gut… mein Schatz.“
Die letzten beiden Wörter hing sie leise hinzu und küsste mich auf den Kopf. Das war mir zu viel. Jahrelang wurde mir die Liebe einer Mutter, die sie normalerweise für sein Kind übrig hatte, vorenthalten und nach all der Zeit, in der ich endlich einigermaßen damit klar kommen konnte, klinkte sie sich wieder in mein Leben ein. Der Zwiespalt in mir wurde immer größer: Einerseits wollte ich, dass sie durch diese Tür verschwand und nicht mein jetziges Leben durcheinander brachte. Andererseits wollte ich sie neben mich ins Bett ziehen und mich an sie kuscheln, wie ich es als Kind immer getan hatte.
Leise fiel die Tür ins Schloss und meine Gedanken spielten verrückt. Quinn, Mom, Alex… Alex?!
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My Stepbrother's Best Friend ✔
Teen FictionAchtung! Enthält teilweise gewalttätige und sexuelle Szenen. Nachdem Joyce vom Jugendamt aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen wurde, zieht sie zu einer vierköpfigen Familie plus dem besten Freund ihres Adoptivbruders. Joyce ist sofort klar, dass si...