05 | Erwachen.

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NISAN

Ich musste lange geschlafen haben. Der Grund, auf dem ich lag, stellte sich als außerordentlich unbequem heraus. Die fade Umgebung raubte mir jegliche Sinne, was insbesondere durch die abgedunkelten Winkel des Zimmers verursacht wurde, in welchem ich keinerlei zweite Seele vernehmen konnte. Schmerz, der tief in meinem Muskeln lag, beschwerte all meine körperlichen Bewegungen und durchkreuzte jeden noch so vorsichtigen Versuch, mich aus der Liegeposition aufzuraffen.

Dann: Schritte. Wenige Sekunden später füllten Schritte die Geräuschkulisse im Zimmer und brachten mich dazu, voller Furcht die Augen zuzureißen. So zu tun, als schlafe ich noch immer in aller Ruhe. Die Ruhe selbst war ich, doch es half alles nichts. Die kräftige Person störte sich nicht an meinen fest zugekniffenen Augen. Sie zog mich in eine sitzende Position und wartete, bis ich ein Lebenszeichen von mir gab. War das Salman? Hielt er mich hier gefangen, hatte er mich verschleppt? Obwohl ich mich nicht an das Geschehene erinnern wollte, tat ich es. Und es waren wirklich keine schönen Erinnerungen, wie ich fand.

»Keine Angst«, flüsterte der ruhige Stimmklang, welchen ich zweifelsohne einem älteren Herren zuordnete. »Niemand wird dich hier finden. Du wurdest gerettet und zu mir gebracht.« Das alles hier hörte sich an wie ein furchtbarer Film. Wie ein schlechter Film, in der eine Unschuldige von unbekannten, aber gütigen Leuten entführt wird. Sie peppeln sie auf und schenken ihr ein neues Lebensgefühl. Ehrlich gesagt erpichte mich diese Vorstellung ganz und gar nicht, nicht mal im Geringsten.

Langsam öffneten sich meine Augenlider wieder und ich bemerkte, dass ich mit der Schätzung seines Alters nicht daneben gelegen hatte. Der Arzt, welcher mich gespannt und neugierig ansah, war mindestens sechzig Jahre alt. Im Allgemeinen weckte er einen interessierten Eindruck an mir und meinem gesundheitlichen Zustand. »Du hast zwei Tage geschlafen. Bist du ausgeruht?« »Nein. Alles tut weh.« Der Doktor nickte vor sich hin und erhob sich vom Hocker. »Ich will keine unnötigen Tests mit dir machen. Ich gebe dir nun Schmerzmittel. Deine Schulter musste ich nähen, ansonsten hast du keine weiteren Verletzungen.« Er verharrte noch eine Weile vor mir, musterte mich und sagte gar nichts. »Alhamdulillah*, du lebst, Mädchen.«

Während sich der alte Doktor dem massiven Schreibtisch näherte, versuchte ich, das Umfeld genauer unter die Lupe zu nehmen. Wenn ich mir das Mobiliar genauer ansah, vermutete ich, dass es aus einer anderen Zeitepoche stammen musste. Das Polster der Liege, auf der ich mich befand, war an den Seiten bereits geklebt worden und hatte wahrscheinlich einen großen Teil zu meinen Verspannungen beigetragen. Mein Blick wanderte zu einem Stuhl am Fenster, woraufhin mir der Atem stockte. Ein weißes, blutiges Etwas. Blutige Stofffetzen, zerknittert, zerrissen und unordentlich. War das etwa...

»Trink das«, unterbrach der Doc das Meer aus Gedanken, als ich ihn mit einem riesigen Glas Wasser direkt vor meiner Nase wiederfand. »Nimm die Tablette und lass einen großen Schluck Wasser folgen.« Ich tat, was er von mir verlangte, doch jeder einzelne Schluck tat einfach nur weh. Als das Wasser leer war, nahm er mir das Glas weg und setzte sich zu mir. Er verlor kein Wort. »Nisan«, flüsterte er. Es schauderte mir. »Die Person, die dich hierher gebracht hat, legt einen großen Wert darauf, dass du wieder auf die Beine kommst.«

Viel mehr, als mit meinen Schultern zu zucken, auch wenn es wehtat, konnte ich bei Worten wie diesen sowieso nicht tun. Mir blieb nur die lose Erinnerung an die Hochzeit und an Salman, der mein Leben zerstören wollte. »Wer... wer hat mich zu Ihnen gebracht?«, krächzte meine müde Stimme. »Haben Sie mich gefunden?« Die Wangen des Doktors liefen rot an, ehe er leise zu lachen begann. »Er will es nicht zugeben, aber er sorgt sich sehr um dich.« Ich seufzte. »Aber wer denn? Salman? Das kann er sich nach der Aktion sparen.«

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