HABAYTIK

03 | Für dich.

ADNAN YASIN

Kalter Schweiß und warme Regentropfen perlten in meinen Gesichtspartien auf. Das Wasser, welches meine Stirn hinabrann, erfrischte mich im seichten Lauf, den ich, wie immer morgens, abhielt. Schnellen Schrittes bewegte ich mich vorwärts, richtete meinen Blick ab und zu nach hinten ab, um sichergehen zu können, dass mir niemand folgte. Ich nahm an Geschwindigkeit zu, bis ich am anderen Ende des Wanderpfades die zierliche Waldlichtung erreichte, von welcher man die Zivilisation wieder wahrnehmen konnte.

Die Erschöpfung zerrte an meiner Ausdauer; dementsprechend laut atmete ich vor mich hin, ehe ich mich auf dem vordersten Drittel der moosbewachsenen Holzbank niederließ. Die gute alte Bank. Sie befand sich schon ewig an genau dieser Stelle. Ich hatte sie gesucht, als sei sie verschollen. Das letzte Stück einer fast makellosen Erinnerung. Aber auch nur fast.

Mit den Fingerkuppen fuhr ich vorsichtig in die kantigen und moosgrünen Zwischenräume einer Chiffre, unter welcher sich in Ergänzung die Anfangsbuchstaben zweier Vornamen befanden.
A+N. Betäubende Gänsehaut durchbohrte die Fingerkuppen und veranlasste mich dazu, meine Hand voller Zürückgezogenheit an meinen Körper zu ziehen. Wenn es mir aber jetzt noch gelänge, das Datum vom braungrünen Schmutz zu befreien, wüsste ich zumindest, an welchem Datum der ganze Schmerz einen Anfang genommen hat.

Meine Gedanken hatten über lange Zeit nur bei ihr gelegen, und jetzt, wo mein Kopf frei war, schien es so, als würden sich meine Liebesqualen wiederholen. Oder zumindest die Erinnerungen an all die Qualen, die mir die Liebe in den Jahren beigebracht hat. Die Erinnerungen an die Jahre, die mir gezeigt haben, dass die Liebe mit dem Verrat beginnt. Und dass sie meistens mit dem Verrat endet. Dass sie ein einziger Verrat ist.

Ich tat dir ziemlich viel Unrecht, ich weiß. Du warst etwas Besonderes für mich, aber nur bis an den Tag, an dem ich mich veränderte. Und ich weiß, irgendwann dachte ich nur noch an mich, nicht an dich. Wenn man hat, wovon man immer geträumt hat, hört man auf, dafür zu kämpfen. Besondere Personen entwickeln sich zu Selbstverständlichkeiten, wir lassen sie im Regen stehen. Wir stecken sie in einen Käfig und schmeißen die Schlüssel weg, nur um sie anschließend wieder zu verlassen. Um sie zu verlassen, und danach nie wieder auch nur ein Sterbenswörtchen mit ihnen zu wechseln.

Unsere Liebe hielt nur einige, wenige Monate. Wenn ich aber nun daran denke, dass seitdem ganze vier Jahre vergangen sind, traue ich meinen Augen kaum. Ich möchte mich umdrehen, einen Schritt zurück in die Vergangenheit tun und es besser machen. Glaub mir, wenn ich nur einen Wunsch frei hätte, würde ich ihn für dich nutzen. Ganz ohne Haken, ohne Eingeständnisse. Denn...

... denn ich liebte dich.

• • •

»Du warst merkwürdig drauf gestern.«
Voller Verlegenheit beobachtete ich, wie sich Hilal eine ganze Hand voll Weintrauben in den Mund stopfte. Sanft schubste ich meinen Teller nach vorn, um meinen mittlerweile vergangenen Appetit zu bekunden. Merwans Blick tastete den Teller an, ehe er wieder in meine Richtung sah. »Was meint sie?«, erkundigte er sich bei mir. Er war auf der Arbeit gewesen, weswegen er nicht wissen konnte, dass wir Nisan in Huzurs Privatklinik gebracht hatten.

Ich richtete mich auf, bevor ich den taupefarbenen Mantel über mein Hemd strich. »Wir haben die Fremde zu einem Bekannten in die Klinik gebracht. Du hattest wohl recht, Merwan. Es ist besser für sie, in professionellen Händen zu sein.« Merwan nickte anerkennend, zuckte dann aber mit den Augenbrauen. Und auch Hilal war nicht zufrieden mit meinen Worten. »Im Ernst, Adnan. Es sah so aus, als würdest du sie kennen«, flüsterte sie. Vor Anspannung biss ich zu in die Innenseite meiner Wange, bis ich einen metallischen Blutgeschmack vernahm. »Ich kenne sie nicht. Ich war nur fassungslos, weil, ähm...«