28 | Wärme.

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NISAN

abends.

Nach all dem Stress am Morgen wollte ich nur noch duschen. Den Dreck auf meiner rauen Haut beseitigen und mit den Ereignissen der letzten Tage abschließen. Die Dusche war der einzige Ort, an dem ich zur Ruhe kommen konnte. Vielleicht sogar weinen, um es nicht vor den anderen tun zu müssen. Um wenigstens den Anschein zu erwecken, unantastbar zu sein.

Ich begutachtete mich im Spiegel. Führte die Fingerspitzen vorsichtig über den verwundeten Teil meiner Augenpartie, doch zuckte unter Schmerzen wieder zurück. Veilchenblaue Abdrücke, die ich in der Dunkelheit nur seicht wahrnahm. Vermutlich sah ich noch schlimmer aus. Die Fassade, die ich wie einen Schutzwall um mich herum errichtet hatte, war zerrissen worden. Zerbrochen worden.

Ich schloss meine Augen. Gab mein Bestes, mich einen Moment lang von all meinen Gedanken zu lösen. Kraft zu sammeln. Die frische Luft zu wittern, die durch das gekippte Fenster ins Zimmer trat und die freien Partien meiner Haut in einen belebenden, kühlen Schleier hüllte.

Plötzlich einte sich die Luft mit dem herben Duft von Rasierwasser. Eine süßliche Mischung aus Minze und Zitrone. Adnan.
Sein Geruch lag überall. Egal wo, egal wann.
Ob ich mich im Spiegel begutachtete, seine Parfümsammlung erkundete, in den Schubladen seiner Kommoden herumstöberte. Wo immer er auch war, umgab mich sein erfrischender Duft. Selbst wenn ich nachts schlief.

Natürlich lag ich ständig wach, wenn er nachts ins Zimmer kam. Merkte, wie sich die Tür leise aufzog und das Schlafzimmer in warmes, gedimmtes Licht gehüllt wurde. Spürte seine Präsenz, die das Zimmer erwärmte. Wie er die Decke sorgsam über meinen Körper zog, damit ich nicht fror. Nur um sicherzustellen, dass es mir gut ging und mich dann wieder schlaflos zurückzulassen.

»Ich wollte mal schauen, ob du noch lebst«, vernahm ich das Raunen seiner tiefen Stimme. Er wirkte erschöpft; in seinem Blick erkannte ich Anspannung. »Störe ich dich? Okay, vielleicht hätte ich anklopfen sollen.«

Ich räusperte mich, rieb über meine nackten Schultern. Kleine Pusteln auf meiner Haut deuteten Gänsehaut an. Ich kam mir angreifbar vor. Ertappt durch sein Erscheinen. Dennoch entspannte mich die Gelassenheit und Ruhe, die er mit sich brachte.

»Nein ... alles gut, nevermind«, revidierte ich wortkarg. »Aber klopf wirklich an.«

Seiner verdutzten Miene entwuchs ein warmes Lächeln. Dann machte sich die Stille bemerkbar. Er lauschte dem Autolärm auf den Straßen der Siedlung, den Nachbarn, die sich auf den Bürgersteinen unterhielten und den Kindern, die im Vorhof Fußball spielten. Dann wurde mir klar, dass er mit den Gedanken rang. Nicht recht wusste, was er sagen sollte.

Um die Stille zu brechen, sammelte ich die Kleidung auf, die ich mir zurechtgelegt hatte. Doch ich wurde aufgehalten. Adnan packte mich, zog mich an seinen Körper. So sanft, dass der Aufprall nicht mal wehtat. Die Art, mit der er mich an sich drückte, kam mir bekannt vor. Seine Nähe überforderte mich. Als sei ich klaustrophobisch und in einer Kammer eingesperrt, aus der es keinen Ausweg gibt.

»Du bist so ein tapferer Mensch«, verwies er auf den Termin bei der Polizei. Er ließ zügig von mir ab, seine Körperwärme schwand. »Ich bin stolz auf dich.«

»Stolz auf mich?« Ich zwang mich zu einem milden Lächeln durch. »Ohne dich würde ich bestimmt immer noch bei den Polizisten rumhängen. Du warst souverän, hast dich für mich eingesetzt. Dein Auftritt war der Wahnsinn. .«

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