vor vier Jahren.
»Sie fragen immer, wann ich heirate. Wenn ich sage, dass ich studieren gehen möchte, belächelt man mich.«
Nisan seufzte, während sie sich die Lasten vom Herz sprach. Hier an der Waldlichtung, von wo aus sie auf das Viertel blicken konnten, konnte sie das sorgefrei tun. Sie konnte reden, ohne Angst haben zu müssen, von der Familie gesehen oder gehört zu werden. Wenn Adnan dabei war, wusste sie, dass sie in Sicherheit war. Und wenn sie in Sicherheit war, dann redete sie viel mehr als sonst.
Adnan lauschte fleißig Nisans Worten, offenbarte allerdings nie viel über sich selbst. Er gab sich stets geheimnisvoll, was ihn, musste sie ehrlich gestehen, viel attraktiver machte. Selbst, wenn Adnan nur seinen Arm um ihren Rücken legte und die bescheidene Frau an sich drückte, bildete dies eine reine Genugtuung für sie. Egal, ob es seine Worte, der maskuline, ruhige Atem, oder aber der Körperkontakt war, die Anwesenheit allein machte sie glücklich.
»Das sind strenge Türken. Deine Eltern beten nicht mal. Warum machen sie dann auf konservativ? So was von lächerlich.« Adnans Hand reichte in die Tasche, aus der er eine Zigarettenschachtel zog. Kurz, bevor er sich eine anstecken konnte, rief Nisan: »Hey! Ich mag es nicht, wenn du rauchst. Das weißt du doch.« Nisan griff vorsichtig nach der Zigarette und schüttelte bittend den Kopf. »Aber du weißt«, raunte seine Stimme, »du weißt doch, dass ich vom Rauchen einfach nicht loskomme. Was soll ich tun, mein Engel?«
Nisan kicherte triumphierend, als sein Versuch, die Zigarette zurückzuerlangen, fehlschlug. Als das Kichern aussetzte, legte sie ihren Kopf auf Adnans Schulter ab und sah entzückt zu ihm auf. »Ich mein's ernst, Adnan. Stinkende Menschen kriegen keinen Kuss von mir.« Adnan erwiderte das Lachen, näherte sich langsam. »Wenn ich einen Kuss will, kriege ich ihn.«
»Sicher?«
Adnan setzte einen ersten Blickkontakt an. Er prüfte, wie immer, ob er sie küssen konnte. Denn Nisan meinte das mit den Zigaretten bitterernst. Erst, als sicher war, dass Nisan ihre verliebten Augen nicht von ihm abwenden würde, näherte er sein Gesicht ihrem. Seine Stirn traf ihre, selbst das Nasenbein flankierte ihres. Seichter Atem trat aus ihrer Richtung und wurde durch seines, das ein wenig lauter war, bestätigt. Es fühlte sich unvorstellbar gut an. Die Spitze des Eisberges stellte ein sanfter Kuss dar, welchen Adnan in aller Schnelligkeit auf ihre weichen Lippen presste.
»Weißt du, wenn ich irgendwann ein dickes Auto fahre, entführe ich dich und behalte dich nur für mich.« Er wusste, wie sehr Nisan sich nach diesem Tag sehnte, nur um aus ihrer gewohnten, konservativen Struktur ausbrechen zu können. Das zeigte ihm ihr lautes Lachen, das in der Umgebung nur so vor sich hin schallte. »Dann hol dir eins«, flüsterte sie. »Am besten heute. Einen schönen X6. Siehst du den Sonnenuntergang dort? Den könnten wir umso mehr genießen, wenn wir auf der Motorhaube sitzen und uns über Gott und die Welt unterhalten.«
Nun war Adnan derjenige, der lachte. Nisan, die aufschreckte, kannte dieses laute, stockende Lachen ganz genau. Es war keines, welches ihre Worte diskreditierte. Denn irgendwo, so wusste sie, legte er einen ungeheuren Wert auf das, was sie von sich gab. Adnan fürchtete sich vielmehr davor, dass irgendetwas seine und ihre Pläne durchkreuzen konnte.
»Und es würde dir nichts ausmachen, im X6 zu wohnen?«, kicherte er, als er gelockte Strähnen aus ihrer Stirn strich. »Zumindest, bis ich den Wagen abbezahlt habe?« Kurzer Blickkontakt, dann folgte ein loyales Lächeln ihrerseits. »Alles ist besser, als bei mir daheim. Wir könnten auch unter Brücken schlafen und ich würde mich wohler fühlen. Solange du da bist.«
Er lächelte. Doch kurz, bevor er sich ihr wieder nähern konnte, wurde die Atmosphäre durch die Vibration seines Handys zerstört. Nisan seufzte entnervt aus. Jeglicher Versuch, einen Namen auf dem Display seines Handys auszumachen, schlug angesichts des Sonnenscheines, reflektiert durch das Display, fehl. Was aber noch merkwürdiger war, war seine Reaktion. Adnan drückte die Person weg, steckte das Handy zurück in die Hosentasche und rief: »Ach, nicht so wichtig!«, als hätte Nisan nachgefragt, um wen es sich handelt.
»Lass mich raten«, brach Nisan das unmittelbar darauf folgende Schweigen. »Du wirst nun sagen ›Ich muss jetzt gehen‹ und ich werde dich tagelang nicht wiedersehen, richtig?« Das Schweigen, welches sich aus seiner Seite ergab, formte gleichzeitig seine Antwort. Das war immer so, wenn er plötzlich Anrufe oder Nachrichten erhielt. Der Mann an ihrer Seite prustete und legte den Arm wieder um ihren Körper. »Wir werden uns ganz bestimmt morgen wiedersehen, Nisan.« Sie senkte ihren Kopf und fokussierte den Grasboden. Dann, als es wieder zu einem längeren Blickkontakt kam, flüsterte er: »Sei nicht sauer, Nisan. Ich rufe dich morgen an und hole dich ab.«
Seine Hand wanderte auf ihre. Auch wenn der erste Versuch, seine Finger in ihre zu verhaken, misslang, schaffte er es irgendwie, wieder ein dumpfes Lächeln in Nisans Gesicht zu zaubern. »Warte auf mich. Ich bin bei dir, versprochen. Sefa verlangt nach mir, ich muss zu ihm.« - »Na gut. Aber morgen will ich dich für mich allein haben, klar?« Adnans dezentes Nicken bestätigte ihre Bitte; das Verlangen danach, etwas Zeit mit ihm verbringen zu können. Um die angespannte Stimmung und Nisan selbst zu lockern, schenkte Adnan ihr einen letzten Kuss, bevor er sich aus dem Staub machte und Nisan allein zurückließ.
Sie wusste nicht, was mit ihm war.
Warum er es so eilig hatte.
Aber das war Adnan,
so war er eben.dachte sie.
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HABAYTIK
Romance• حَبَّيْتك • arabisch für „Ich habe dich geliebt" Hin und hergerissen zwischen Tradition und Moderne, irrt die junge Deutschtürkin Nisan durchs Leben, bevor ihre Familie beschließt, sie an einen fremden Mann zu verheiraten. Nisan läuft davon und m...