12 | Auffällige Nettigkeit.

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GÖNÜL

Es hat mir das Herz gebrochen, dich so sehen zu müssen. Allein, verzweifelt, mittellos. Du hast versucht, dir nichts anmerken zu lassen, merkst aber erst jetzt, dass du dich vor einem Tief des Lebens befindest. Das ist natürlich, aber wenn man es so gar nicht verdient hat, hinterlässt das Spuren, Narben. Du fragst dich Tag für Tag, ob dein Dasein hinfällig und überflüssig ist, machst dir selbst grundlos Vorwürfe.

Aber glaub mir Nisan, du wirst dich im Kreis drehen, wenn du die Hoffnung im Leben nicht schleunigst wiederherstellst. Klingt hart, aber ist so. So ist das Leben, hart und ungerecht. Und egal welche Wege uns das Leben aufzeigt: wir müssen in Kauf nehmen, uns zu verlaufen. Wir werden uns verlaufen, um gleich darauf den richtigen Weg aufzunehmen.

Ich bin bei dir, in gewisser Hinsicht einer deiner Schutzengel. Mit allen Mitteln werde ich dich beschützen. Gebiete dir Schutz, Unterschlupf und den Übergang in ein besseres Leben. Das tut man für Menschen in Not, und vor allem für seine besten Freundin, die sich in Not befindet.

• • •

Am Abend klingelte es an der Tür. Wir hatten zuvor ausgemacht, dass Nisan auf dem Zimmer bleiben sollte, bis ich zurückkehrte. Salman und Nisans Vater konnten zu jeder Zeit bei uns zu Hause aufkreuzen, weshalb das eine unserer gemeinsam getroffenen Sicherheitsmaßnahmen darstellte. Das Handy samt Nummer hatte Nisan gewechselt, sodass sie nun zu anderen Leuten aus der Universität den Kontakt aufgenommen hatte, um deren kritischen Nachfragen zu beruhigen.

Ich öffnete die Haustür und fand nicht wie erwartet Salman, sondern eine fremde Frau mit rotbraunem Haar vor. Knappe Kleidung trotz Frühlingswetter, auffällig viel geschminkt, fast schon den Eindruck einer Schlampe erweckend. Sie reichte mir ihre Hand und sprach: »Hey, mein Name ist Sa... äh, Albina. Ich habe von Nisans Schicksal gehört und man sagte mir, Gönül wisse mehr.« Mein Blick voller Misstrauen ging zu ihr. »Ich bin Gönül«, bestätigte ich, »aber ich weiß nichts. Ich habe nichts mehr von Nisan gehört.«

Mutwillig wich ich zurück und drückte die Tür zu. Doch mit ihren teuren Stiefeln leistete sie Widerstand. Die Tür schnellte auf und ich fand erneut die ungewünschte Person vor. »Du weiß nichts von mir, aber sie ist eine Freundin, ich mach mir Sorgen. Also wenn du mehr weißt, würde ich dir gern meine Nummer geben.«

Ihre Präsenz war mir auf Anhieb nicht geheuer. Der arrogante Blick und die künstlich hoch gefahrene Stimme verbesserten ihren ersten Eindruck nicht wirklich. Und mit so einer sollte Nisan befreundet sein? Bei allem Respekt; Nisan wusste genau, mit wem oder was sie sich abgab. Und mit so einer definitiv nicht.

»Von mir aus.« Ich musterte Albina, übergab ihr dann wohl oder übel mein Handy. Da Nisan hier war, es aber so aussah, als sei das nicht der Fall, konnte mir ihre Nummer sowieso nicht helfen. Und von meiner Hilfe konnte Albina, falls sie überhaupt so hieß, erst recht nicht profitieren. Vielleicht war sie ja eine Journalistin, oder so was?

Da ich nicht von gestern war, fiel mir gleich auf, dass sie mein Handy mal mit einer, dann mit beiden Händen festhielt, als fixierte sie irgendwas an der Rückseite. Sie tippte ihre Nummer ins Handy und gab es mir wieder. »Tut mir leid. Bei meinen Fingernägeln fällt mir das Tippen schwer. Danke und Ciao, Gönül.«

Sie ging von selbst, ich knallte die Tür zu und schnellte direkt die Treppe nach oben. Nisan forderte ich dazu auf, keinen Mucks zu sagen, denn auf der Rückseite meines Handys befand sich ein unauffälliges, dünnes Plättchen, eine Art Wanze. Ich griff nach einer Pinzette, die auf dem Schreibtisch herum lag und löste behutsam die Platte vom Handy. Ich zerknickte es und spülte es am Ende die Toilette runter.

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