38 | Lass sie reden.

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AZAD KAYA

07:32

Es war mal wieder viel zu spät. Die Augenlider waren so schwer, dass ich sie nicht auf Anhieb aufriss, obwohl mich bereits die ersten Sonnenstrahlen kitzelten. Blind griff nach meinem Handy, schaltete den Wecker aus und streckte mich.

Ich wälzte mich und streckte den Arm aus, um die Schönheit neben mir, die in der Nacht ihren Weg zu mir gesucht hatte, greifbar zu haben. Um den Duft ihrer geschmeidigen Locken aufzunehmen und mich davon zu überzeugen, dass die Liebe, mit der sie mein Leben erfüllte, real und kein bloßer Traum war. Doch ich griff ins Leere. Alles, was ich spürte, war das kühle Baumwolltuch neben mir. Das Laken war glatt und ordentlich über die Kante der Matratze gespannt; auch das Kopfkissen war unberührt.

Den Arm ließ ich ausgestreckt, als könnte ich ihre Abwesenheit durch das schiere Festhalten an vergangenen Momenten rückgängig machen. Doch das Bett war eiskalt, als hätte sie nie neben mir gelegen. Ich zog die Hand zurück und setzte mich langsam auf. Der Schlaf glitt nach und nach aus all meinen Gliedern, während sich ein unangenehmes Ziehen in meiner Brustgegend ausbreitete.

Hilal war fort.

Die Ruhe im Zimmer, die mich in den früheren Morgenstunden sonst oft beruhigt hatte, fühlte sich auf einmal ganz beklemmend an. Ich musste daran denken, wie schön der Abend gewesen war, den wir zwei verbracht hatten. Daran, dass ich sie das erste Mal mit nach Hause genommen hatte. An ihr leises Lächeln, welches ihre Augen zum Strahlen brachte, sobald wir uns in regem Austausch befanden.

Ich ließ einen flüchtigen Blick durch den Raum schweifen, um nach einem Anhaltspunkt zu suchen. Irgendwas, das mir erklären könnte, weshalb sie so früh abgehauen war, anstatt mit mir gemeinsam zur Schule zu gehen. Ihre Bluse, die sie in der Nacht achtlos auf meinen Schreibtischstuhl geschmissen hatte, fehlte. Auch ihr Handy, welches sie zum Aufladen auf meine Kommode gelegt hatte, war nicht mehr da. Nichts deutete darauf hin, dass sie überhaupt noch hier war.

Ich warf die Decke zurück und stand auf. Die kühle Luft im Zimmer ließ mich frösteln, ich ignorierte es jedoch und zog mir lediglich frische Boxershorts und ein weißes Tanktop über. Mein Kopf brummte von der plötzlichen Bewegung, doch ich zwang mich, bei klarem Verstand zu bleiben. Einen Moment lang musste ich daran denken, wie klug, aber auch dreist Hilal war. Spielte sie insgeheim doch mit mir und wollte mich einfach nur ärgern? Oder lag hinter ihrem Verschwinden doch ein wenig mehr?

Nachdem ich einen Blick aus dem Fenster geworfen hatte, ließ ich mich wieder auf die Bettkante sinken. Offenbar war sie nach Hause gegangen, bevor ihre Brüder und Nisan aufwachten. Sie wussten nichts von unserer Beziehung und das würde wahrscheinlich noch etwas länger so bleiben, zumindest, wenn ich nach Hilals Perspektive ging. Ein wenig beleidigt über die Tatsache, dass sie mir nicht einmal eine kurze Nachricht als Hinweis geschrieben hatte, war ich dennoch.

Ich überprüfte erneut, ob sie vielleicht doch geschrieben hatte – vergeblich. Die Leere auf dem Display fühlte sich mittlerweile an wie ein Schlag in die Magengrube. Ein Teil von mir wollte sie sofort anrufen, doch der andere, meiner Meinung nach vernünftigere, riet mir, ihr Zeit zu geben. Vielleicht brauchte sie einen Moment, um die Dinge zu verarbeiten. Dass ich mich ihr am vergangenen Abend auf eine Art angenähert hatte, die sie nicht gewohnt gewesen war. Ich hatte sie überrumpelt, auch wenn sie es vor mir niemals zugegeben hätte.

Genug Gedanken. Ich zwang mich dazu, aufzustehen und konzentrierte mich auf das Wesentliche, während ich den Schrank öffnete und nach einem weißen T-Shirt sowie einer schwarzen Jogginghose griff. Ich zog es über und warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel nebenan im Badezimmer. Dunkle Ringe unter den Augen, die Stirn in Falten gelegt – ich sah müder aus, als ich es mir eingestehen wollte.
»Bleib locker«, knurrte ich gegen mein Spiegelbild und spritzte kaltes Wasser in mein Gesicht, um die Spuren der Müdigkeit zu beseitigen. Nachdem ich mich frisch gemacht hatte, warf ich die Badezimmertür zu, schnappte meinen Rucksack und schlurfte langsam die Treppenstufen runter.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 11, 2024 ⏰

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