17 | Onurs Chance.

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ONUR KARAYİĞİT
Gönüls Bruder

Welliges Haar, das weit über ihren Rücken fiel. Hellbraune Haut, als hätte sie die Sonne geküsst. Dezente Schminke; na ja, da ich keine Ahnung von Schminke hatte, konnte ich nicht genau bestimmen, ob sie geschminkt war, oder ob Gott sie einfach nur mit einer lupenreinen, sauberen Haut gesegnet hatte. Alles, was feststand, war, dass Nisan eine wunderschöne, junge Frau im besten Alter war. Drei Jahre jünger als ich, eine Türkin aus konservativem Elternhaus. Stünde da nicht die Tatsache im Raum, dass Nisan erst vor Kurzem verheiratet worden war, hätte ich vor ihrem Vater persönlich um ihre Hand angehalten. Alleine, nur Gott, der mich auf auf meinem Wege schützt. Aber da Nisan sich vor ihrer Familie und vor Salman versteckt halten musste, blieb mir keine andere Wahl, als mich dem Sonnenschein heimlich anzunähern.

Zugegeben: Die Autofahrt am gestrigen Morgen war ein absoluter Reinfall gewesen. Ich hatte es verkackt. Nisan war keine, die auf türkische Musik stand. Sie war westlich orientiert und strebte nach Freiheit, sakulären Werten, die mir in der Erziehung nahezu gänzlich ferngeblieben waren. Nun lag es an mir, meine Taten wieder gutzumachen und Nisan in meine Richtung zu lenken. Erschwert wurde dies nur durch Gönül.
Gönül ließ Nisan keine Minute aus den Augen, obwohl sie wusste, was ihr blühte, wenn sie mir die Tour vermasselte.

»Du bist mein Bruder.« Sanfte Schritte ertönten auf dem Holzboden. Ich schreckte auf, da ich nicht damit gerechnet hätte, von meiner Schwester angesprochen zu werden. »Brüder erpressen ihre Schwestern nicht und machen sich auch nicht an ihre besten Freundinnen ran.« Ich intervenierte, um die Sache klarzustellen. »Du denkst echt, dass ich dich erpresse? Keine Sorge. Unser kleines Geheimnis bleibt unter uns. Ich will nur, dass du Nisan einen Anschubser in meine Richtung gibst.«

Gönül dachte nach. Dabei kaute sie gewohnheitsmäßig auf den Rändern ihrer Fingernägel herum. Ich gab ihr die Zeit zum Nachdenken und beobachtete durch die Stäbe der Treppe Nisan, die gerade abgelenkt war, weil sie sich mit unserer Mutter unterhielt. Auch Gönüls Blick ging in Nisans Richtung. Zur Abwechslung musterte sie dann mich. Sie wirkte nun wieder entschlossener und aufnahmefähiger.

»Egal, was ich auch tue«, meinte sie. »Nisan lässt sich in manchen Sachen nicht beeinflussen. Auch nicht von mir. Als ob sie auf mich hören würde, wenn ich sage: ›Mein Bruder will etwas von dir.‹ Sie würde anfangen zu lachen. Laut zu lachen und mir dann sagen: ›Dein Bruder ist wie ein Bruder für mich.‹ Denk doch mal nach.«

»Du sollst ja auch nicht sagen, dass ich etwas von ihr will. Lenke sie einfach unterbewusst.«

Gönül zog die rechte Augenbraue verstimmt in die Höhe. »Ich bin da nicht gut drin, Onur. Du stellst du dir das zu einfach vor.«

»Lass dir was einfallen. Vielleicht kommt spontan ein Fremder ins Café gelaufen und rennt gegen Nisan. Ihr ganzes Shirt ist voll Kaffee. Vielleicht kann ich euch ja aushelfen. Euch abholen, oder so.«

Sie seufzte. »Als ob da einfach ein Fremder kommt und ... warte.« Gönül nahm Abstand und musterte mich, als erkannte sie erst jetzt, worauf ich anspielen wollte. »Wie du willst. Schön, ich spiele mit. Und dann? Denkst du, sie wird dich auf einmal vergöttern, nur weil du sie abholst?«

Ich überlegte. Würde sie das? Wahrscheinlich nicht. Es würde seine Zeit dauern, bis Nisan mir mit gutem Gewissen gegenübertreten konnte. Aber fürs Erste war genau das mein Plan. »Nein, aber sie weiß dann wenigstens, wie hilfsbereit ich bin. Vielleicht kann sie sich bei mir mit einem Kaffee revanchieren, oder so.«

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